tad-abhābāt-saṁyoga-abhāvo hānaṁ taddṛśeḥ kaivalyam
तदभावात्संयोगाभावो हानं तद्दृशेः कैवल्यम्
Diese Sutra geht auf den Prozess der Erleuchtung ein. Die Kommentatoren erläutern den Zusammenhang Unwissenheit → Anhaftung in der Welt → Leid. Sie ermuntern uns, die scheinbaren Freuden dieser Welt nicht allzulange hinterherzulaufen, sondern zügig und konsequent die wahre Wirklichkeit zu erkennen.
1. Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits
Zunächst hier die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Worte, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis variieren kannst:
- Tad = (von) dem (meint hier: Avidya, die Unwissenheit); dessen;
- Abhavat, abhava, abhâvât, abhāva = Überwindung; Verschwinden; durch Abwesenheit, durch Ausschaltung; Nicht-Existenz; Nicht-Werden; durch Fehlen; durch Nicht-Vorhandensein;
- Samyoga, saṁyoga = Identifikation, Vereinigung, Verbindung;
- Hanam, hânam, hana, hāna = vermeiden; aufgeben; aufhören; Beendigung; Beseitigung; Aufhebung; Rückgang; Abwesenheit;
- Tat = das; dessen;
- Drisheh, dṛśeḥ, dr̥śeḥ = des Sehers; Sehen; vom Gesehenen;
- Kaivalyam, kaivalya = (totale) Erlösung; Trennung; Befreiung; Emanzipation; Isolation der reinen Wahrnehmung; vollständige Einheit; Glückseligkeit; Lösung von allen Verbindungen; All-Eins-Sein – Alleinsein;
Zu den Quellen
Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:
Bücher
- Mircea Eliade: Yoga – Unsterblichkeit und Freiheit
- Iyengar: Der Urquell des Yoga
- Deshpande/Bäumer: Die Wurzeln des Yoga
- Geraldine Coster: Yoga und Tiefenpsychologie
- R. Sriram: Von der Erkenntnis zur Befreiung – Das YogaSutra
- Govindan: Die Kriya Yoga Sutras des Patanjali
- Mallinson/Singleton: Roots of Yoga
- R. Palm: Der Yogaleitfaden des Patañjali
- T.K.V. Desikachar: Über Freiheit und Meditation | Das Yoga Sutra von Patanajali
- Feuerstein, Georg: Die Yoga Tradition (Amazon)
- Skuban, Ralph: Patanjalis Yogasutra (Amazon)
- Sri Swami Satchidananda: The Yoga Sutras of Patanjali (Amazon)
Internetseiten
- Internet-Übersetzung des Yogasutras auf Yoga-Vidya.de
- Zu den Sutras auf ashtangayoga.info
- Zu den Sutras auf 12koerebe.de
- Zu den Sutras auf vedanta-yoga.de
- Openland.de (mittlerweile offline)
- Zu www.bodhi.sofiatopia.org (buddhistische Kommentare zum Yogasutra nur noch als Buch)
- sanskrit-sanscrito.com (Sutras anscheinend entfernt)
- Zur Übersetzung von Chip Hartranft (PDF)
- Die Übersetzung von Hariharananda Aranya, I. K. Taimni, Vasa Houston, Barbara Miller, Swami Satchidananda, Swami Prabhavananda, Swami Vivekananda finden sich auf dieser Seite.
- Übersetzung von James Haughton Woods
- Rainbowbody.com (ausführliche und eigene Kommentierung)
Dein Übersetzungsvorschlag
Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.
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Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)
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Für wen ist dieser Online-Kurs gemacht?
Dieser Online-Kurs ist für alle Yogi:nis, die sich für Yoga-Philosophie interessieren. Egal, ob Anfänger:in oder bereits fortgeschritten.
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Die letzte Befreiung: Ziel allen Yogas
3. Wo wir stehen
Wir befinden uns im zweiten Kapitel des Yogasutra von Patanjali. Es handelt von der „Praxis“. Patanjali beginnt das Kapitel mit dem Versprechen, dass Yoga die Leiden des Yogis vermindere und (irgendwann) zu Samadhi, zur allumfassenden Freiheit führe.
In Sutra II-3 bis II-11 schildert Patanjali die fünf Haupt-Hindernisse auf dem Yogapfad, die sogenannten Kleshas (Unwissenheit, Anhaftung, Ablehnung, Ego, Lebensdrang). Erste Wege zur Überwindung der Hindernisse werden angerissen (Gegenschöpfung, Meditation).
Sutra II-12 bis II-15 handeln von Karma (Folgen von Handlungen und Gedanken, die aufgrund der Kleshas geschehen) und dem inhärenten Leid von allem und jedem in dieser Welt. Grundübel ist dabei unsere Identifikation mit dem, was wir nicht sind.
Dann geht es bei den Sutras weiter mit den Schritten, das Leiden zu besiegen. Patanjali sieht es als „die“ Aufgabe des Yogis an, den Unterschied zwischen Sehenden und Gesehenem zu erkennen. Nach und nach sollte diese Erfahrung kultiviert und ausgebaut werden. So gelange man zur Freiheit – Kaivalya (auch mit „letzter Freiheit“, Isoliertheit (Alleinheit), höchster Befreiung oder „vollkommener Erlösung“ übersetzt.
Nachdem Patanjali in den Sutras II-18 und II-19 über Prakriti, die Natur/unsere Welt, gesprochen hat, geht er dann auf deren Beobachter, den Seher (Purusha) und dessen Wahrnehmung ein. Von Sutra II-20 bis Sutra II-26 erläutert Patanjali zudem Grund und das Zustandekommen unserer Existenz. Hier geht es nun wieder um die Lösung des Dilemmas, in dem unser Wahres Selbst steckt und das uns so häufig Leid beschert. In den hierauf folgenden Sutras des zweiten Kapitels ab II-26 gibt er konkrete Praxisempfehlungen, um unser falsches Bild von der Welt – das Leid verursacht und unsere Befreiung verhindert – zu überwinden.
Der Rabe steht metaphorisch für Weisheit. Er (bzw. sie) besitzt den Schlüssel zur Befreiung.
4. Das große Versprechen
Patanjali wiederholt hier: Absolute Freiheit ist möglich. Und zwar durch Überwinden der menschlichen Unwissenheit. Iyengar erläutert dazu: dann „... haben die Objekte keinen Einfluss mehr auf den Seher, die Leiden hören auf, und die die Seele erhebt sich zur Erfahrung der vollkommenen Freiheit.“
Ähnliche äußern sich diese Sutras:
5. Die Kraft unseres Verstandes
Dem Verstand genießt beim Streben nach spirituellen Entwicklung oftmals kein hohes Ansehen. Anders sieht es Iyengar: „Die Intelligenz [Buddhi] dient als wirkende Kraft des Sehers [Purusha, unser Wahres Selbst] und hat die Aufgabe, das Bewusstsein von Avidya zu befreien.“
Warum ist diese Befreiung überhaupt nötig? Weil, so Iyengar weiter, sich die „Wirkkräfte der Seele“ von der sinnlichen Welt anziehen lassen und dazu neigen, sich mit diesen Phänomenen zu identifizieren. Dadurch würden wir uns in eine (scheinbare) Gefangenschaft begeben, in der wir – mal mehr, mal weniger – leiden.
Siehe dazu auch die Erläuterungen und Tipps in den Sutras zuvor:
6. Yoga wirkt
Letztendlich zielen alle Lehren und Techniken des Yogas darauf ab, künftiges Leid beim Yogi zu vermeiden. Ihn/sie nach und nach seiner wahren Natur zu nähern, ihn/sie diese irgendwann ganz erkennen und spüren zu lassen. Um am Ende in „völliger Freiheit“ zu existieren.
Dann sei das große Ziel erreicht, sprich die Kleshas (die inneren Hindernisse) sind überwunden und unser wahres Selbst ist erkannt. Dann, so die Yoga-Vasisha, ist Befreiung erlangt. „Befreiung“ sei aber nur ein Synonym für einen Geist, der zur Reinheit gefunden hat, der zur korrekten Selbsterkenntnis erwacht ist und völlig frei von Wollen, Hoffen, Abneigen oder anderen leidbringenden Anhaftungen ist. Diese „Befreiung“ wird auch Nirwana, Kaivalya, „totale Unabhängigkeit“, „raumlose Isolation“ oder „vollkommenes Ledigsein“ genannt.
Wie genau diese „völlige Freiheit“, zu der sich die Seele dann emporschwingen soll, auch aussehen mag. Sie soll jede Anstrengung wert sein.
Wie stellst du dir die „endgültige Freiheit“ vor?
Hast du eine Vorstellung davon, wie sich diese Freiheit anfühlt oder auf dein Leben auswirken würde? Teile deine Gedanken:
7. Der „Feind“ in uns
Iyengar beklagt, dass unser „innerer Sinn“ sich „lieber den Freuden der Welt als der Schau der Seele zuwendet.“ Scheinbar zu unserem Vergnügen, auf längere Sicht verharren wir dadurch aber, gemäß Yogalehre, im Leid.
Patanjali fordert deshalb, die eigene Achtsamkeit und Aufmerksamkeit derart zu schulen und zu disziplinieren, dass wir alle Phänomene in dieser Welt und in unserer Inneren (nur noch) als das erkennen, was sie wirklich sind. Wir nicht länger irgendetwas hineinzuprojizieren, was da gar nicht vorhanden ist.
Damit wir uns mit nichts identifizieren, was wir verlieren können und das bei Verlust – durch identifikationsverursachte Anhaftung – Leid in uns hervorruft.
Damit das Feuer unserer Versklavung erlischt und dadurch der Grund des Gefangenseins verschwindet. Dann löst sich auch automatisch unser Gefängnis auf, siehe Sutra II-22.
Es gilt vieles, was in Sutra II-5 schon gesagt wurde:
Oder in Sutra II-17:
7.1. Dein Feedback / deine offene Frage an den Text
Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?
Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:
8. Siehe auch - Sutras mit zugehörigen Aussagen
sūkṣma-viṣayatvam-ca-aliṇga paryavasānam
सूक्ष्मविषयत्वं चालिङ्गपर्यवसानम्
Die Meditation über subtile Objekte kann bis an eine Grenze getrieben werden, die Patanjali mit Alinga umschreibt. Einem Zustand, der als "undefinierbar subtil" oder "unmanifest" beschrieben wird.
Yoga Sutra II-16: Künftiges Leiden kann und sollte vermieden werden
Heyaṁ duḥkhamanāgatam
हेयं दुःखमनागतम्
Die Lösung naht ... :-)
Patanjali verdeutlicht in dieser Sutra, dass Yoga in gewissem Sinne eine vorbeugende Heilkunst ist. Ein Weiser bemüht sich, künftiges Leiden jetzt zu vermeiden.
Die heutige Sutra könnte zudem als Lebensmotto von Buddhisten und Yogis durchgehen. Man kann es als Mantra nutzen, sich täglich erinnern: „Heyam duhkham anâgatam“ – „Künftiges Leiden kann und sollte vermieden werden“. Um diesem Motto zu folgen, brauchen wir drei Dinge.
9. Übung zu Yoga Sutra II-25
Übungsvorschlag für die kommende Woche zu Sutra II-25:
Iyengar schreibt, dass die Sutras II-17 bis II-25 schwer zu verstehen seien. Man müsse sie immer wieder lesen, um ihren Sinn zu erfassen. Darum die Übung für diese Woche: Lese jeden Tag einmal diese 9 Sutras durch.
Vielleicht ergänzt du die Empfehlung von Swami Satchidananda: Frage dich bei allem, was du erlebst:
- „Werde ich durch diese Erfahrung verdorben?“
- „Wer bin ich?“
- „Wer ist glücklich?“
- „Wer ist unglücklich?“
→ Du selbst als Beobachter des Lebensdramas (Govindan).
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10. Videos zu Sutra II-25
In den Tabs finden sich Videos zu dieser Sutra.
Yogaprasad Institute zu Sutra II-19 bis II-28:
Desikachar Video zu Sutra II-25:
{tab Nayaswami Asha}
Nayaswami Asha Video zu den Sutras II-21 bis II-26:
{tab Sukadev}
Yoga-Vidya Videos zu den Sutras II-1 bis II-11:
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11.1. Alte Schriften auf Yoga-Welten.de
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