svasvāmi-śaktyoḥ svarūp-oplabdhi-hetuḥ saṁyogaḥ
स्वस्वामिशक्त्योः स्वरूपोपलब्धिहेतुः संयोगः
Wieder eine positive Sutra in Bezug auf unser Dasein und unsere Erfahrungen in der Welt. Sie gibt eine (Teil-)Antwort auf den Sinn des Lebens. Wir schauen uns die verschiedenen Deutungsmöglichkeiten dazu an.
1. Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits
Zunächst hier die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Worte, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis variieren kannst:
- Swa, sva = eigene; von ihr (Prakriti); Besitz;
- Svami, svāmi, swami = Meister; von dem Meister (Purusha); das Wahre Selbst, Drasthu, Atma; Besitzer;
- Sakti, śakti = Energie, Kraft;
- Shaktyoh, śaktyoḥ = von den Kräften; das wandelbare Selbst; Kraft; Fähigkeit;
- Svarupa, svarūpa, swarûp = eigene, wahre Natur; eigene Form; wirkliche Form; Wesen;
- Upalabdhi = Erfahrung, Wissen; erfahren; hervortreten, sich zeigen; Erkennen; Wahrnehmen;
- Hetu, hetuh = Ursache, Grund; Zweck;
- Samyoga, saṁyoga, samyogah = Vereinigung; Zusammenkommen; Bindung; (meint hier: zwischen Sehendem und Gesehenem); Verbindung;
Zu den Quellen
Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:
Bücher
- Mircea Eliade: Yoga – Unsterblichkeit und Freiheit
- Iyengar: Der Urquell des Yoga
- Deshpande/Bäumer: Die Wurzeln des Yoga
- Geraldine Coster: Yoga und Tiefenpsychologie
- R. Sriram: Von der Erkenntnis zur Befreiung – Das YogaSutra
- Govindan: Die Kriya Yoga Sutras des Patanjali
- Mallinson/Singleton: Roots of Yoga
- R. Palm: Der Yogaleitfaden des Patañjali
- T.K.V. Desikachar: Über Freiheit und Meditation | Das Yoga Sutra von Patanajali
- Feuerstein, Georg: Die Yoga Tradition (Amazon)
- Skuban, Ralph: Patanjalis Yogasutra (Amazon)
- Sri Swami Satchidananda: The Yoga Sutras of Patanjali (Amazon)
Internetseiten
- Internet-Übersetzung des Yogasutras auf Yoga-Vidya.de
- Zu den Sutras auf ashtangayoga.info
- Zu den Sutras auf 12koerebe.de
- Zu den Sutras auf vedanta-yoga.de
- Openland.de (mittlerweile offline)
- Zu www.bodhi.sofiatopia.org (buddhistische Kommentare zum Yogasutra nur noch als Buch)
- sanskrit-sanscrito.com (Sutras anscheinend entfernt)
- Zur Übersetzung von Chip Hartranft (PDF)
- Die Übersetzung von Hariharananda Aranya, I. K. Taimni, Vasa Houston, Barbara Miller, Swami Satchidananda, Swami Prabhavananda, Swami Vivekananda finden sich auf dieser Seite.
- Übersetzung von James Haughton Woods
- Rainbowbody.com (ausführliche und eigene Kommentierung)
Dein Übersetzungsvorschlag
Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.
Hast du einen eigenen Übersetzungsvorschlag?
Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)
Vereinigung Seher und Gesehenes -> Erkenntnis
3. Wo wir stehen
Wir befinden uns im zweiten Kapitel des Yogasutra von Patanjali. Es handelt von der „Praxis“. Patanjali beginnt das Kapitel mit dem Versprechen, dass Yoga die Leiden des Yogis vermindere und (irgendwann) zu Samadhi, zur allumfassenden Freiheit führe.
In Sutra II-3 bis II-11 schildert Patanjali die fünf Haupt-Hindernisse auf dem Yogapfad, die sogenannten Kleshas (Unwissenheit, Anhaftung, Ablehnung, Ego, Lebensdrang). Erste Wege zur Überwindung der Hindernisse werden angerissen (Gegenschöpfung, Meditation).
Sutra II-12 bis II-15 handeln von Karma (Folgen von Handlungen und Gedanken, die aufgrund der Kleshas geschehen) und dem inhärenten Leid von allem und jedem in dieser Welt. Grundübel ist dabei unsere Identifikation mit dem, was wir nicht sind.
Dann geht es bei den Sutras weiter mit den Schritten, das Leiden zu besiegen. Patanjali sieht es als „die“ Aufgabe des Yogis an, den Unterschied zwischen Sehenden und Gesehenem zu erkennen. Nach und nach sollte diese Erfahrung kultiviert und ausgebaut werden. So gelange man zur Freiheit – Kaivalya (auch mit „letzter Freiheit“, Isoliertheit (Alleinheit), höchster Befreiung oder „vollkommener Erlösung“ übersetzt.
Nachdem Patanjali in den Sutras II-18 und II-19 über Prakriti, die Natur/unsere Welt, gesprochen hat, geht er dann auf deren Beobachter, den Seher (Purusha) und dessen Wahrnehmung ein. Von Sutra II-20 bis Sutra II-26 erläutert Patanjali zudem Grund und das Zustandekommen unserer Existenz. In den hierauf folgenden Sutras des zweiten Kapitels ab II-26 gibt er konkrete Praxisempfehlungen, um unser falsches Bild von der Welt – das Leid verursacht und unsere Befreiung verhindert – zu überwinden.
4. Wozu gibt es das Universum?
Ganz ähnlich wie in Sutra II-21 beschreibt Patanjali in dieser Sutra den Daseinsgrund der Welt als Erfahrungs-Spielwiese für unser Wahres Selbst. Alles damit wir unsere wahre Natur erkennen lernen. Swami Satchidananda: „Die Welt (Prakriti) ist nicht nur ein Gefängnis, wie viele Leute glauben. Sie ist notwendig [für unsere Erleuchtung]“. Govindan: „... vielmehr belehrt sie [die Natur] [uns] wie eine Mutter und führt uns schließlich heim.“
5. Suche die Schwierigkeit
Sukadev sieht in dieser Sutra (erneut) die Forderung, den Herausforderungen im Leben nicht aus dem Weg zu gehen. Wenn das Leben einem eine Aufgabe stellt, sollte man sie freudig und beherzt angehen. Auch wenn diese außerhalb unserer Komfortzone liegt, wir beispielsweise vor vielen Menschen aufzutreten sollen oder eine lange Reha-Zeit durchzustehen haben.
Sukadev ermuntert sogar, sich solche Herausforderungen zu suchen. Und mahnt gleichzeitig, es dabei nicht zu übertreiben. Doch er sieht bei spirituell Suchenden eher die Gefahr, sich zu sehr aus der Welt zurückzuziehen.
R. Sriram: „Erst durch die Berührung mit der Welt ... kann Klarheit über das eigene Wesen gewonnen werden.“
Dies passt gut zum Komfortzonenmodell:
Es gibt einen Bereich, in dem es zwar ein wenig ungemütlich wird, wir dafür aber unsere Fähigkeiten ausbauen. Mehr dazu hier.
Auch R. Palm ermuntert: „Denn derjenige, der die je eigenen Energien [bzw. Kräfte, sakti] des Eigenen und des Eigners [swa-swami] begreift, ist keiner von beiden mehr, sondern >er selbst<, atman: Er selbst.“
6. Wozu das Ganze überhaupt?
Warum braucht unser Wahres Selbst, Purusha, denn überhaupt die Welt, Prakriti, um sich selbst zu erkennen? Ginge das nicht auch anders? Leichter? Vor allem, weil dieses Erfahren doch oft mit viel Leid und Mühe einhergeht.
Auf diese Frage existieren verschiedene Antworten.
- Buddha ging nicht erst darauf ein, er hielt die Beantwortung dieser Frage mit dem Intellekt für nutzlos.
- Für die Vedanta-Philosophie ist die Frage obsolet, da immer schon alles nur Bewusstsein war. Andere Sichtweisen unterliegen der Täuschung – Maya. Auch Leiden ist Illusion.
- Andere Yoga-Philosophien sehen die Welt als ein Spiel Gottes an. Naja ...
- „Warum gibt es die Welt?“ Das ist der Titel eines Buches des Physiker Lee Smolin. Er hat es 1997 veröffentlicht. Darin befasst er sich mit genau dieser Frage. Nach reichlicher Überlegung und Deutung der bisherigen physikalischen Erkenntnisse komme er zu dem Schluss, dass alles Existierende das Ergebnis eines evolutionären Prozesses sei. Die Entstehung von Leben sei damit kein Zufall, sondern Resultat einer natürlichen kosmischen Auslese.
- In seinem Buch „Ein Universum aus Nichts... und warum trotzdem etwas ist“ postuliert Lawrence Krauss – seines Zeichens ebenfalls Physiker – folgende Schlussfolgerung aller bekannten physikalischen Gesetzmäßigkeiten: „Das Universum ist aus dem Nichts entstanden.“
6.1. Ein Physiker trifft Gott
Es gibt eine Anekdote über den berühmten theoretischen Physiker Wolfgang Pauli, der von 1900 bis 1958 lebte. Nach seinem Tode konnte er es kaum erwarten, vor Gott zu treten. Gleich als er Gott das erste Mal traf reichte er ihm Papier und Stift und fordert aufgeregt: „Endlich erfahre ich alles über die Physik und den Urknall. Bitte schreibe es mir auf, lieber Gott!“
Der Herr setzte zögerlich an, eine Gleichung herzuleiten, da stürzte Pauli auch schon vor und strich alles wieder durch. Er rügte: „So geht das doch nicht! Den Ansatz habe ich schon probiert.“
6.2. Ted-Talk: Warum gibt es das Universum?
- Länge: 17 Minuten;
- Englisch mit deutschen Untertiteln
Wir sehen: Auch die Wissenschaft hat bisher keine zufriedenstellende Antwort auf die Frage nach dem Sinn allen Seins gefunden. Patanjali nennt ebenfalls keine wirkliche Weltendaseinsberechtigung. Aus irgendeinem Grund – vielleicht aus einer Unwissenheit heraus – „betritt“ Purusha die Prakriti und erkennt diese über den Filter des menschlichen Geistes. Purusha findet erst über die in der Prakriti gemachten Erfahrungen und Erkenntnisse wieder zurück zu seiner wahren Natur.
Wim van den Dungen geht, als Anhänger des Buddhismus, in seiner Besprechung zu dieser Sutra mit Patanjali hart ins Gericht: „Anstatt seine Axiome an das anzupassen, was die Erfahrung lehrt, bestätigt er sie lediglich und wendet sich, wie alle dogmatischen Denker in allen religiösen Idealismen, von deren unsinnigen Konsequenzen ab. Die Metaphysik des klassischen Yoga ist [damit] nicht besser als die dogmatischen Modelle der Monotheismen, die auf der Grundlage des griechischen (meist platonischen) Substanzdenkens entwickelt wurden.“
Deine Meinung: Warum gibt es das Universum?
Warum gibt es überhaupt etwas und nicht nichts? Was meinst du?
Hier die bisherigen Antworten anschauen ⇓
Antwort 1
Aus einem Grund, den wir mit unserem Verstand nicht zu erfassen vermögen.
7. Die eigene Kraft erfahren
Patanjali sagt noch etwas in dieser Sutra: Purusha erfährt in dieser Welt seine Kräfte. Auch das sei ein Grund unseres Hierseins. Allerdings kann dieser Teil der Sutra auch anders gedeutet werden. Iyengar beispielsweise übersetzt „... dass die Einheit der Kräfte und ihres Besitzers erkannt wird.“ Er sieht hier eher den Wunsch nach „Verschmelzung“, statt das Kennenlernen neuer Kräfte.
8. Siehe auch - Sutras mit zugehörigen Aussagen
Yoga Sutra II-21: Die Welt existiert nur für den Sehenden
Tadartha eva dṛśyasyātmā
तदर्थ एव दृश्यस्यात्मा
Eine durch und durch positive Sutra. Und eine, aus der wir viel Kraft schöpfen können – in guten und in schlechten Zeiten. Eine Sutra, die unser Interesse für die Welt und unsere permanente Achtsamkeit stark zu motivieren vermag. Die uns bei einer Entscheidung „Soll ich das jetzt tun oder lieber lassen“ als Richtschnur zur Verfügung steht.
9. Übung zu Yoga Sutra II-23
Übungsvorschlag für die kommende Woche zu Sutra II-23:
Iyengar mahnt, dass der Yogi stets in wacher Aufmerksamkeit sein Bewusstsein im Auge behalten müsse. Fortwährend reiner Betrachter bleiben, ohne anzuhaften.
Sei darum in der kommenden Woche (möglichst oft) mit Ruhe aktiv und aktiv in der Ruhe (Vorschlag von Govindan).
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9.1. Dein Feedback / deine offene Frage an den Text
Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?
Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:
10. Videos zu Sutra II-23
In den Tabs finden sich Videos zu dieser Sutra.
Yogaprasad Institute zu Sutra II-19 bis II-28:
Desikachar Video zu Sutra II-23 und II-24:
{tab Nayaswami Asha}
Nayaswami Asha Video zu den Sutras II-21 bis II-26:
{tab Sukadev}
Yoga-Vidya Videos zu den Sutras II-1 bis II-11:
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