Das letzte Kapitel der Gheranda Samhita widmet sich dem Thema Samadhi: der Höhepunkt aller Yoga-Bemühungen, Einheit von Subjekt und Objekt, völlige Versenkung und tiefe Erkenntnis. Samadhi ist das letzte Glied im achtfachen Yogapfad, wie er im Yogasutra von Patanjali beschrieben wird.
Die Schriften unterscheiden verschiedene Stufen im und Wege zum Samadhi. Die Gheranda Samhita nennt sechs Pfade, die zur höchsten Erleuchtung führen sollen.
Inhalt des siebenten Kapitels der Gheranda Samhita
Im Folgenden findest du meist den Volltext, an einigen wenigen Stellen Zusammenfassungen der einzelnen Verse, meist mit weiterführenden Links zu den Yoga-Techniken. Ich habe mich nach bestem Wissen bemüht, die trefflichste Übersetzung aus den Quelltexten zu wählen (hin und wieder gab es darin doch deutliche Unterschiede, wurden die Übungen völlig unterschiedlich beschrieben).
Samadhi Yoga
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 1
Gheranda sagte: Samadhi ist der Höhepunkt des Yoga. Dieser Zustand wird durch sehr günstiges Schicksal erreicht. Samadhi wird durch die Gnade und die Freundlichkeit des Gurus und durch dessen innigste Verehrung erlangt.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 2
Der Yogi erreicht die wundervolle Praxis des Samadhi schnell, welcher Vertrauen zum Wissen, Vertrauen zum Guru und Vertrauen in sich selbst hat. Und dessen Geist von Tag zu Tag zu höherer Intelligenz erwacht.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 3
Der Yogi trenne Manas [Geist, Denken, Denkorgan] vom Körper und vereine sich mit dem Paramatman [höchste Geist]. Das ist bekannt als Samadhi oder Mukti – anders als alle anderen Formen des Bewusstseins.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 4
"Ich bin Brahman, niemand anderes, Brahman ist sicher ich, ich empfinde kein Leid, Ich bin Wirklichkeit, Intelligenz und Wonne; Ich bin immer frei und von keiner Essenz [Alternativübersetzung: durch mich selbst existierend]."
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 5
Die ersten vier Stufen (vierteilig) des Samadhi und die Techniken dorthin:
Dhyana-Yoga Samadhi – Shambhavi Mudra
Nada-Yoga Samadhi – Khechari Mudra
Rasananda-Yoga Samadhi – Bhramari Mudra
Laya (Layasiddhi)-Yoga Samadhi – Yoni Mudra
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 6
Bhakti Yoga Samadhi ist der fünfte und Raja-Yoga-Samadhi – erreicht durch Manomurcha-Kumbhaka – der sechste Samadhi.
Anmerkung: In manchen Übersetzungen werden alle 6 Samadhi als die 6 Aspekte des Raja-Yogas übersetzt.
Im Folgenden werden die 6 Samadhi erläutert.
Dhyana-Yoga-Samadhi
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 7
Nachdem man Shambhavi Mudra eingenommen hat vergegenwärtige man sich des Atman [das absolute Selbst, Essenz des Geistes, Seele]. Wenn man den Brahman in einem Bindu [Lichtpunkt; das Bindu Chakra wird unter dem Haarwirbel am Hinterkopf lokalisiert] sieht, fixiere man seinen Geist auf diesen Punkt.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 8
Bringe mit dem Geist den Atman [das eigene Selbst] in den Äther [Khamaya Brahman] hinein und bringe den Äther in den Atman hinein. Wenn das Atman nun voll von Äther ist [das Selbst voll des Göttlichen], wird ihn nichts mehr hemmen [Alternative: nichts anderes wahrgenommen]; erfüllt von beständiger Wonne betritt der Yogi Samadhi.
Rasananda-Yoga Samadhi
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 9
Ziehe die Luft sanft ein, führe Bhramari-Kumbhaka aus und lasse dann die Luft ganz langsam wieder entweichen. Dabei erklingt der summende [vermutlich innerliche] Laut einer Biene.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 10
Man konzentriere sich auf diesen summenden Laut; so erfährt man Samadhi und gleichzeitig – mit der Erfahrung des eigenen Seins – wird eine große Freude auftreten.
Nada-Yoga Samadhi
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 11
Richte die Zunge aufwärts und führe Khechari Mudra aus. So erreicht man das wonnevolle Samadhi und muss nichts anderes mehr praktizieren.
Laya (Layasiddhi)-Yoga Samadhi
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 12
Man praktiziere Yoni-Mudra und stelle sich vor, ganz Shakti [Energie, weibliche bzw. göttliche Urkraft] zu sein. So wird man Paramatman [Weltseele, Alleins-Seele] und wandelt in höchster Liebe.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 13
Wenn man die volle Wonne [Ananda, auch Glückseligkeit] erreicht hat, stelle man sich das Einssein mit Brahman [ebenfalls Weltseele] vor – "Ich bin Brahman". Hieraus folgt nicht-duales Samadhi.
Bhakti-Yoga Samadhi
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 14
Der Yogi kontempliere im Herzen über seine persönliche Schutzgottheit; diese Kontemplation sei voller Ekstase und Freude.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 15
Unter Freudentränen und Freudenschauern wird der Yogi so in die "Nichtexistenz der Zustände" [Ekstase, Ashthasatvika Bhava] gelangen. Dies führt zu Samadhi und Manonmani [Zustand (Avastha) "des Geistes (Manas) jenseits des Geistes (Unmani)"].
Raja-Yoga Samadhi
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 16
Während der Yogi Manonmani-Kumbhaka praktiziert, vereinige sich der Geist mit dem Atman [höchstes Selbst]. Durch diese Vereinigung wird Raja-Yoga Samadhi erlangt.
Oh Chanda, damit habe ich dir von dem Samadhi erzählt, der zur Befreiung führt. Raja-Yoga Samadhi, Unmani und Sahajavastha sind alles Synonyme für die Vereinigung des Geistes [Manas] mit dem höchsten Selbst [Atman].
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 18
Vishnu [Gottheit] ist im Wasser, in der Erde, auf dem Gipfel des Berges; Vishnu ist inmitten des Feuers eines Vulkans: Das ganze Universum ist voll von Vishnu.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 19
Alles, was an Land wandelt oder sich in der Luft bewegt, alles Leben, Bäume, Wurzeln, Sträucher, Grass und Schlingpflanzen, die Ozeane und die Berge – wisse, all dies ist Brahman. Sehe in allem Atman.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 20
Der Atman, der im Körper wohnt, ist Chaitanya [Bewusstsein] oder Bewusstheit. Er ist ohne ein Zweites, ewig, der Höchste; wenn der Yogi erkennt, dass der Atman vom Körper getrennt ist, wird er frei von Wünschen und Leidenschaften.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 21
So wird Samadhi erhalten, frei von allen Wünschen. Frei von der Anhaftung an den eigenen Körper, an den Sohn, die Ehefrau, Freunde, Verwandte oder Reichtümer; frei von allem erhält der Yogi den vollen Samadhi.
Abschließende Worte
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 22
Shiva hat viele Wahrheiten wie das Laya Amrita [Yoga der Unsterblichkeit] und andere offenbart; ich habe dir hier in aller Kürze darüber berichtet, welche davon zur Befreiung führen.
Gheranda Samhita, Kapitel VII, Vers 23
Oh Chanda, damit habe ich dir von Samadhi erzählt, schwierig zu erreichen. Wenn du dies erkennst, wirst du in dieser Sphäre nicht mehr wiedergeboren.
Damit schließt die Gheranda Samhita, der Dialog zwischen Gheranda und Chanda.
Es ist hochinteressant, wie (unterschiedlich) sich der Weg hin zum und der Entwicklungsverlauf im Samadhi vollzieht. Bei der Deutung von Sutra I-17 weisen die Übersetzungen jedoch deutliche Unterschiede auf. Was nicht verwundert, da wir in einen Bereich des Yoga vordringen, der erst nach langer Praxis erreicht wird: Samadhi. Zudem werden die Erfahrungen hier subjektiv durchlebt und können schwer in Worte gefasst werden.
Wir tauchen tiefer in die Welt des Samadhi ein. Sutra I-18 erläutert Virama-Pratyaya. Dieser Zustand muss schon sehr wonnevoll und reich an intuitiven Erkenntnissen sein. Aber Achtung! Es droht Gefahr ...
In den Sutras I-19 und I-20 geht es um "mittlere Samadhi-Zustände". Es ist nicht ganz klar, ob sich Patanjali mit "dieses/dieser" auf den Asamprajnata Samadhi allgemein oder den Zwischenzustand Virama Pratyaya aus Sutra I-18 bezieht. So unterscheiden sich die Übersetzungen erheblich und bieten ein schönes Beispiel dafür, wie unterschiedlich das alte Sanskrit gedeutet werden kann. Ich finde es trotzdem nützlich, sich die unterschiedlichen Deutungen vor Augen zu führen. Wir können sie in unserem Geist abwägen und die jeweilige Deutung in unserem eigenen Leben überprüfen.
In dieser Sutra wird Patanjali angenehm konkret. Er richtet sich an uns Fußvolk, die nicht von Geburt aus Begnadigten. Wir brauchen vier oder fünf Mittel, um uns dem Ziel des Yoga zu nähern.
Endlich einmal eine nahezu eindeutige Sutra. Doch natürlich gehen die Übersetzungen auch hier unterschiedliche Wege. Es geht um das Wort "Samveganam". Übersetzt man es nun eher mit Wunsch, mit Wille ober mit Übungsbemühungen?
Mein Patanjali hier wirklich "Wunsch"? Sollen wir nicht allem entsagen, jeden Wunsch im Keime ersticken? Es kann interessant sein, sich darüber klar zu werden, was man sich eigentlich wünscht und wie viel von diesem Wünschen dem Weg des Yoga zuzuordnen ist.
Ist dein Wunsch nach Befreiung nicht groß genug? Hier findest du am Ende des Artikels Tipps, die Sehnsucht in dir zu schüren.
Mit dieser Sutra weicht Patanjali deutlich vom Samkhya, der grundlegenden Yoga-Philosophie, ab: Gott tritt ins Spiel. Konkreter: Ishvara als Konzept einer persönlichen Gottheit mit ganz bestimmten Eigenschaften. Gott einmal anders, als man ihn sich üblicherweise vorstellt ...
Die Übung besteht also im Wiederholen von OM, hingebungsvoll und verbunden mit einer Vorstellung von dessen Bedeutung. Hiermit erläutert Patanjali einen weiteren Weg zur Befreiung. Begibt man sich auf diesen Pfad, sollte man wissen, wie er sich dieses Wiederholen vorstellte.
Man kann sagen, dass Patanjali der bewussten OM-Rezitation wahre Wunderwirkungen attestiert. Hindernisse werden überwunden, Probleme gelöst. Die Kommentatoren erläutern dies ausführlicher:
Im Laufe einer langen und ernsthaft betriebenen Meditationspraxis verändert sich unser Geist und wir vertiefen beständig das Verständnis von unserer inneren Natur und der äußeren Welt. Diese Sutra spielt auf einen besonderen Aspekt dieser Entwicklung an: der Verschmelzung von Wahrnehmenden, Wahrgenommenen und Wahrnehmung.
Damit sind höchst erstaunliche Fähigkeiten verbunden, wie wir in den Kommentaren lesen.
Tatra shabdârtha-jnâna-vikalpaih samkîrnâ savitarkâ samāpattiḥ तत्र शब्दार्थज्ञानविकल्पैः संकीर्णा सवितर्का समापत्तिः
Mit dieser Sutra beginnt die Reise im Samadhi. Patanjali beschreibt zunächst die Erscheinungen auf dieser ersten Stufe des Samadhi und nennt sie Savitarka. Es handelt sich dabei um eine Art Erleuchtung – aber mit "Denken" ...
Wir schreiten voran: Patanjali erläutert die zweite Stufe von Samadhi (immer noch Samadhi mit Samen). Die Erkenntnis wird tiefer, das Denken schwindet. Wir kommen der Schau der wahren Natur der Dinge näher.
Etayaiva savichârâ nirvichârâ cha sûkshmavishayâ vyâkhyâtâ एतयैव सविचारा निर्विचारा च सूक्ष्मविषय व्याख्याता
Jetzt wendet sich der Yogi im Samadhi mit seiner neuen Fähigkeit "Samapatti" subtileren Dingen zu. Wieder unterscheidet Patanjali zwei Stufen der Entwicklung in dieser Phase des "Erwachens" des Yogi.
Die Meditation über subtile Objekte kann bis an eine Grenze getrieben werden, die Patanjali mit Alinga umschreibt. Einem Zustand, der als "undefinierbar subtil" oder "unmanifest" beschrieben wird.
Patanjali unterscheidet grundsätzlich zwei Samadhi-Ebenen (mit jeweils weiteren Unterteilungen/Stufen): Mit Samen und ohne Samen. Obwohl der Yogi schon sehr weit fortgeschritten ist, wenn er die bis hierher beschriebenen Erfahrungen selbst erfahren hat, hat er noch keine Befreiung erlangt. Ein Stück des Weges fehlt noch ...
Hier beginnt die letzte Etappe auf der Reise des Yoga. Wenn der Yogi durchhält und treu den Zustand des Nirvichara weiter übt, nähert er sich nach und nach der Erleuchtung. Wie ist das genau zu verstehen?
Der Yogi hat nun Übungsroutine in Nirvichara-Samadhi, kann diesen Zustand willentlich hervorrufen und lange Zeit darin verweilen, siehe Sutra I-47. Nun endlich, so Patanjali, erkennt er die wahre Natur der Dinge, erfährt eine neue Art des Wissens.
Das Wissen, dass dem routinierten Nirvichara-Praktizierendem enthüllt wird, ist von einer ganz anderen Art, als jenes Wissen, dass wir gemeinhin als solches bezeichnen.
Dies ist eine spannende Sutra: Das Wesen des Yogis wandelt sich durch seine Erkenntnisse in Nirvichara Samapatti. Genauer: Seine Samskaras, seine Eindrücke im Unterbewusstsein. Iyengar: "Ein neues Leben beginnt mit diesem wahrheitstragenden Licht." Wohin kann das führen?
Patanjali endet hier mit der Beschreibung der Stufen des Yogapfades. Nirbija Samadhi – Samenlose Versenkung. Erleuchtung! Wie kann man sich das konkret vorstellen? Einige Autoren versuchen sich an der Beschreibung des Nichtbeschreibbaren.
Das Ziel ist genannt: Samadhi. Auch der Grund dieses Strebens wird deutlich: das menschliche Leiden. Kriya-Yoga unterstützt uns, indem es die Hindernisse aus dem Weg räumt, unser Leiden vermindert und die innere Grundlage für Samadhi schafft.
Mit dieser Sutra beginnt der „praktische“ Teil des Yogasutras. Patanjali beginnt ab hier, den achtfachen Yogapfad zu erläutern, für viele der bedeutsamste Teil des Yoga Sutras. Patanjali nennt an dieser Stelle allerdings nur 7 Stufen, den die achte Stufe – Samadhi – ist schon „Yoga“. Ziel erreicht.
Samadhi ist das letzte Glied im achtfachen Yogapfad und soll mit fantastischen Erlebnissen einhergehen. Doch was passiert beim Samadhi genau, wie kann ich mir diesen Zustand vorstellen? In den Yogasutras und anderen Schriften wird Samadhi zur Verdeutlichung recht dezidiert in mehrere Stufen unterteilt. Dieser Artikel beschreibt bekannte Unterteilungen und nennt mögliche Meditationsobjekte für die jeweiligen Samadhi-Stufen. Eine Auswahl an Videos zum Thema Samadhi will das Verständnis vertiefen.