yduḥkha-daurmanasya-aṅgamejayatva-śvāsapraśvāsāḥ vikṣepa sahabhuvaḥ
दुःखदौर्मनस्याङ्गमेजयत्वश्वासप्रश्वासा विक्षेपसहभुवः
In dieser Sutra nennt Patanjali Symptome, an denen wir einen zerstreuten Geist erkennen. Sie helfen uns, unseren Yoga-Weg stets neu zu justieren. Die Kommentatoren geben tiefergehende Anregungen:
Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrit
- Duhkha = Schmerz; Leiden; Kummer (Iyengar); geistiger Schmerz (Sukadev); Sorge (12koerbe.de);
- Daurmanasya = Verzweiflung, Depression; Gemütsstörung (Deshpande); Verstimmtheit (12koerbe.de); verzweifelte Gedanken (Coster); das, was Manas (den Geist) dunkel macht (R. Sriram);
- Angamejayatva = Erschütterung des Körpers, Nervosität (12koerbe.de); körperliche Schwäche (Iyengar); physische Nervosität (Sukadev);
- Shvasa–prasvasah = unregelmäßige (Deshpande: unnatürliche) Atmung; Ein-und Ausatmung, schweres Atmen; Seufzen, Stöhnen (12koerbe.de);
- Vikshepa = Zerstreuung; Unruhe; Trübung; Ablenkungen (Govindan);
- Sahabhuvah = begleitende Symptome;
Übersetzungsvarianten und -hinweise (Quellen)
- Iyengar sieht in den Aufzählungen dieser Sutra keine Symptome der Hindernisse aus Sutra I-30, sondern weitere Hindernisse: "Durch ... entstehen weitere Ablenkungen für Citta".
- Anders Sukadev: "... sind die Symptome eines verwirrten Geisteszustandes." und 12koerbe.de "... mit diesen Verwerfungen gemeinsam entstanden sind sie". Klingt ein bisschen wie Meister Joda :-)
- R. Sriram: "Ist Citta zerstreut, so entsteht ...".
- Govindan: "Die Begleiterscheinungen dieser Ablenkungen ...".
Weitere Hindernisse oder Symptome der Hindernisse aus I-30?
Sukadev, Coster, Skuban und andere sehen die hier aufgeführten vier Symptome als Folgen bzw. Begleiterscheinungen der neun Hindernisse aus I-30, Iyengar hingegen, wie oben in der Übersetzung zu lesen, als zusätzliche Probleme auf dem Yogaweg. Deshpande steht in der Mitte zwischen diesen Deutungen und sieht sie als "Störungen" an, die meist die Hindernisse aus I-30 begleiten.
R. Sriram sieht in diesen Symptomen die Folgen eines zerstreuten Cittas (Geist). Ähnlich äußerst sich Govindan, indem er "ablenkende Gedanken" als Ursache der vier Symptome sieht.
Ursachen der Hindernisse
Iyengar definiert drei Quellen für die Hindernisse. Diese können:
- selbst zugefügt sein,
- durch Unausgewogenheit der Elemente im Körper oder
- karmabedingt bzw. Schicksal sein.
Sukadev ergänzt, dass die in I-30 genannten Symptome auch unbedenkliche Ursachen haben können, zum Beispiel körperliche Unruhe nach einem schweren Arbeitstag.
Deshpande sieht in den Symptomen "... letzte Widerstandskämpfe vonseiten des konditionierten Bewusstseins ...". Er sieht in Sutra I-30 und I-31 Formen des Widerstands gegen die Verwandlung von Körper und Seele.
Hilfe zur Selbstdiagnose
Dr. Ronald Steiner betrachtet auf ashtangayoga.de die vier in dieser Sutra genannten Symptomen als eine Richtschnur für die Selbstdiagnose. Wenn wir Kummer, körperliche Nervosität oder unregelmäßige Atmung an uns feststellen, sind wir aus der inneren Balance gekommen und sollten unser Handeln überdenken.
Üben wir falsch?
Wim van den Dungen geht sogar so weit, dass er in körperlichen und/oder geistigen Störungen eine "destruktive Verwendung" der Übungen des Yogas sieht. Er rät dann zur Pause und Analyse der Symptome. Ein guter Lehrer kann hierbei wertvolle Unterstützung geben. Er mahnt: "Wenn die falschen Geisteshaltungen kultiviert oder gewohnheitsmäßig geworden sind, ist spiritueller Fortschritt unmöglich."
Nicht gleich alles in Frage stellen.
Auf der anderen Seite sieht van Dungen allein in dem Auftreten von Hindernissen noch keinen Grund, den eigenen Yogaweg prinzipiell in Zweifel zu ziehen. Man solle das Hindernis und deren Ursachen genau betrachten, bevor man entscheidet, wo etwas zu ändern ist: Die Hindernisse als Hinweise, die dankbar angenommen werden sollten.
Tragischerweise wäre es jedoch so, dass viele beim Aufkommen von Schwierigkeiten ihre Übungspraxis einstellten. Dabei könne man gerade jetzt seine wahre Kraft finden und erleben.
Ansätze zur Überwindung der Hindernisse
Die gesamte Yogapraxis dient der Überwindung der in Sutra I-30 und I-31 genannten Hindernisse und Symptome. Es gilt, immer wieder zu korrigieren und vor allem durchzuhalten.
Spezielle Hinweise in den Kommentaren zu dieser Sutra: Satchidananda mahnt, Körper und Geist dürfen möglichst nicht tamasisch sein. Der Yogaschüler solle sich stets um einen sattvischen Zustand bemühen. Der Weg dorthin führe über eine gesunde Diät, körperliche Stärke und Ausgeglichenheit und konstante Übungspraxis (Seite 52).
{tab Übung}
Übung zu Yoga Sutra I-31
Übungsvorschlag für die kommende Woche:
Das Smartphone kann uns dabei unterstützen, achtsamer zu werden. Lade dir diese Woche einfach eine kostenlose Erinnerungs-App wie "Reminder" (Android) oder "Due" (Apple) herunter, um dich mehrfach am Tag an folgendes erinnern zu lassen:
Richte deine Aufmerksamkeit auf deinen Atem und übe dich darin, dass dir eine tiefe und ruhige Atmung zur Gewohnheit wird.
{tab Verwandte Sutras}
Yogische Übung wirkt also den Hindernissen entgegen, dazu mehr in der nächsten Sutra. Siehe hierfür auch:
Yoga Sutra II-34: Gedanken und Zweifel, die zu schädigendem Verhalten führen – egal ob dies selbst getan, in Auftrag gegeben oder nur begünstigt wird, egal ob durch Gier, Ärger oder Verblendung motiviert, egal ob in der Ausführung mild, mittelmäßig
oder übermäßig – sie führen zu endlosem Leid und Unwissenheit. Deshalb sollte man gegenteilige Geistesinhalte pflegen.
Vitarkâ himsâdayah krita-kâritânumoditâ lobha-krodha-mohapûrvakâ mridu-madhyâdhimâtrâ duhkhâjnânânta-phalâ iti pratipaksha-bhâvanam
वितर्का हिंसादयः कृतकारितानुमोदिता लोभक्रोधमोहापूर्वका मृदुमध्य अधिमात्रा दुःखाज्ञानानन्तफला इति प्रतिप्रक्षभावनम् ॥३४॥
Dies ist die längste Sutra (die kürzeste ist übrigens Sutra I-23). Sie bezieht sich auf die Yamas und Niyamas. Patanjali verdeutlicht noch einmal, wie wichtig die Beachtung der ersten beiden Stufen des achtfachen Yoga-Pfades sind: die Einhaltung der Yamas und Niyamas. Kurz gefasst: Wer diese nicht beachtet, wird leiden und keine Fortschritte in seiner Entwicklung machen. Auf der anderen Seite gilt auch: Wer diese Regeln befolgt, wird reichen Segen ernten.
In II-34 werden die Yamas und Niyamas begründet ► mögliche Wirkungsketten ► Übersetzungsalternativen ► Von direktem und indirektem Handeln ► geistige Tipps & Tricks ► ...
Yoga Sutra II-17: Die Identifikation des wahrnehmenden Selbstes mit den wahrgenommenen Objekten ist Ursache [des Leides] und sollte überwunden werden
Drashtri-drishyayoh samyogo heya-hetuh
द्रष्टृदृश्ययोः संयोगो हेयहेतुः
In dieser Sutra finden wir Ursache und Erlösung von allem Leid. Wir müssen nur unsere Unwissenheit, unsere Falsch-Wahrnehmung und Fehl-Identifikation überwinden, dadurch nicht mehr den Wahrnehmenden (Atman, Purusha) mit dem Wahrgenommenen (Prakriti) verwechseln und schon wären wir aller Sorgen ledig. Doch wie gelingt uns das?
Yoga Sutra I-6: Die fünf Arten der Bewegungen im Geist sind wahrhaftes Wissen, falsches Auffassen, Wortirrtum, Schlaf und Erinnerung
Pramâna–viparyaya–vikalpa–nidrâ–smritayah
प्रत्यक्षानुमानागमाः प्रमाणानि
Weiter geht es mit der Einteilung der Geistesaktivitäten. Die nachfolgenden Übersetzungsvarianten liefern Alternativdeutungen für die jeweilige Vritti:
Yoga Sutra II-3: Unwissenheit, Identifikation mit dem Ego, Begierde, Abneigung und (Todes-)Furcht sind die fünf leidbringenden Zustände (Kleshas)
Advidyâsmita–râga–dveshâbhiniveshah kleshah
अविद्यास्मितारागद्वेषाभिनिवेशः क्लेशाः
Kommen wir zu den leidvollen Zuständen, welche den Yogi an der Befreiung hindern. Patanjali gibt hier eine erste Definition der Hindernisse auf dem Yoga-Pfad. Interessant sind auch die Parallelen im Buddhismus.
In den rechten Tabs finden sich Videos zu dieser Sutra. Leider nur noch auf Englisch. Zu den ersten Sutra gibt es noch eine Reihe von deutschen Videos, siehe die dortigen Vorschläge.
{tab Nayaswami Asha}