Kritârtham prati nashtam apy anashtam tad-anya-sâdhâranatvât
तदर्थ एव दृश्यस्यात्मा
Dies ist eine für den Normalmenschen kaum nachvollziehbare Sutra. Wie soll sich die Welt für mich auflösen, wenn ich sie völlig (und dauerhaft) durchschaue? Die Kommentatoren versuchen, diesen Prozess zu erklären und geben wertvolle Empfehlungen.
1. Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits
Hier sind zunächst die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Wörter, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis anpassen kannst:
- Krta, kṛṭa = vollendet; getan; erreicht;
- Artham, artha arthaṁ = Ziel; Sinn, Zweck; Bedeutung;
- Kritasrtham, kritârtham = dessen Zweck erfüllt ist; abgeschlossenes Thema;
- Prati = für; zu; mit Beachtung von;
- Nashtam, naṣṭam, nasta = zerstört; nicht vorhanden; verschwunden; verloren;
- Pratinasta = verschwindet;
- Apy = obwohl; trotzdem;
- Anashtam, anaṣṭaṁ = weiter bestehen; nicht zerstört; weiter vorhanden;
- Tat = als das; das;
- Anya = andere; zu anderen; für die anderen;
- Sadharanatvat, sâdhâranatvât = da es allgemein (gültig) ist; gemeinsame Erfahrung; Allgemeingültigkeit; aufgrund von Universalität;
Zu den Quellen
Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:
Bücher
- Mircea Eliade: Yoga – Unsterblichkeit und Freiheit
- Iyengar: Der Urquell des Yoga
- Deshpande/Bäumer: Die Wurzeln des Yoga
- Geraldine Coster: Yoga und Tiefenpsychologie
- R. Sriram: Von der Erkenntnis zur Befreiung – Das YogaSutra
- Govindan: Die Kriya Yoga Sutras des Patanjali
- Mallinson/Singleton: Roots of Yoga
- R. Palm: Der Yogaleitfaden des Patañjali
- T.K.V. Desikachar: Über Freiheit und Meditation | Das Yoga Sutra von Patanajali
- Feuerstein, Georg: Die Yoga Tradition (Amazon)
- Skuban, Ralph: Patanjalis Yogasutra (Amazon)
- Sri Swami Satchidananda: The Yoga Sutras of Patanjali (Amazon)
- Trevor Leggett: The complete Commentary by Sankara on the Yoga-Sutras* (Amazon)
Internetseiten
- Internet-Übersetzung des Yogasutras auf Yoga-Vidya.de
- Zu den Sutras auf ashtangayoga.info
- Zu den Sutras auf 12koerebe.de
- Zu den Sutras auf vedanta-yoga.de
- Openland.de (mittlerweile offline)
- Zu www.bodhi.sofiatopia.org (buddhistische Kommentare zum Yogasutra nur noch als Buch)
- sanskrit-sanscrito.com (Sutras anscheinend entfernt)
- Zur Übersetzung von Chip Hartranft (PDF)
- Die Übersetzung von Hariharananda Aranya, I. K. Taimni, Vasa Houston, Barbara Miller, Swami Satchidananda, Swami Prabhavananda, Swami Vivekananda finden sich auf dieser Seite.
- Übersetzung von James Haughton Woods
- Rainbowbody.com (ausführliche und eigene Kommentierung)
- Wisdom Library
Dein Übersetzungsvorschlag
Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.
Hast du einen eigenen Übersetzungsvorschlag?
Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)
3. Wo wir stehen
Wir befinden uns im zweiten Kapitel des Yogasutra von Patanjali. Es handelt von der „Praxis“. Patanjali beginnt das Kapitel mit dem Versprechen, dass Yoga die Leiden des Yogis vermindere und (irgendwann) zu Samadhi, zur allumfassenden Freiheit führe.
In Sutra II-3 bis II-11 schildert Patanjali die fünf Haupt-Hindernisse auf dem Yogapfad, die sogenannten Kleshas (Unwissenheit, Anhaftung, Ablehnung, Ego, Lebensdrang). Erste Wege zur Überwindung der Hindernisse werden angerissen (Gegenschöpfung, Meditation).
Sutra II-12 bis II-15 handeln von Karma (Folgen von Handlungen und Gedanken, die aufgrund der Kleshas geschehen) und dem inhärenten Leid von allem und jedem in dieser Welt. Grundübel ist dabei unsere Identifikation mit dem, was wir nicht sind.
Dann geht es bei den Sutras weiter mit den Schritten, das Leiden zu besiegen. Patanjali sieht es als „die“ Aufgabe des Yogis an, den Unterschied zwischen Sehenden und Gesehenem zu erkennen. Nach und nach sollte diese Erfahrung kultiviert und ausgebaut werden. So gelange man zur Freiheit – Kaivalya (auch mit „letzter Freiheit“, Isoliertheit (Alleinheit), höchster Befreiung oder „vollkommener Erlösung“ übersetzt.
Nachdem Patanjali in den Sutras II-18 und II-19 über Prakriti, die Natur/unsere Welt, gesprochen hat, geht er dann auf deren Beobachter, den Seher (Purusha) und dessen Wahrnehmung ein. Von Sutra II-20 bis Sutra II-26 erläutert Patanjali zudem Grund und das Zustandekommen unserer Existenz. In den hierauf folgenden Sutras des zweiten Kapitels ab II-26 gibt er konkrete Praxisempfehlungen, um unser falsches Bild von der Welt – das Leid verursacht und unsere Befreiung verhindert – zu überwinden.
Wie kann man sich das Verschwinden der Welt vorstellen?
4. Die Welt entschwindet
Patanjali schreibt, dass mit dem Erreichen der Erleuchtung die Welt für den Erleuchteten verschwindet. Üblicherweise wird dies als ein Verschmelzen des Wahren Selbstes (Purusha) mit dem Universum (Prakriti) verstanden. Alles wird als Einheit gesehen. Die Täuschung – Maya – ist gelüftet.
Iyengar interpretiert: dann sei der Yogi „... aus dem Gefängnis des inneren Sinns und der äußeren Sinne“ befreit. Die „Beziehung“ des derart befreiten Menschen zur Natur komme zu einem Ende, ja, die Natur höre für diesen Mensch sogar auf zu existieren. Nur seine Wesensidentität – Svarupa – würde dieser Mensch noch wahrnehmen.
In der Shiva-Samhita lesen wir, dass im Laufe dieses Weltverschwindens für den Yogi „alle äußerlichen Wesenheiten“ untergehen. So würde er von den Fesseln der Welt befreit.
Swami Satchidananda sieht ständige Wachsamkeit in der Welt als Bedingung zum Erreichen dieser Befreiung, denn „die Welt versucht uns ständig zu täuschen.“
Für viele Kommentatoren ist diese Sutra (dennoch) ein weiterer Beleg dafür, dass Patanjali eine objektive Wirklichkeit für real hält.
5. Die Welt hat ihren Sinn erfüllt.
Swami Satchidananda schreibt ebenfalls, dass derjenige, der die Natur versteht, sie als Maya – als Illusion – erkennt. Dies geschähe dann, so Sriram, wenn die Objekte der Welt ihren Zweck für den Yogi verloren haben. Sinnlos geworden sind. Er aus dem Träumen mit offenen Augen erwacht (Govindan).
5.1. ... und bleibt doch bestehen
Dennoch existiert die Welt weiterhin für alle anderen, noch nicht erleuchteten Lebewesen. Wim van den Dungen schreibt: „Patanjali lehnt die Idee ab, dass eine einzelne Person in der Lage ist, das Universum zu zerstören [und damit das Leiden für alle zu vernichten] ... Letzteres würde nur passieren, wenn alle Menschen gleichzeitig befreit würden.“ Ebenso würde Buddha argumentieren, für den das Erwachen immer die Frucht des Weges eines individuellen Geistes gewesen sei.
6. Die große Erleichterung
Swami Satchidananda verspricht, dass die Welt uns nicht mehr plagen wird, wenn wir ihren Erfahrungsmöglichkeiten nicht weiter hinterherlaufen. „Die Welt wird [dann] unser Diener.“ Dieser Zustand würde durch völliges Verstehen der Natur allen Seins erreicht.
Die gute Nachricht: Die Natur will uns bei diesem Erkenntnisprozess helfen – mit ihren Erfahrungsmöglicheiten. Mit allem, was wir in dieser Welt erleben. Satchidananda fordert – neben vielen anderen Kommentatoren – vor diesem Hintergrund, vor der Welt nicht davonzulaufen. Man müsse die Natur gut kennen, Weltabgewandtheit führe nicht zu einem besseren Verstehen. „Wenn wir jetzt von etwas entkommen wollen, wird es uns umso schwieriger später doch wieder aufsuchen.“
6.1. Dein Feedback / deine offene Frage an den Text
Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?
Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:
7. Siehe auch - Sutras mit zugehörigen Aussagen
tad-abhābāt-saṁyoga-abhāvo hānaṁ taddṛśeḥ kaivalyam
तदभावात्संयोगाभावो हानं तद्दृशेः कैवल्यम्
Diese Sutra geht auf den Prozess der Erleuchtung ein. Die Kommentatoren erläutern den Zusammenhang Unwissenheit → Anhaftung in der Welt → Leid. Sie ermuntern uns, die scheinbaren Freuden dieser Welt nicht allzulange hinterherzulaufen, sondern zügig und konsequent die wahre Wirklichkeit zu erkennen.
8. Übung zu Yoga Sutra II-22
Übungsvorschlag für die kommende Woche zu Sutra II-22:
Stelle dir einmal vor, wie es wäre, wenn die Welt (da draußen) für dich endet. Wie könnte so ein Verschwinden, ein Auflösen oder Verschmelzen, „aussehen“?
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9. Videos zu Sutra II-22
In den Tabs finden sich Videos zu dieser Sutra.
Yogaprasad Institute zu Sutra II-19 bis II-28:
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Desikachar Video zu Sutra II-21 und II-22:
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{tab Nayaswami Asha}
Nayaswami Asha Video zu den Sutras II-21 bis II-26:
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{tab Sukadev}
Yoga-Vidya Videos zu den Sutras II-1 bis II-11:
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