Auf meinem Schreibtisch stand einst ein Einmachglas, das mein Töchterlein im Waldkindergarten mit formschönen Blättern beklebt hatte. Ein Teelicht im Glas zauberte ein wunderschönes Licht und bizarre Formen auf die Wände.
Damit es nicht so zustaubt, haben wir das Einmachglas am Tage einfach umgedreht. Da sich eines Morgens ein Bleistift unter den Rand des Glases gemogelt hatte, gab es einen Spalt zwischen Tischplatte und Glas. Hier hinein quetschte sich eine dicke Fliege.
Nachdem der Brummer den Schreibtischboden unter dem Einmachglas ausreichend erkundet hatte, hob er nach Fliegenart ganz normal ab. Da er sich aber nun mal noch unter dem Einmachglas befand, prallte er mit seinem Fliegenkopf oben gegen den Glasboden. Verwirrt landete Brummerchen wieder am Boden.
Zweimal kurz geschüttelt und einen neuen Versuch gestartet. Diesmal schwungvoller. Rums – Brummerchen landete wieder auf dem Boden, nun deutlich weniger elegant. Brummerchen wollte es nicht wahrhaben. Immer wieder flog er gegen die Wände und die Decke des Einmachglases, mit jeder Wiederholung schwirrte er hektischer umher. Auch als seine Flügel schon schmerzten, verstärkte Brummerchen seine Bemühungen weiter. Bis Brummerchen nicht mehr konnte. Bis zu Brummerchen’s Tod.
Das Tragische daran: Den Ausgang hatte Brummerchen stets in Sichtweite. Was veranlasste ihn, jedes Mal wieder denselben, erfolglosen Ausweg zu versuchen? Warum meinte er, dass ein Verstärken immer derselben Vorgehensweise irgendwann zum Erfolg führen würde? Warum hielt Brummerchen nicht einfach inne, um über das Problem nachzudenken? Um sich umzuschauen und aus der Ruhe am Boden den richtigen Weg zu erkennen?
Zum Glück sind wir Menschen da ganz anders ...
{tab Thema im Yoga}
Die folgenden Sutras beschäftigen sich mit den Themen Irrtum und Selbsterkenntnis:
Yoga Sutra I-39: Oder durch Meditation über irgendetwas, das man mag
yathā-abhimata-dhyānād-vā
यथाभिमतध्यानाद्वा
Hier scheint Patanjali jegliches Objekt zur Meditation freizugeben. Die Kommentatoren schränken das dann jedoch ein klein wenig ein:
Yoga Sutra I-38: Oder durch Meditation über Trauminhalte oder den Zustand des traumlosen Schlafes

Svapna-nidrâ-jnânâlambanam vâ
स्वप्ननिद्रा ज्ञानालम्बनम् वा
Patanjali schreibt, dass die Meditation über Trauminhalte zur Ruhe des Geistes führen kann. Lese hier, welche Arten von Traumerfahrungen dafür geeignet sind.
Yoga Sutra I-37: Oder durch Meditation über einen Menschen, der völlig frei von Anhaftungen an Sinnesobjekte ist.
Vîta-râga-vishayam vâ chittam
वीतरागविषयं वा चित्तम्
Hier kommt die Kraft des Vorbildes zur Wirkung, die traditionelle yogische Guru-Verehrung im positiven Sinne. Aber auch wenn du nicht der Typ für die Verehrung eines Menschen bist, kannst du die Empfehlung dieser Sutra nutzbringend anwenden.
Yoga Sutra II-36: Wenn Wahrhaftigkeit [im Wesen eines Menschen] fest verwurzelt ist, entspricht das [jeweilige] Ergebnis seiner [jeweiligen] Handlung
Satyapratiṣṭhāyāṁ kriyāphalāśrayatvam
सत्यप्रतिष्ठायां क्रियाफलाश्रयत्वम्
Die Übersetzung dieser Sutra ist nicht ganz eindeutig. Viele Kommentatoren deuten sie wie ein wundersames Versprechen von Patanjali: Konsequente Wahrhaftigkeit führt zur Fähigkeit, Wirklichkeit zu schaffen, ohne zu handeln. Wie ist das zu verstehen?
In II-36 werden die Folgen eines Lebens ohne Lüge beschrieben ► verschiedene Deutungen dieser Sutra ► mögliche Wirkungsabläufe ► Gedankenkraft ► rechte Rede ► Übung zur Sutra
Yoga Sutra I-29: Durch diese Praxis erlangt man das wahre innere Selbst und alle Hindernisse verschwinden
tataḥ pratyak-cetana-adhigamo-py-antarāya-abhavaś-ca
ततः प्रत्यक्चेतनाधिगमोऽप्यन्तरायाभावश्च
Man kann sagen, dass Patanjali der bewussten OM-Rezitation wahre Wunderwirkungen attestiert. Hindernisse werden überwunden, Probleme gelöst. Die Kommentatoren erläutern dies ausführlicher:
Yoga Sutra I-8: Falsche Aufffassung von etwas resultiert aus einer falschen Kenntnis von etwas, die nicht der wahren Natur des Erkannten entspricht
Viparyayo mithyâ–jñânam atad–rûpa–pratishtham
विपर्ययो मिथ्याज्ञानमतद्रूप प्रतिष्ठम्
In dieser Sutra geht es um Fehleinschätzungen. Nicht schön: Viele Yogalehrer betrachten unser Leben als ein Schwimmen im Meer des Irrtums. Doch es gibt bewährte Wege, Viparyaya zu besiegen.