Samapatti ist die Fähigkeit eines geübten Bewusstseins, alles Wahrgenommene unverändert widerzuspiegeln. Der Besitzer dieses Bewusstseins, der Seher, der Betrachtende, findet damit zu ursprünglicher Schau zurück.
Der Weg: Yoga üben -> Samadhi erreichen –> Samapatti anwenden
Anders ausgedrückt: Wer Yoga übt, erreicht irgendwann Samadhi (Samadhi hat mehrere Entwicklungsstufen). In dieser vollkommen ruhigen und ausgeglichen Geistesverfassung erhält der Yogi die Fähigkeit zu Samapatti, der völlig reinen Schau. Yoga und Samadhi sind der Weg, Sampatti der Zustand, eine Fähigkeit.
Deshpande zu Samapatti: "Dieser äußerst durchlässige und höchst sensible Geisteszustand ..."
Feuerstein schreibt: Im Zustand des Samadhi "... nimmt der Gegenstand der Konzentration derart große Ausmaße im Bewusstsein ein ...", dass der Unterschied zwischen Wahrnehmendem und Wahrgenommenen verschwindet.
Govindan kommentiert hingegen: "Hier [in Sutra I-41] wird ein Prozeß beschrieben, durch den Samadhi erreicht wird."
Beim konkreten Verständnis von Samapatti existieren unterschiedliche Ansichten. Manche Kommentatoren sehen Samapatti nur als Synonym für Nirodha (siehe Sutra I-2) und Samadhi (z.B. R. Skuban). Wieder andere sehen einen Widerspruch zwischen Nirodha ("Unterdrückungsyoga") und Samapatti (dann als "Aneignungsyoga" betrachtet).
Meist wird Samapatti als eine Erkenntnisfähigkeit angesehen, die mit den ersten Stufen des Samadhi einhergeht. Samapatti gehört dabei zum Samprajnata-Samadhi, dem Samadhi mit Samen (gemeint ist tiefste Meditation, aber noch mit Meditationsobjekt). Sutra I-42 bis I-45 erläutern verschiedene Stufen von Samapatti (respektive Samadhi).
In der Hatha Yoga Pradipika Kapitel 4 wird diese Art der Erkenntnis übrigens Laya genannt.
Sutra I-42 bis I-45 erläutern, wie dieser Samapatti-Zustand zu vier Arten von Versenkung führen kann, die in Sutra I-46 als Sabija Samadhi (Samadhi mit Samen) bezeichnet werden.
Sutras zu Samapatti
Yoga Sutra I-48: In Nirvichara Samapatti erhält der Yogi wirkliches Wissen, sein Bewusstsein erfasst die Wahrheit
Ritambharâ tatra prajnâ
ऋतम्भरा तत्र प्रज्ञा
Der Yogi hat nun Übungsroutine in Nirvichara-Samadhi, kann diesen Zustand willentlich hervorrufen und lange Zeit darin verweilen, siehe Sutra I-47. Nun endlich, so Patanjali, erkennt er die wahre Natur der Dinge, erfährt eine neue Art des Wissens.
Yoga Sutra I-47: Erreicht der Yogi Routine im Nirvichara Samadhi, erscheint ihm allmählich das innerste Selbst
nirvicâra-vaishâradye dhy-âtma-prasâdah
निर्विचारवैशारद्येऽध्यात्मप्रसादः
Hier beginnt die letzte Etappe auf der Reise des Yoga. Wenn der Yogi durchhält und treu den Zustand des Nirvichara weiter übt, nähert er sich nach und nach der Erleuchtung. Wie ist das genau zu verstehen?
Yoga Sutra I-44: Stufe 3 und 4 von Samapatti Samadhi: So wie in den vorherigen Stufen (Savitarka und Nirvitarka) die verschmelzende Erkenntnis mit gröberen Objekten erfolgt, so wird auch Samapatti mit feinstofflichen, subtilen Objekten beschrieben. Diese
Etayaiva savichârâ nirvichârâ cha sûkshmavishayâ vyâkhyâtâ
एतयैव सविचारा निर्विचारा च सूक्ष्मविषय व्याख्याता
Jetzt wendet sich der Yogi im Samadhi mit seiner neuen Fähigkeit "Samapatti" subtileren Dingen zu. Wieder unterscheidet Patanjali zwei Stufen der Entwicklung in dieser Phase des "Erwachens" des Yogi.
Yoga Sutra I-43: Stufe 2 von Samapatti: Wenn die Erinnerungen und Prägungen völlig gereinigt sind, als ob dessen eigene Form schwindet, nur noch das (Meditations-)Objekt erstrahlt, ist Nirvitarka (Samapatti/Samadhi) erreicht.
smṛti-pariśuddhau svarūpa-śūnyeva-arthamātra-nirbhāsā nirvitarkā
स्मृतिपरिशुद्धौ स्वरूपशून्येवार्थमात्रनिर्भासा निर्वितर्का
Wir schreiten voran: Patanjali erläutert die zweite Stufe von Samadhi (immer noch Samadhi mit Samen). Die Erkenntnis wird tiefer, das Denken schwindet. Wir kommen der Schau der wahren Natur der Dinge näher.
Yoga Sutra II-47: Bemühe dich in der Asana [Sitzhaltung in der Meditation] um tiefe Entspannung und versenke deinen Geist in das Unendliche
prayatna-śaithilya-ananta-samāpatti-bhyām
प्रयत्नशैथिल्यानन्त्यसमापत्तिभ्याम्
Diese Sutra wird höchst unterschiedlich übersetzt. Die Befreiung von der Spannung wird größtenteils einvernehmlich ausgelegt, aber die „Versenkung in das Unendliche“ und der Weg dorthin werden kontrovers interpretiert.
In II-47 gibt Patanjali grundlegende Empfehlungen zur Meditation ► Wie du dich in der Sitzhaltung von Spannungen befreist ► Wie die Versenkung in das Unendliche erreicht werden kann ► Wie diese Sutra auf körperliche Yogaübungen übertragen werden kann ► Übersetzungsalternativen ► Umfragen
Yoga Sutra I-42: Samapatti erfolgt in vier Stufen. Stufe 1: Wenn Samapatti mit Wortwissen, Schlussfolgerungen und Vorstellungen durchsetzt ist, wird es Savitarka Samapatti genannt
Tatra shabdârtha-jnâna-vikalpaih samkîrnâ savitarkâ samāpattiḥ
तत्र शब्दार्थज्ञानविकल्पैः संकीर्णा सवितर्का समापत्तिः
Mit dieser Sutra beginnt die Reise im Samadhi. Patanjali beschreibt zunächst die Erscheinungen auf dieser ersten Stufe des Samadhi und nennt sie Savitarka.
Es handelt sich dabei um eine Art Erleuchtung – aber mit "Denken" ...
Yoga Sutra I-41: Für den, der die Bewegungen des Geistes auf ein Minimum reduziert, verschmelzen Wahrnehmender, Wahrgenommenes und Wahrnehmung, so wie ein Kristall Form und Farbe eines Hintergrundes reflektiert. Das ist Samapatti (Verschmelzung).
Kshîna-vritter abhijâtasy eva maner grahîtri-grahana-grâhyeshu tatstha-tadanjanatâ samâpattih
क्षीणवृत्तेरभिजातस्येव मणेर्ग्रहीतृग्रहणग्राह्येषु तत्स्थतदञ्जनता समापत्तिः
Im Laufe einer langen und ernsthaft betriebenen Meditationspraxis verändert sich unser Geist und wir vertiefen beständig das Verständnis von unserer inneren Natur und der äußeren Welt. Diese Sutra spielt auf einen besonderen Aspekt dieser Entwicklung an: der Verschmelzung von Wahrnehmenden, Wahrgenommenen und Wahrnehmung.
Damit sind höchst erstaunliche Fähigkeiten verbunden, wie wir in den Kommentaren lesen.