Hier geht es um den Zusammenhang zwischen Geist, Prana und Atemübungen, um Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi. Wie sich alles zueinander verhält, was auf was folgt. Man könnte es wie Brahmananda auch als Raja-Yoga-Kapitel ansehen.
Der Yogaweg wird auf verschiedene Arten beschrieben und gelobt. Auch die inneren Töne sind großes Thema. Samadhi wird von verschiedenen Seiten beleuchtet, Wege aufgezeigt und Folgen aus dem Erreichen von Samadhi beschrieben.
Hier findest du eine Kurzfassung des Inhaltes.
Einführung
Zunächst ehrt er im ersten Vers Shiva und den Lehrer (Guru) im Yoga.
Yoga nur mit Guru?
In der Pradipika finden sich an mehreren Stellen Ehrerbietungen an den Guru. Oft wird betont, dass dieses und jenes nur vom Guru gelehrt werden dürfe/könne. Dies ist typisch für tantrische Lehren.
Anders soll es zu Zeiten des Yoga-Sutra gewesen sein. Patanjali habe zum Beispiel keinen Vers auf ein Guru-Einweihungsritual verwendet.
Dann sagt er folgenden Vers, was wir im vierten Kapitel erwarten dürfen:
Vers 4-2: Nun werde ich hier die beste Methode zum Erlangen von Samadhi erklären.
Er verspricht:
4-2: Dadurch erlangt man Wohlbefinden, überwindet den Tod und empfängt göttliche Wonne.
Alternativübersetzung: Nun werde ich den höchsten Prozess von Samadhi erklären, welcher den Tod besiegt, ein Mittel zum Erreichen von Glück ist und der beste Verursacher von der Wonne von Brahman ist.
In anderen Worten: Swatmarama verspricht hier: Du kannst (dauerhaft) glücklich werden. Ja noch mehr: Göttlicher Wonne teilhaftig werden. Hier auf Erden, jetzt.
Na gut, nicht gleich jetzt, ein wenig Übung vorweg ...
Viele Worte, ein Ziel
Erst einmal macht er aber in 4-3 und 4-4 darauf aufmerksam, dass im Yoga viele Begriffe für die Selbstverwirklichung bzw. Befreiung eigentlich dasselbe aussagen. Er nennt:
- Raja Yoga
- Samadhi
- Hoher Intellekt
- Intellekt ohne Intellekt
- Unsterblichkeit
- Ruhe bzw. Auflösung
- Absolute Leere
- Das-Sein
- Allerhöchster Zustand (Weg)
- Stiller Geist
- Nicht-Dualität (Nicht-Zweiheit)
- Niralamba (ohne Basis)
- Jetzt-Bewusstsein
- Lebendig befreite Seele (Jivamukti)
- Der reine Zustand
- Der natürliche Zustand
- Der vierte Zustand (Turya)
Diese Aufzählung hilft zu erkennen, dass viele unterschiedliche spirituelle Lehren und Strömungen auf denselben/dieselbe Zustand/Erfahrung/Erkenntnis hinaus wollen.
Dann folgt eine interessante Veranschaulichung des Erleuchtungs-Zustandes:
4-5: So wie in Salz aufgelöstes Wasser eine Einheit von Salz und Wasser ergibt, so ist die Einheit von Geist und Seele (Atman, unveränderliches Selbst) im Samadhi.
Dann hört es sich so an, als wäre Samadhi nur in einem Zustand ohne Atmen erfahrbar:
4-6: Wenn das Prana völlig verschwindet und das Geistige sich auflöst, dann folgt die Einheit, die Samadhi genannt wird.
Alternative Deutung: Übe viel Pranayama und dein Geist kommt zur Ruhe.
Svatmarama schildert in den folgenden Versen weitere Merkmale von Samadhi:
4-7: .... wenn sich alle geistigen Ideen/Konstruktionen auflösen
4-9 ... die völlige Entsagung der Sinnesobjekte ...
4-11: ... das Erwachen und Aufsteigen der Shakti (Kundalini) und das komplette Aufgeben des Handelns ... erreicht der Yogi seinen natürlichen Zustand (also ist Samadhi etwas Natürliches!) von selbst (also auch ohne etwas zu forcieren)
Dann folgen Verse, welche die Wichtigkeit der Guru-Belehrung für das Erlangen von Samadhi betonen (siehe Anmerkung oben).
4-9: „Schwierig sei es ... ohne einen wahren Lehrer ...“.
Hier ist Swatmarama ganz in der Nath-Tradition.
Der Yoga-Weg
Es folgt eine Zusammenfassung des Yoga-Weges, wie er in der Hatha Yoga Pradipika geschildert wird:
4-10: Durch die verschiedenen Asanas und die verschiedenen Pranayama (wörtlich: Kumbhakas) und durch das Aufwecken der großen Shakti (Kundalini) geht das Prana die Sushumna (wörtlich: „in die Leere“, gemeint ist der mittlere Energiekanal die Wirbelsäule entlang) ein.
Vishnu Devananda kommentiert: „Ida und Pingala zu stoppen und das Prana in die Sushumna zu bringen, ist der Sinn jeden Yogas.“
Kundalini
In den folgenden Versen gibt Swatmarama Schilderungen zur Erweckung der Kundalini, die sich aber nur noch graduell vom in den drei Kapitel zuvor Gesagten unterscheiden. Darum schildere ich nur noch Auszüge.
Prinzipiell geht es um Atemtechniken zur Erweckung und Leitung der Kundalini in die Sushumna sowie das Zur-Ruhe-Bringen des Geistes.
Immer wieder schiebt er Schilderungen der positiven Folgen des Yoga-Übens ein. Wahrscheinlich beabsichtigt er mit diesen Schwärmereien, Motivation und Energie für das Üben und Loslassen im Schüler auszulösen.
4-15 ... dessen Verstandes-Geist gestorben ist ...
4-16 .... den geöffneten Hauptenergie-Kanal (Sushumna) kennen ...
4-17 ... dieses enthüllt das Geheimnis ...
4-18: ... Die Sushumna ist die Göttin, alle anderen 72.000 Nadis sind ohne Zweck.
4-21: Wer den Atem kontrolliert, der kontrolliert den Geist. Und wer den Geist kontrolliert, der kontrolliert damit den Atem.
4-29: Der Geist (Manas) ist der Gebieter der Sinne und der Atem (Marutah) ist der Gebieter des Geistes ...
Pragmatismus im Yoga
Vers 4-30 ist etwas undeutlich und wird unterschiedlich übersetzt. Er beginnt mit:
„Dieses mag das als Befreiung bezeichnet sein, es mag es innerhalb der (einer anderen?) Lehrmeinung aber auch nicht sein.“
Interessanter der zweite Halbsatz:
„Wie auch immer Glückseligkeit (ananda) in der Geist-Prana-Auflösung entsteht.“
Manche Kommentatoren sehen hierin einen Beleg für den Pragmatismus im Yoga: Man weiß nicht genau, warum diese Effekte auftreten, aber man die Praxis dennoch üben, da sie funktioniert.
Eine weitere Zusammenfassung des Yoga-Weges liefert der darauf folgende Vers:
4-31: Völlig eingestellte (verschwundene) Ein- und Ausatmung verbunden mit einer Auflösung der Wahrnehmung von Sinnesobjekten – bewegungslos und unveränderlich – ist Laya (Auflösen, Eingehen) in die Meisterschaft der Yogis.
4-32 ... man erfährt dies nur durch „Selbst-Erfahren.
Laya und Turya
In den folgenden Versen wird dieses „Laya“ beschrieben und erläutert.
4-34: ... Laya ist das völlige Vergessen der sinnlichen Wahrnehmungen ... und von Begierden ... Verhindern des Auftretens jegliches Überbleibsel im Geist ...
Dann folgt eine Erläuterung zu Shambhavi Mudra (wörtlich: „Zu Shiva gehörend“ oder „dem Shiva heilig“) und Ergänzungen zu Khechari.
4-48: In der Mitte zwischen den Augenbrauen, wo der Geist sich auflöst, ist die Wohnstatt Shivas. Dieser Zustand ist der Vierte (Turya), dort gibt es den Tod nicht.
Meditationstipps
Es folgen zahlreiche weitere Konzentrations- und Visualisierungsanweisungen, die aber sehr technisch sind und unterschiedlich interpretiert werden. Ich zitiere nur Stellen, die mir sehr klar erscheinen..
4-56: Der Yogi soll innen und außen leer werden wie ein Topf im leeren Raum.
4-57: Weder an das innerliche noch an das äußerliche Denken ... alles Denken aufgebend ...
Über die Welt
4-58: Alle Vorstellungen und die ganze Welt sind bloß ein Werk des Geistes. ... Gib dieses auf und gebe dich ganz dem hin, das keinem Wandel unterliegt (Atman bzw. das wahre Selbst?) ... und du wirst inneren Frieden erlangen.
4-59 .... löst sich der Geist im Tattva (Samadhi?) auf ...
4-60: Wenn das Erkennbare und das Erkennen gleichzeitig aufgelöst werden, bleibt da kein anderer Weg übrig.
4-61: ... die ganze bewegliche und unbewegliche Welt ist nur erschaut durch den Geist. ... Wenn (Samadhi) ... wird dort keine Dualität mehr wahrgenommen.
Zur Geschichte von Samadhi:
4-63: Die früheren Meister – von gewaltiger Seele – haben auf verschiede Arten Erfahrungen mit der Versenkung in Samadhi gemacht und diese Methoden dann gelehrt.
Klänge aus dem Nichts
Im folgenden beschreibt Swatmarama Klänge die im Laufe der spirituellen Entwicklung zur Verwirklichung von Samadhi auftreten (können).
Anahata Nada
4-65: ... nun wird erklärt, wie sich Ungebildete, welche der Erkenntnis der höchsten Wahrheit nicht fähig sind, die Konzentration auf Nada (den inneren Klang) üben können ...
4-66: ... ist Konzentration auf Nada gewiss die vorzüglichste aller Methoden zur Auflösung des Geistes ...
4-67: In Muktasana sitzend und Shambhavi Mudra ausführend soll sich der Yogi auf den inneren Klang seines rechten Ohres konzentrieren.
Brahmananda schreibt, dass diese Klänge aus der Sushumna hervorgehen und von unterschiedlicher Art (z.B. Summen, Glockenschlag, Wellen usw.) sind.
4-68: Die Löcher der Ohren, Augen, der Nase und des Mundes sind versperrt. Dann hört man den Klang der gereinigten Sushumna.
Man kann dies auch mit den Fingern tun: Mit den Daumen auf den Ohren, die Zeigefinger halten die Augen zu, die Mittelfinger die Nasenlöcher und der Mund wird von den restlichen vier Fingern verschlossen. Dies nennt sich auch Shanmukhi Mudra.
Die 4 Zustände im Yoga – Nadavastha
Es folgt zunächst ein allgemeiner Yoga-Vers:
4-69: Bei allen Yogatechniken gibt es eine Vierergruppe von Zuständen:
- Arambha: Beginn, Anfang
- Ghata: Bemühung
- Parichaya: Vertrautheit
- Nishpatti: Vollendung
Zu Arambha: Aller Anfang ist ...
4-70: Nun folgt der Zustand des Arambha. Wenn der Brahma-Knoten (im Herz-Chakra) durchstoßen (mittels Pranayama?) wird, entsteht in der Leere Glückseligkeit und der ungeschlagene Klang wird gehört. Er klingt wie verschiedenartiges Geklingel.
4-71: Im Arambha, wenn der Ton in der Leere des Herzens gehört wird, wird der Körper eines Yogisch himmlisch strahlend, gesund und von göttlichem Duft.
Zu Ghata – Bemühung
4-72: Nun folgt der Zustand des Ghata. Im zweiten Zustand, nachdem der Lebenshauch im mittleren Kanal (könnte alternativ Kehl-Chakra meinen) vereinigt (Prana und Apana) worden ist, beginn dort der Strom zu fließen. Die Stellung (Asana) des Yogis wird fest und er gleicht in seiner Weisheit den Göttern.
4-73: ... wenn der Knoten des Vishnu (im Halsraum) durchstoßen wurde, ... erlangt der Yogi ein Anzeichen der höchsten Glückseligkeit ... und ein Ton wie von einer Kesselpauke (Bheri) ertönt.
Zu Parichaya – Vertrautheit
4-74: Nun folgt der Zustand des Parichaya. Im dritten Zustand wird der Klang einer Trommel im Raum (zwischen den Augenbrauen) erfahren ...
4-75: Nachdem die (aus dem Hören des Tones resultierende) Glückseligkeit überwunden ist, erfährt der Übende seine natürliche Glückseligkeit. Diese ist frei von Schmerz, Alter, Krankheit, Hunger und Schlaf.
Zu Nihpatti – Vollendung im Raja Yoga
4-76: Nun folgt der Zustand des Nishpatti. Wenn der Knoten des Rudras (im Ajna-/Stirn-Chakra) durchstoßen wurde und der Lebenshauch zum Sitz Shivas gelangt ist, ertönt der Klang einer Flöte ...
4-77: Dann ist der Geist eins geworden. Das nennt man Raja Yoga. Der Yogi wird wie Ishvara (Gott) Schöpfer und Auflöser.
4-78: Dann mag Erlösung gegeben sein oder auch nicht, aber in diesem Zustand völliger Versunkenheit ist ungebrochene Glückseligkeit.
Ratschläge
Es folgt eine Wiederholung der Mahnung:
4-79: Die aber nur Hatha-Yoga üben und den Raja-Yoga nicht kennen, üben vergebens.
Swatmarama empfiehlt:
4-80: Meiner Meinung nach ist die Konzentration (Dhyana) auf das Zentrum zwischen den Augenbrauen der schnellste Weg zum Erreichen des Zustandes des Ummani (Samadhi) ... selbst ein kleiner Geist erlangt (auch/mit dem Klang) die unmittelbare Erfahrung ...
Die folgenden Verse widmen sich den unterschiedlichen Tönen (Nada), die ein Yogi auf seinem Weg zu Samadhi hört. Die Töne werden immer „zarter“. Der Geist wird immer gefügiger und ein-pünktiger und alle Stufen von Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi werden durchlaufen.
Swatmarama rät:
4-93: Wer die Beherrschung des Yoga zu erreichen wünscht, soll alle Gedanken aufgeben und mit konzentriertem Geist allein auf den ungeschlagenen Klang (Nada) fokussiert sein.
Er betont über verschiedene Bilder (Giftschlange, Feuer, Quecksilber etc.) die Wichtigkeit der Bezähmung des Geistes und wie das Konzentrieren auf die Nada dabei hilft.
4-102: Was auch immer beim Lauschen auf die Nada gehört wird, gehört zur Shakti (der göttlichen Energie) ...
Das Gleichnis des Yoga-Weges
In Vers 104 bringt Swatmarama ein tiefsinniges Gleichnis zum Yoga-Weg:
4-104: Der Geist ist der Same, Hatha (meint m.E. die Praxis, wie diese in der Pradipika beschrieben wird) ist das Feld und Leidenschaftslosigkeit (Loslassen) ist das Wasser. Aus diesen Drei sprießt der Baum des Ummani (Samadhi).
Tiefsinnig deswegen, weil man sich anhand dieses Beispiels überlegen kann, was auf dem Yoga-Pfad wirklich wichtig ist. Zum Beispiel: Ein vitaler Same (starker Geist oder Wille) gedeiht auch auf kargem Boden (= wenig Praxis) und mit wenig Wasser. Anders herum nützt alles Wasser und der beste Boden nichts, wenn der Same schwach ist.
Die Ernte
Weiter geht es mit einigen Beschreibungen der Früchte des Samadhi-Zustandes:
4-105: ... durch das jederzeitige Ausrichten des Geistes auf Nada verschwinden alle Übel und die Anhäufungen (Sünden?) lösen sich auf ...
4-107: ... ein solcher Yogi ist aller Sorgen ledig, befreit ...
4-108: ... wird nicht mehr vom Tod geplagt und nicht mehr dem Gesetz des Karma unterworfen ...
4-109: ... nimmt seinen Körper nicht mehr wahr, noch einen anderen ...
4-110: ... sein Geist schläft nicht, auch wacht er nicht, er ist frei von erinnern und vergessen ... er ist befreit ...
4-111: ... fühlt weder heiß noch kalt, weder Leid noch Freude, weder Anerkennung noch Verachtung, wenn er vollständig in der Versenkung konzentriert ist.
4-113: Ein Yogi im Samadhi ist nicht zu töten, kann durch keine Waffe bezwungen werden, von keinem verkörperten Wesen mehr gegriffen werden, nicht durch Zaubersprüche oder magische Diagramme.
Vers 114 fasst dann noch einmal zusammen, dass
- solange das Prana nicht in der Sushumna bewegt wird
- der Samen (Bindhu) nicht durch Pranayama fest geworden ist und
- Chitta (der Geist) in der Meditation nicht in seinem natürlichen Zustand verweilt
alles Philosophieren und Wissen nur Heuchelei und leeres Geschwätz bleibt.
Das war das vierte Kapitel der Hatha Yoga Pradipika.