Tasya bhûmishu viniyogah
तस्य भूमिषु विनियोगः
Nun wird Patanjali konkreter und erläutert, wie wir uns die Entwicklung und Wirkungsweise von Samyama vorstellen dürfen. In diesem Artikel werden wir die Bedeutung dieser Sutra erkunden, sie in den Kontext des achtgliedrigen Yogapfades einordnen und herausfinden, was die stufenweise Entwicklung alles beinhalten könnte.
Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits
Hier sind zunächst die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Wörter, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis anpassen kannst:
- Tad, tasya = seine; dessen;
- Bhumishu, bhûmishu, bhūmi = (in) Stufen bzw. Schritten; Grad; nach und nach; aufbauend; geerdet; Erdboden;
- Viniyoga, viniyogah = Anwendung; Aufteilung; Abwandlung; Fortschreiten;
Zu den Quellen
Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:
Bücher
- Mircea Eliade: Yoga – Unsterblichkeit und Freiheit
- Iyengar: Der Urquell des Yoga
- Deshpande/Bäumer: Die Wurzeln des Yoga
- Geraldine Coster: Yoga und Tiefenpsychologie
- R. Sriram: Von der Erkenntnis zur Befreiung – Das YogaSutra
- Govindan: Die Kriya Yoga Sutras des Patanjali
- Mallinson/Singleton: Roots of Yoga
- R. Palm: Der Yogaleitfaden des Patañjali
- T.K.V. Desikachar: Über Freiheit und Meditation | Das Yoga Sutra von Patanajali
- Feuerstein, Georg: Die Yoga Tradition (Amazon)
- Skuban, Ralph: Patanjalis Yogasutra (Amazon)
- Sri Swami Satchidananda: The Yoga Sutras of Patanjali (Amazon)
- Trevor Leggett: The complete Commentary by Sankara on the Yoga-Sutras* (Amazon)
Internetseiten
- Internet-Übersetzung des Yogasutras auf Yoga-Vidya.de
- Zu den Sutras auf ashtangayoga.info
- Zu den Sutras auf 12koerebe.de
- Zu den Sutras auf vedanta-yoga.de
- Openland.de (mittlerweile offline)
- Zu www.bodhi.sofiatopia.org (buddhistische Kommentare zum Yogasutra nur noch als Buch)
- sanskrit-sanscrito.com (Sutras anscheinend entfernt)
- Zur Übersetzung von Chip Hartranft (PDF)
- Die Übersetzung von Hariharananda Aranya, I. K. Taimni, Vasa Houston, Barbara Miller, Swami Satchidananda, Swami Prabhavananda, Swami Vivekananda finden sich auf dieser Seite.
- Übersetzung von James Haughton Woods
- Rainbowbody.com (ausführliche und eigene Kommentierung)
- Wisdom Library
Weitere Quellen, z. B. zu aktuellen Studien, sind direkt im Text verlinkt.
Dein Übersetzungsvorschlag
Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.
Hast du einen eigenen Übersetzungsvorschlag?
Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)
Wo wir stehen
Das Yogasutra von Patanjali ist ein grundlegender Text des klassischen Yoga und besteht aus vier Kapiteln. Das dritte Kapitel, auch als Vibhuti Pada bekannt, konzentriert sich auf die erstaunlichen Kräfte, die durch die Praxis von Yoga erlangt werden können.
Hier wird das Konzept der Samyama eingeführt, einer fortgeschrittenen Technik, die aus drei aufeinander aufbauenden Stufen besteht: Dharana (Konzentration) in Sutra 3.1, Dhyana (Meditation) in Sutra 3.2 und Samadhi (kontemplative Versenkung) in Sutra III-3. In Sutra III-4 werden Dharana, Dhyana und Samadhi zu Samyama zusammengefasst.
Sutra III-6 erklärt, dass es verschiedene Stufen im Fortschritt von Samyama gibt, die wir durchlaufen können bzw. müssen.
„Meditation lässt sich nur schrittweise vervollkommnen.”
R. Sriram, S. 165
Die Stufen von Samyama und Beispiele von Yogis
Samyama ist eine fortgeschrittene Praxis im Yoga, die aus drei ineinandergreifenden Techniken besteht: Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (Versenkung). Die verschiedenen Stufen von Samyama sind in der Regel nicht linear, sondern können sich gegenseitig beeinflussen und verstärken. Es gibt zahlreiche Beispiele von Yogis, die in den alten Schriften wie der Hatha Yoga Pradipika und der Bhagavad Gita über ihre Erfahrungen mit den verschiedenen Stufen von Samyama berichtet haben.
Was folgt aus den Stufen?
Sukadev nennt vier Konsequenzen:
- Eines geht ins andere über.
- Fortschritt kann nicht erzwungen werden.
- Man kann Samyama üben, auch wenn man noch nicht im Samprajnata Samadhi ist.
- Der Fortschritt kommt eine Stufe nach der anderen.
Iyengar sieht in Patanjalis Erläuterungen auch eine Forderung nach “Safety first.” (S. 223). Das Fundament des Yogis müsse über Yama und Niyama zunächst gefestigt werden, um sich dann schadlos Schritt für Schritt, Stufe um Stufe nach oben zu entwickeln. Siehe dazu:
Yamas und Niyamas im täglichen Leben Keine spirituelle Richtung kommt ohne Verhaltensregeln aus. Diese legen fest, welche ethischen Handlungsweisen für einen Aspiranten (oder auch jeden Menschen) förderlich sind. Was dem Christen die zehn Gebote, das sind dem Yogi die Yamas und Niyamas. Gleichzeitig sind sie die ersten beiden Stufen im Raja Yoga, dem achtgliedrigen Yoga-Pfad (auch Ashtanga- oder Kriya-Yoga genannt). Patanjali definiert Yama und Nyama im Yogasutra. Die alten Yogis hätten sich wohl nicht träumen lassen, dass ihre Regeln Jahrtausende später im Großraumbüro, beim Online-Shopping oder in WhatsApp-Chats auf die Probe gestellt würden. Und doch: Die Yamas und Niyamas im täglichen Leben sind verblüffend aktuell. Wer sie nicht als starre Gebote liest, sondern als praktische Orientierung, entdeckt, wie Gewaltlosigkeit beim Autofahren aussieht, warum Wahrheit auch mal Schweigen bedeutet und weshalb ein bisschen Maßhalten beim zweiten Glas Wein oft heilsamer ist als jeder Verzicht. Dieser Artikel zeigt, wie sich alte Weisheit im modernen Alltag verankern lässt: Was sind die Yamas und Niyamas? Wie werden diese in den alten Schriften ausgelegt? Und wie wende ich die Yamas und Niyamas im Alltag an? Der Artikel gibt Antwort und hält zwei Downloads (Poster & Merkkarte) parat.Beitrag: Yamas und Niyamas im täglichen Leben
R. Palm deutet (S. 139) die Worte so, dass Stufen in der Entwicklung des Samyama nicht übersprungen werden können. Weiter auf Seite 140: “So eng die Verbindungen zwischen den [acht] Yoga-Gliedern auch sein mögen, so unerlässlich ist jedes für das Ganze”. Und zudem “... garantiert die Beherrschung eines Gliedes nicht die Beherrschung der anderen.”
Alternative Übersetzung: mehrere Bereiche
Iyengar übersetzt diese Sutra (S. 222) mit “Samyama ist in den verschiedenen Bereichen anzuwenden.” Er meint, dass Patanjali hier fordere, dass “... Einsicht und Weisheit in alle Bereiche des Lebens einziehen müssen.” Aber auch er betont, dass diese Sutra die Mahnung enthält, “... sich nicht an den höheren Stufen der Praxis zu versuchen, bevor man sich mit den Anfangsstadien eine sichere Grundlage erarbeitet hat.” Ohne regelmäßiges Üben würde sich kein Erfolg einstellen.
Schritt für Schritt und das ganz speziell
Desikachar meint (S. 99), dass “selbst wenn wir wissen, in welche Richtung wir vorangehen wollen”, so bedeute diese Sutra (auch), dass wir dies “in den für uns geeigneten Schritten tun” sollten. Und weiter stellt er die Frage: Können wir Samyama mit jedem beliebigen Meditationsobjekt üben?
Seine Antwort: Möglich ja, aber besser nicht, denn: Der Gegenstand des Samyama müsse dem Meditierenden “entsprechen”, damit die Praxis nicht unter allzu großen Schwierigkeiten leide. Dies mache die Rolle eines Gurus, der uns gut kenne und dadurch ein passendes Meditationsobjekt für uns bestimmen könne, so bedeutsam.
Der Kommentar von Vyasa aus dem Yoga-Darsana
Erläuterungen zu Vyasa
Vyasa war ein indischer Philosoph des 5. bzw. 6. Jahrhunderts nach Christi, der den ältesten überlieferten Kommentar zum Yogasutra des Patanjali schrieb. Der Text wird Yogabhashya (wörtlich "Kommentar (Bhashya) zur Yogaphilosophie") genannt und um 600 nach Christi datiert. Vyasas Kommentare zu den Sutras sind oftmals recht kurz.
Ohne Vyasas Kommentar wären viele Sutras heute fast unverständlich. Manche Gelehrte sagen, der Text ist erst durch den Kommentar wirklich „lesbar“.
Vyāsa war vielleicht/wahrscheinlich kein einzelner Autor, sondern ein Titel, der mehrere Kommentatoren der indischen Tradition umfasst. Die Stimme, die wir im Yogasutra-Kommentar hören, ist also vielleicht ein Chor.
Vyasas Yogabhashya wurde im 8./9. Jh. von Shankara (788–820 n. Chr, indischer Gelehrter, Vedanta-Philosoph, Begründer der Advaitavedānta-Tradition) kommentiert. Sein Kommentar nennt sich Yogabhashyavivarana, Vivarana ist ein Unterkommentar.
Auch Vachaspati Mishra hat einen frühen, berühmten Kommentar zum Yogasutra geschrieben. (Meine Quellen für diese Kommentare waren unterschiedliche Bücher und Webseiten, zum Beispiel Legget (siehe Literatur) und wisdomlib.org/hinduism/book/yoga-sutras-with-commentaries/). Ich gebe hier diese Kommentare in für mich relevanten Auszügen in Worten wieder, die für mich den Sinn in heutigen Worten am besten wiedergeben. Dies ist explizit kein Bemühen, die Originalkommentare wortgetreu wiederzugeben. Fehlinterpretationen sind natürlich in meiner Verantwortung.
Du siehst etwas anders, hast einen Fehler gefunden oder möchtest etwas ergänzen? Bitte schreibe dies unten bei "Ergänzungen von dir".
Die Kommentare von Vyasa, Mishra und Shankara sind oft wörtlich übersetzt worden, zum Beispiel bei den oben angegebenen Quellen.
Vyasa kommentiert: “Dieser saṃyama ist nur dann zu praktizieren, wenn die erste Stufe gemeistert wurde, indem man zur nächsten Stufe übergeht. Denn wenn eine frühe Stufe nicht gemeistert wird, sondern eine Stufe übersprungen wird, wird er auf den späteren Stufen kein saṃyama erlangen. Und wie soll sonst das Licht der Erkenntnis jemals entstehen?
(Aber) für jemanden, der die späteren Stufen gemeistert hat, wäre die saṃyama-Praxis auf den früheren Stufen wie z. B. Telepathie, nicht richtig. Warum nicht? Weil das Ziel bereits auf andere Weise erreicht wurde.
Was die Frage betrifft: Welche Stufe soll nach dieser kommen? In dieser Frage ist allein Yoga der Lehrer. Wie kommt das? Es ist gesagt worden:
Yoga ist durch Yoga zu erkennen;
Yoga schreitet allein durch Yoga voran.
Derjenige, der in seinem Yoga nicht nachlässig ist,
treibt lange Zeit Übungen in den Yogas.”
Shankara erläutert die Worte von Vyasa:
Zu “Seine Anwendung erfolgt stufenweise”: Seine Anwendung, die Praxis dieses samādhi, wie sie zu erfolgen hat, erfolgt stufenweise: Äußere Dinge werden als Objekte der Meditation (dhyāna) genommen, dann die inneren Dinge, und dann solche Dinge wie die dreifachen Veränderungen, von denen er sprechen wird (siehe z. B. III-16).
Zu “Dieses Samyama soll von demjenigen praktiziert werden, der recht entschlossen ist, die Stufen zu meistern, indem er erst dann zur nächsten Stufe übergeht, wenn er die erste Stufe gemeistert hat”: Der Yogi, der seine Meditation auf eine Stufe fixiert hat, bis er Samyama auf dieser Stufe erreicht hat, geht zur nächsten Stufe nach dem Samyama, das er gemeistert hat.
Wenn also (wie in III.44) gesagt wird, dass im Samyama über Elemente wie die Erde der physische Aspekt, die essentielle Natur, der subtile Aspekt, der innewohnende Aspekt und der Aspekt der Zielgerichtetheit nacheinander gemeistert werden sollen, bedeutet das, dass, nachdem Samyama über das Physische ausgeführt wurde, das nächste Samyama nur über das Essentielle sein muss, das auf dasjenige folgt, das gemeistert worden ist. Er sollte nicht gleich über die essentielle Natur hinweggehen und zu den späteren Aspekten wie der subtilen Natur übergehen.
Warum nicht? Weil, wenn eine frühere Stufe nicht gemeistert, sondern zugunsten des Sprungs zur nächsten Stufe ausgelassen wird, er Samyama auf späteren Stufen überhaupt nicht erlangen wird. Wenn er, ohne die nächste Stufe gemeistert zu haben, versucht, Samyama auf den späteren Stufen zu praktizieren, wird er Samyama auf ihnen nicht erlangen, und dieses Nichterlangen wird für ihn Versagen bedeuten.
Und wenn er Samyama auf den späteren Stufen nicht erlangt, wie soll dann jemals das Licht des Wissens entstehen? Denn es gäbe nichts, was es herbeiführen könnte: Es kann kein Lampenlicht entstehen, wenn nicht Öl, Docht und Flamme zusammengebracht werden.
Zu: “Für jemanden, der spätere Stufen gemeistert hat, einen Yogi, der spätere Stufen wie die (Verwirklichung des) Atman gemeistert hat, wäre die Samyama-Praxis auf früheren Stufen wie der Telepathie nicht richtig.” Warum nicht? Weil der Zweck der späteren Stufen, wie z.B. die Atman-Verwirklichung, auf eine andere Art und Weise erreicht worden ist, ganz anders als bei solch unbedeutenden Stufen wie der Telepathie. Durch Dinge wie Telepathie entsteht Verwirrung, weil ihr Wesen das Fehlen von unterscheidendem Wissen (Viveka) ist. Für jemanden, dessen Samyama auf den späteren Stufen ist, würde es bedeuten, die Gedanken anderer als Objekt zu nehmen, eine Verwirrung in seinem eigenen Geist zu stiften, obwohl er im Yoga geübt ist, und so wäre es nicht richtig. Denn er wird sein Ziel, die Atman-Verwirklichung, bereits auf andere Weise, durch Unterscheidung, erreicht haben.
Aber andere verstehen es so, dass sein Ziel die Telepathie ist, und dass dies auf eine andere Weise erreicht wurde. Sie sagen, dass das Ziel, die Telepathie, erst durch die höheren Stufen wie die Atman-Verwirklichung erreicht wird. Aber wenn dies die Bedeutung gewesen wäre, hätte man gesagt, dass die Samyama-Praxis auf den früheren Stufen nicht nötig wäre, aber nicht, dass sie nicht richtig wäre. Die Tatsache, dass die Worte "nicht richtig" verwendet werden, impliziert, dass sie falsch ist.
Zu: “Was die Frage betrifft: Welche Etappe soll nach dieser kommen?” Wenn eine Stufe gemeistert wurde, wie soll man dann entscheiden, was als Nächstes kommen soll?
Zu: “In dieser Frage ist allein Yoga der Lehrer.“ Yoga bedeutet hier das Erreichen von Samyama auf der vorhergehenden Stufe, und nur dadurch kann man verstehen, welche die nächste sein soll.
Wie das? Es ist gesagt worden: Yoga ist durch Yoga zu erkennen. Durch den Yoga, der aus dem Erreichen des vorangegangenen Samyama besteht, wird der Gegenstand des nächsten Yogas erkannt. Und dieser Yoga, Samyama, wird allein durch Yoga deutlich, allein durch das Erreichen von Samyama auf den vorhergehenden Stufen.
So wie ein von Geburt an Blinder, der eine Treppe hinaufsteigt, durch das Gefühl seines Fußes auf der ersten Stufe sicher weiß, wo die nächste ist, so geht der Yoga vom Yoga aus vorwärts. Wer dies weiß, wer in seinem Yoga nicht unvorsichtig ist, wer im Yoga beherrscht ist, der erfreut sich lange Zeit an den Yogas, an den Früchten der yogischen Kräfte.
Die Rolle der Sutra in der Entwicklung der Yoga-Philosophie
Die Bedeutung von Sutra III-6 in der Entwicklung der Yoga-Philosophie liegt in ihrer Betonung der stufenweisen Vertiefung der Praxis von Samyama – und damit der gesamten Yogapraxis.
Anwendung der Sutra im Alltag: Drei konkrete Beispiele
Sutra III-6 mag auf den ersten Blick abstrakt erscheinen, aber es gibt viele Möglichkeiten, sie im Alltag anzuwenden. Hier sind drei konkrete Beispiele:
- Achtsamkeit üben: Indem du in deinem täglichen Leben bewusster und achtsamer wirst, kannst du die Grundlagen für die Entwicklung von Samyama schaffen. Achte auf deine Gedanken, Gefühle und Handlungen und versuche, im gegenwärtigen Moment präsent zu sein.
- Meditation praktizieren: Nimm dir regelmäßig Zeit für eine Meditationspraxis, um deine Konzentrationsfähigkeit zu verbessern und die Grundlagen für Dharana, Dhyana und Samadhi zu legen. Du kannst verschiedene Techniken ausprobieren, um herauszufinden, welche am besten zu dir passt.
- Yoga-Übungen ausführen: Eine regelmäßige Yoga-Praxis hilft dir, den Körper und Geist in Einklang zu bringen und schafft so die Voraussetzungen für die vertiefende Praxis von Samyama. Integriere Asanas, Pranayama und Meditation in deine tägliche Routine, um die verschiedenen Stufen der Samyama-Praxis zu erkunden.
Weitere Tipps zum Üben von Samyama im Alltag findest du im Artikel zu Sutra III-4.
Parallelen zur abendländischen und asiatischen Philosophie
Sutra III-6 weist auch Parallelen zu anderen philosophischen Traditionen auf. Hier sind drei Beispiele aus abendländischer und asiatischer Philosophie:
- Abendländische Philosophie: Die Idee der stufenweisen Vertiefung der Erkenntnis findet sich auch bei Platon, der in seinem Höhlengleichnis von der schrittweisen Annäherung an die Wahrheit spricht (Platon, Politeia, Buch 7). Bei Wikipedia heißt es zum Höhlengleichnis: “Anschließend erklärt Sokrates Glaukon, wie das Gleichnis zu verstehen ist. Die Höhle versinnbildlicht die Welt, die sich den Sinnen darbietet, die normale Umgebung des Menschen, die von ihnen gewohnheitsmäßig mit der Gesamtheit des Existierenden gleichgesetzt wird. Der Aufstieg ans Tageslicht entspricht dem Aufstieg der Seele von der Welt der vergänglichen Sinnesobjekte zur „geistigen Stätte“, der intelligiblen [= Gegenstände, die nur über den Verstand oder Intellekt erfasst werden können, weil sie der Sinneswahrnehmung nicht zugänglich sind] Welt, in der sich das nur geistig Erfassbare befindet. Damit meint Platon die unwandelbaren Ideen, die Ur- und Vorbilder der materiellen Phänomene im Sinne seiner Ideenlehre.“
- Asiatische Philosophie: Im Daoismus wird ebenfalls Wert auf die Entwicklung von innerer Ruhe und Einsicht gelegt. Die Praxis des "Nicht-Tuns" (Wu Wei) im Daodejing von Laozi kann als eine Parallele zur Vertiefung der Samyama-Praxis gesehen werden (Laozi, Daodejing, Kapitel 48).
- Buddhismus: Die buddhistische Lehre von den "Vier Stufen der Versenkung" (Jhanas) in den Pali-kanonischen Schriften zeigt Ähnlichkeiten mit den hier erwähnten Stufen zur Samyama-Praxis, da sie ebenfalls auf Konzentration, Meditation und Versenkung abzielt (Pali-Kanon, Digha Nikaya 22).
Anwendung der Sutra in verschiedenen Yogastilen
Sutra III-6 kann in verschiedenen Yogastilen angewendet werden, indem die jeweiligen Praktiken an die individuellen Bedürfnisse und Ziele der Praktizierenden angepasst werden. Hier sind einige Beispiele:
- Hatha Yoga: In Hatha Yoga liegt der Fokus auf der Verbindung von Körper, Atem und Geist durch Asanas und Pranayama. Die Praxis von Samyama kann hier durch die bewusste Ausführung der Übungen und die Entwicklung von innerer Ruhe und Konzentration vertieft werden.
- Ashtanga Yoga: Ashtanga Yoga ist ein dynamischer Yogastil, der auf einer festen Abfolge von Asanas basiert. Die Samyama-Praxis kann hier durch die kontinuierliche Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf die Bewegung, den Atem und die Bandhas (Energieverschlüsse) während der Asana-Sequenzen integriert werden.
- Kundalini Yoga: Kundalini Yoga kombiniert Körperübungen, Atemtechniken, Mantras und Meditation, um die Kundalini-Energie im Körper zu erwecken und zu lenken. Die verschiedenen Stufen von Samyama können in dieser Praxis durch die Fokussierung auf die Energiezentren (Chakras) und die bewusste Verbindung von Geist, Körper und Atem erreicht werden.
Weitere Beispiele findest du wieder im Artikel zu Sutra III-4.
Parallelen in der modernen Wissenschaft
Die moderne Wissenschaft hat in verschiedenen Studien die positiven Auswirkungen von Yoga und Meditation auf Körper und Geist bestätigt. Hier sind einige Beispiele für solche Studien:
- Stressreduktion: Eine Studie von Sharma et al. (2015) hat gezeigt, dass Yoga und Meditation dazu beitragen können, Stress abzubauen und das allgemeine Wohlbefinden zu verbessern.
- Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten: Eine Untersuchung von Gard et al. (2014) hat ergeben, dass regelmäßige Yoga- und Meditationspraxis die kognitiven Funktionen, insbesondere das Arbeitsgedächtnis und die Aufmerksamkeit, verbessern kann.
- Emotionale Regulierung: Eine Studie von Desbordes et al. (2012) https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/23125828/ hat festgestellt, dass Meditation dabei helfen kann, emotionale Reaktionen besser zu regulieren und somit zu mehr innerer Ruhe und Gelassenheit führt.
- Eine Studie von Sara Lazar und Kollegen (2005) zeigte, dass regelmäßige Meditation mit einer Verdickung der präfrontalen Kortex und einer Verringerung des Altersabbaus in diesem Bereich verbunden ist.
Dabei hat sich stets gezeigt, dass diese Entwicklungen nach und nach eingetreten sind. Dies könnte man als Beleg für die stufenweise Entwicklung von Samyama betrachten.
Parallelen in anderen bekannten Yogatexten und spirituellen Traditionen
Sutra III-6 weist auch Parallelen in anderen bekannten Yogatexten und spirituellen Traditionen auf. Hier sind drei Beispiele:
Bhagavad Gita
In der Bhagavad Gita (Kapitel 6) spricht Krishna über die verschiedenen Stufen der Meditation und die Bedeutung der Selbstkontrolle und inneren Ruhe für die spirituelle Entwicklung. Diese Konzepte ähneln den Stufen der Samyama-Praxis in Sutra III-6. In der Gita heißt es zum Beispiel:
- Wenn seine gezügelte Aufmerksamkeit sich nur in das Selbst versenkt, ohne Verlangen nach irgendwelchen Begierden, dann wird er ein mit [Höherem] Verbundener genannt. (6:18)
- … wo man jenes überwältigende Glück erfährt, das … erfassbar ist, aber die Sinneserfahrung übersteigt, und, darin gefestigt, nicht mehr von der wahren Natur der Dinge schwankt, (6:21)
- … und wenn man es erlangt hat, keinen anderen Gewinn für anstrebenswerter hält, und, darin gefestigt, auch durch schweres Leid nicht erschüttert wird, (6:22)
- … soll man sanft nach und nach [in Stufen!] zur Ruhe kommen durch die von Entschlossenheit ergriffene Einsicht. Nachdem man das Gemüt im Selbst gefestigt hat, soll man an nichts mehr denken. (6:25)
- Zweifellos, Arjuna, ist das ruhelose Gemüt schwer zu bezwingen. Doch durch Übung und Leidenschaftslosigkeit wird es erreicht. (6:35)
Arjuna sprach ... Er spricht manches in der Bhagavad Gita, dieser Kriegsheld, Sohn eines Gottes und einer Königin. Vor allem fragt und zweifelt er. Dem verdanken wir eine der größten Geschichten der Yoga-Welt, die "Gita". Denn ein Gott ist gekommen, auf Arjunas Fragen zu antworten. Und dieser Gott ist niemand Geringeres als Krishna, hier in Gestalt von Vasudeva, dem Wagenlenker Arjunas.Beitrag: Zusammenfassung Bhagavad Gita
Zusammenfassung Bhagavad Gita
Yoga Vasistha
Die Yoga Vasistha ist ein klassischer Text, der spirituelle Lehren und Geschichten enthält. In diesem Werk werden verschiedene Stufen der spirituellen Praxis und Erkenntnis beschrieben, die Parallelen zur Samyama-Praxis in Sutra III-6 aufweisen.
Christentum
In der christlichen Mystik wird die Vereinigung mit Gott oder der göttlichen Gegenwart oft als eine Erfahrung von tiefer innerer Sammlung, Kontemplation und Versenkung beschrieben, die Ähnlichkeiten zur Samyama-Praxis aufweisen. Die Werke von Mystikern wie Meister Eckhart, Johannes vom Kreuz und Teresa von Ávila betonen die Bedeutung von Meditation und innerer Stille, um eine tiefere Verbindung mit dem Göttlichen zu erfahren.
Sufismus
Im Sufismus, einer mystischen Strömung innerhalb des Islam, wird großer Wert auf die Praxis von Dhikr (Gedenken an Allah) und Meditation gelegt, um die Nähe zu Allah und die Erfahrung von Einheit und Liebe zu erreichen. Die Praxis von Samyama kann mit den sufischen Praktiken zur Entwicklung von innerer Stille, Konzentration und Kontemplation verglichen werden.
Judentum
In der jüdischen Mystik, insbesondere in der Kabbala, wird die Praxis der Meditation und Kontemplation zur Vertiefung der Verbindung mit der göttlichen Gegenwart und der Erforschung der inneren Dimensionen des Selbst betont. Die Samyama-Praxis kann mit den kabbalistischen Meditationstechniken, die darauf abzielen, ein höheres Bewusstsein und eine tiefere Verbindung mit dem Göttlichen zu erreichen, in Verbindung gebracht werden.
Sutras mit dazu passenden Aussagen
Vitarka–vichâra-ânandâ-asmitâ-rupa-anugamât samprajñâtah
वितर्कविचारानन्दास्मितारुपानुगमात्संप्रज्ञातः
Es ist hochinteressant, wie (unterschiedlich) sich der Weg hin zum und der Entwicklungsverlauf im Samadhi vollzieht. Bei der Deutung von Sutra I-17 weisen die Übersetzungen jedoch deutliche Unterschiede auf. Was nicht verwundert, da wir in einen Bereich des Yoga vordringen, der erst nach langer Praxis erreicht wird: Samadhi. Zudem werden die Erfahrungen hier subjektiv durchlebt und können schwer in Worte gefasst werden.
Yoga Sutra I-40: Wenn er das Ziel erreicht, ist er ein Meister vom Kleinsten bis zum Größten
Paramânu-parama-mahattvânto `sya vashikârah
परमाणु परममहत्त्वान्तोऽस्य वशीका
In dieser Sutra schreibt Patanjali, was passiert, wenn mit den Mitteln der Sutra I-33 bis I-39 die Hindernisse aus I-31 und I-32 überwunden sind. Wir erlangen Meisterschaft über alles! Doch der Teufel steckt im Detail: Auch hier deuten die Kommentatoren und Übersetzer den Vers bzw. die Meisterschaft recht unterschiedlich.
Yoga Sutra II-27: Die Anwendung der reinen Unterscheidungskraft führt zur siebenfachen Erkenntnis
tasya saptadhā prānta-bhūmiḥ prajña
तस्य सप्तधा प्रान्तभूमिः प्रज्ञा
Hier endet der Abschnitt des zweiten Kapitels vom Yoga Sutra zur Erlangung der Einsicht. Die Beschreibung des Weges, an dessen Ende für den Yogi die Welt aufhört zu sein. Patanjali macht in dieser Sutra eine geheimnisvolle Andeutung: Die Einsicht entfalte sich in sieben Stufen oder Schritten. Ohne näher darauf einzugehen. Es gibt denn auch mehrere Mutmaßungen dazu, was diese Stufen sein könnten.
Fazit
Das Prinzip dieser Sutra, der stufenweise Fortschritt, ist sowohl in der Yoga-Philosophie als auch in anderen philosophischen und spirituellen Traditionen relevant und können uns dazu inspirieren, achtsamer und bewusster mit uns selbst, anderen und unserer Umwelt umzugehen.
Wir müssen (und können) nicht alles von jetzt auf gleich erreichen.
Obwohl die Praxis von Samyama eine lebenslange Reise ist, können wir bereits heute beginnen, ihre Prinzipien in unseren Alltag zu integrieren. Durch Achtsamkeit, Yoga und Meditation können wir uns auf den Weg machen, um tiefere Einsichten zu erlangen, innere Ruhe zu finden und ein erfülltes Leben im Einklang mit uns selbst, unseren Mitmenschen und der Umwelt zu führen.
Ergänzungen und Fragen von dir
Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?
Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:
Videos zu Sutra III-6
Sukadev zur Sutra III-4 bis III-8
Länge: 25 Minuten
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Video von Asha Nayaswami zur Sutra
Asha Nayaswami zu Sutra III-4 bis III-6
Länge: 72 Minuten
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