Shauchât svânga-jugupsâ parair asamsargah
शौचात् स्वाङ्गजुगुप्सा परैरसंसर्गः
Viele Yoga-Praktizierende erfahren beim erstmaligen Lesen dieser Sutra eine gewisse Ernüchterung. Vor allem im Westen, wo viele „Yoga“ zur körperlichen Ertüchtigung und zur Erzielung eines anziehenden Äußeres üben. Die Abwendung vom Körperlichen als Folge yogischen Wandelns? Klingt dann nicht gerade attraktiv ...
Doch verurteile man diese Sutra nicht, bevor man nicht deren Hintergründe erfahren und weitere Übersetzungsmöglichkeiten gelesen habe.
In II-40 wird eine Folge von Shaucha – Reinheit – beschrieben. ► Wieso kommt es zu Distanzierung und Abneigung? ► Übersetzungsalternativen ► Hintergrund ► Wirkungsabläufe ► ...
1. Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits
Hier sind zunächst die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Wörter, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis anpassen kannst:
- Shaucha, Sauca, śauca, shauchât = (von) Reinheit; Reinigung, Reinlichkeit, Hygiene; Beseitigung von Schlacke;
- Sva, svā = eigen;
- Anga, aṅga = Körper; (eigene) Glieder;
- Svanga, svāṅga, svânga = seine Glieder, d.h. der eigene Körper; die eigenen Teile;
- Jugupsa, jugupsâ = Abscheu; Abwendung; Abstand; Ekel; Widerwillen; spontane Distanzierung;
- Paraih, parai = mit anderen; von äußerlichem; von anderen;
- Samsargah, saṁsarga = weltlicher Verkehr; Vermischung; Geschlechtsakt; Geschäft;
- Asamsargah, asaṁsarga = kein Kontakt; Unberührtheit; Kontaktlosigkeit; nicht beeinflusst; Freiheit von Kontakt;
Zu den Quellen
Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:
Bücher
- Mircea Eliade: Yoga – Unsterblichkeit und Freiheit
- Iyengar: Der Urquell des Yoga
- Deshpande/Bäumer: Die Wurzeln des Yoga
- Geraldine Coster: Yoga und Tiefenpsychologie
- R. Sriram: Von der Erkenntnis zur Befreiung – Das YogaSutra
- Govindan: Die Kriya Yoga Sutras des Patanjali
- Mallinson/Singleton: Roots of Yoga
- R. Palm: Der Yogaleitfaden des Patañjali
- T.K.V. Desikachar: Über Freiheit und Meditation | Das Yoga Sutra von Patanajali
- Feuerstein, Georg: Die Yoga Tradition (Amazon)
- Skuban, Ralph: Patanjalis Yogasutra (Amazon)
- Sri Swami Satchidananda: The Yoga Sutras of Patanjali (Amazon)
- Trevor Leggett: The complete Commentary by Sankara on the Yoga-Sutras* (Amazon)
Internetseiten
- Internet-Übersetzung des Yogasutras auf Yoga-Vidya.de
- Zu den Sutras auf ashtangayoga.info
- Zu den Sutras auf 12koerebe.de
- Zu den Sutras auf vedanta-yoga.de
- Openland.de (mittlerweile offline)
- Zu www.bodhi.sofiatopia.org (buddhistische Kommentare zum Yogasutra nur noch als Buch)
- sanskrit-sanscrito.com (Sutras anscheinend entfernt)
- Zur Übersetzung von Chip Hartranft (PDF)
- Die Übersetzung von Hariharananda Aranya, I. K. Taimni, Vasa Houston, Barbara Miller, Swami Satchidananda, Swami Prabhavananda, Swami Vivekananda finden sich auf dieser Seite.
- Übersetzung von James Haughton Woods
- Rainbowbody.com (ausführliche und eigene Kommentierung)
- Wisdom Library
Dein Übersetzungsvorschlag
Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.
Hast du einen eigenen Übersetzungsvorschlag?
Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)
3. Wo wir stehen
Hier findest du eine kurze Zusammenfassung des 2. Kapitels des Yogasutras bis zu Sutra II-39:
Yoga Sutra - 2. Kapitel - bis hierher
Wir befinden uns im zweiten Kapitel des Yogasutra von Patanjali. Es handelt von der „Praxis“. Patanjali beginnt das Kapitel mit dem Versprechen, dass Yoga die Leiden des Yogis vermindere und (irgendwann) zu Samadhi, zur allumfassenden Freiheit führe.
In Sutra II-3 bis II-11 schildert Patanjali die fünf Haupt-Hindernisse auf dem Yogapfad, die sogenannten Kleshas (Unwissenheit, Anhaftung, Ablehnung, Ego, Lebensdrang). Erste Wege zur Überwindung der Hindernisse werden angerissen (Gegenschöpfung, Meditation).
Sutra II-12 bis II-15 handeln von Karma (Folgen von Handlungen und Gedanken, die aufgrund der Kleshas geschehen) und dem inhärenten Leid von allem und jedem in dieser Welt. Grundübel ist dabei unsere Identifikation mit dem, was wir nicht sind.
Dann geht es bei den Sutras weiter mit den Schritten, das Leiden zu besiegen. Patanjali sieht es als „die“ Aufgabe des Yogis an, den Unterschied zwischen Sehenden und Gesehenem zu erkennen. Nach und nach sollte diese Erfahrung kultiviert und ausgebaut werden. So gelange man zur Freiheit – Kaivalya (auch mit „letzter Freiheit“, Isoliertheit (Alleinheit), höchster Befreiung oder „vollkommener Erlösung“ übersetzt.
Nachdem Patanjali in den Sutras II-18 und II-19 über Prakriti, die Natur/unsere Welt, gesprochen hat, geht er dann auf deren Beobachter, den Seher (Purusha) und dessen Wahrnehmung ein. Von Sutra II-20 bis Sutra II-27 erläutert Patanjali Grund und das Zustandekommen unserer Existenz, wie die Unwissenheit unser Dasein bestimmt und dass Viveka Khyati, die Unterschreidungskraft oder unterscheidende Wahrnehmung, dauerhaft angewendet unsere Unwissenheit beendet. In den Sutras II-28 bis Sutra III-8 gibt Patanjali die konkrete Praxisempfehlung Ashtanga Yoga, um unser falsches Bild von der Welt – das Leid verursacht und unsere Befreiung verhindert – auch ohne großes spirituelles Talent zu überwinden. Den achtfachen Pfad des Raja Yoga, des königlichen Yoga.
In Sutra II-30 zählt Patanjali auf, was zur ersten Stufe des Pfades, den Yamas, gehört, in II-31 betont er deren universelle Gültigkeit. In II-32 listet er die Niyamas auf, die yogischen Empfehlungen für den Umgang mit uns selbst. In II-33 und II-34 benennt er, welche Folgen sich daraus ergeben, wenn unser Geist sich weigert, die Yamas und Niyamas zu befolgen und was wir dagegen tun können: die Kultivierung des gegenteiligen Gedankens/Zweifels (Pratipaksha Bhavana). Die Sutra II-35 (Ahimsa-Nichtverletzen) bis II-39 (Aparigraha-Begierdelosigkeit) schildern die besonderen Kräfte und Fähigkeiten, die ein Mensch erlangt, wenn er die Yamas tief in sich verwurzelt.
Ab Yoga II-40 bis II-45 schildert Patanjali die Folgen Einhaltung der Niyamas, hier nun die Effekte von Shaucha, der Reinheit.
4. Abscheu vor anderen Körpern – muss das sein?
Sukadev schreibt: „Diesen Vers mögen die wenigsten. In manchen Übersetzungen des Yoga Sutras werden die Verse sogar abgewandelt, damit westliche Menschen keinen Anstoß daran nehmen. Aber Patanjali hat es tatsächlich so geschrieben, ich kann es nicht ändern …“
Wieso sollte mit der Reinheit ein Gefühl des Ekels aufkommen? In Yoga-Roots findet sich folgende Erläuterung: „Wenn [der Yogi vom] eigenen Körper angewidert ist, übe man Sauberkeit. ... Da er [dann] die wahre Natur des Körpers sieht, möchte er seinen eigenen Körper aufgeben. Wenn man die Reinheit im Körper nicht findet, selbst wenn man ihn mit Erde, Wasser usw. wäscht, wie kann man dann mit den extrem unreinen Körpern anderer in Kontakt kommen [wollen]?“
Auch Swami Satchidananda macht keinen Hehl aus dieser Sutra. Er schreibt, dass die zunehmende Bewusstwerdung des Yogis im Zuge des Reinigungsprozesses zu der Erkenntnis führe, dass der Körper voller Unreinheiten und Sekrete sei, die man kaum attraktiv finden könne. Er fragt provokant: „Wenn wir unsere eigenen Körper als Verkörperung von Dreck empfinden, wie können wir uns dann noch von anderen Körpern angezogen fühlen?“
Swami Satchidananda sieht diesen „Ekel“ ebenfalls als wertvoll an. Seine Begründung: Der Rückgang der Anziehungskraft anderer Körper würde uns viel Ärger im Leben ersparen und wir würden dadurch mehr freie Zeit für „tiefere Dinge“ als den Körper erhalten.
5. Erkennen: ich bin nicht mein Körper
Sukadev betont ebenfalls, dass man vor einer Verurteilung dieser Sutra deren Bedeutung interpretieren müsse. Er sieht in diesen Worten Patanjalis vor allem einen Verweis darauf, dass der Yogi sich durch die Reinheit (Shaucha) über den Körper hinaus entwickelt und sein Augenmerk auf jenes richtet, was über den Körper hinausgeht. Reinheit als ein Weg, sich vom Körperlichen zu lösen. Gemäß dem Motto:
Unreinheit fesselt – Reinheit befreit
Etwas anders ausgedrückt: Mit fortschreitender Reinheit erkennst du, dass du nicht dein Körper bist. Swami Satchidananda: „... da ist kein Unterschied zwischen unserem Körper und unserer Kleidung. Das eine ist ein Haut-Shirt, das andere ein Baumwoll-Shirt.“ Ein Yogi mit dieser Sichtweise identifiziert sich nicht mehr mit den Freuden des Körpers und möchte möglichst wenig Last mit seinem Körper haben. Er sieht die Einschränkungen in „körperlichen Dingen“, dem er (und sie) sich nicht mehr unterwerfen will.
R. Sriram schreibt ergänzend: „Am Leib, in Gedanken und in der Sprache nie unrein zu werden, lehrt großen Abstand.“
6. Es muss ja nicht gleich Ekel sein
R. Skuban übersetzt jugupsâ milder mit „innerer Abstand“ statt mit „Ekel“ oder „Abscheu“. Zunehmende Reinheit „verändert unseren Blick auf die Welt ... das Interesse an der Oberfläche lässt nach“. Andere übersetzen mit „der Wunsch, den eigenen Körper zu bedecken“ [Maldoner], „das Gedankliche Zurückziehen aus dem Körperbewusstsein“ [Sai Baba] oder gar nur mit „vornehme Distanz gegen den eigenen Leib“ [Hauer].
Govindan ergänzt: „... kann jugupsa auch etwas Positives oder eher Ausgleichendes bedeuten, im Sinne von Distanzierung oder Behutsamkeit gegenüber dem eigenen Körper und dem Umgang mit anderen“.
7. Die Ebenen der Reinigung
Reinigung bzw. Reinheit wird von vielen Kommentatoren nicht nur auf den Körper bezogen. R. Skuban: „Alle Schichten unseres Wesens werden auf dem Yoga-Weg geklärt“.
7.1. Reinigung der körperlichen Ebene
Hier ist es vor allem die physische Reinigung (Duschen, Baden, Sport, Yoga-Reinigungsübungen). Iyengar: „Wie ein Tempel oder eine Kirche täglich gesäubert wird, so sollte auch der innere Körper ... täglich durch Asanas und Pranayama gereinigt werden“.
7.2. Innere Reinigung: gesunde Nahrung in angemessener Menge
Im Ayurveda ist die Ansammlung von Giftstoffen (Ama genannt) eine Hauptursache für Krankheiten. Darum bemüht sich ein Yogi um die Reduzierung von schädlicher Chemie in der (Bio-)Nahrung, Kosmetik etc.
Aber auch die Verringerung der Nahrungsmenge hat sich als Jungbrunnen erwiesen. Regelmäßige Fastenzeiten (auch Intervallfasten) führen zum Umschalten des Körpers auf Reparatur, Reinigung und Ausscheiden von Giftstoffen.
Ein weiterer Umstand fördert diesen Prozess. Iyengar schreibt: „Reinheit und Reinlichkeit“ würden dazu führen, dass der Yogi immer weniger den „Sinnesfreuden“ zuneige. Diese helfen dem Sadhaka (yogischen Schüler), „sich von sinnlichen Begierden abzuwenden“. Deshalb mache Sauca, die Reinheit, „den Körper zum Instrument der spirituellen Suche.“ Der Einhaltung einer gesunden Lebensweise kommt diese Haltung natürlich auch entgegen.
7.3. Entspannungsübungen
Auch Verspannungen können als Unreinheiten angesehen werden.
7.4. Pranakörper
Hier gelten vor allem Kapalabhati und Nadi Shodana als Reinigungsübungen für den Pranakörper.
7.5. Emotionaler Körper
Mitgefühl, Mitfreude, empathisches Einfühlen in andere. Liebe. Reine Gedanken über andere Menschen reinigen den emotionalen Körper
7.6. Geistige Ebene
Rainbowbody schreibt: „Auf geistiger Ebene ist die Meditation die beste Praxis von saucha, d.h. die Reinigung des Geistes und die Beseitigung der Bewusstseinsverschleierungen.“
7.7. Intellekt
Intellektuelle Klarheit kann sich durch tiefes Nachdenken einstellen. Zudem solle man dem Geist auch nur gesunde Kost zuführen. Frage dich: Wie viel Fernsehen ist gut für mich? Welche Art von Sendungen sollte ich meiden? Welche Musik fördert meinen spirituellen Geist?
8. Der Lohn: ein Guru!
Der alte Hindu-Spruch: „Wenn der Schüler bereit ist, wird der Guru kommen“ dürfte bekannt sein. Swami Satchidananda sieht in dieser Sutra eine Entsprechung: Wenn der Yogi sich durch die Einhaltung der Yamas und Niyamas genügend gereinigt hat, wird sein Guru in der einen oder anderen Form zu ihm kommen.
9. Vergleiche Tirumantiram Vers 725
Hintergründe zum Tirumantiram
Das Tirumantiram von Tirumular
Tirumular war ein Mystiker und Schriftsteller aus Tamil Shaivite, der als einer der Nayanmars (Gruppe von 63 Heiligen, die im 3. bis 8. Jahrhundert n. Chr. in Tamil Nadu lebten und die dem hinduistischen Gott Shiva gewidmet waren) und einer der 18 Siddhars (vervollkommneter Mensch mit spirituellen Kräften) angesehen wurde. Sein Hauptwerk, das Tirumantiram, das aus über 3000 Versen besteht. Es ist Teil des Schlüsseltextes des Tamil Shaiva Siddhanta, des Tirumurai.
Es gab eine Zeit, in der ich den Körper verachtete;
Aber dann sah ich den Gott darin.
Und der Körper, so erkannte ich,
ist der Tempel des Herrn, und so begann ich,
ihn mit unendlicher Sorgfalt zu bewahren.
10. Siehe auch
Yoga Sutra II-43: Durch tapas (Entsagungen, Selbstzucht) verschwinden Unreinheiten; dies führt zu Vollkommenheit und Beherrschung vom Körper und den Sinnen
11. Dein Feedback / deine offene Frage an den Text
Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?
Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:
12. Übung zu Sutra II-40
Übungsvorschlag für die kommende Woche zu Sutra II-40:
Probiere in der kommenden Woche jeden Tag eine Yoga-Reinigungstechnik aus. Stelle dir dabei die Frage: Bin ich dieser Körper?
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13. Videos zu Sutra II-40
Sukadev zu den Sutras II-40 und II-41
Länge: 26 Minuten
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Video von Desikachar zur Sutra
Desikachar Video zu Sutra II-40 und II-41
Länge: 54 Minuten
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