pariṇāmatraya-saṁyamāt-atītānāgata jñānam
परिणामत्रयसंयमादतीतानागतज्ञानम्
Mit Sutra III-16 beginnen sie, die besonderen Kräfte, Siddhis oder Vibhutis genannt, die sich beim fortgeschrittenen Yogi durch die Meditationstechnik Samyama bei stetem Üben einstellen sollen. Patanjali benennt das dritte Kapitel des Yogasutra nach ihnen. Er behandelt dabei die Siddhis genauso nüchtern wie alle anderen Aspekte im Yogasutra.
In den Sutras werden verschiedene Objekte oder Themen (Sriram) von Patanjali vorgeschlagen, die für Samyama in Frage kommen, und die Auswirkungen bzw. Kräfte daraus.
In Sutra III-16 erläutert Patanjali die Möglichkeiten, die sich aus Samyama auf die „drei Arten der Veränderung“ (diese sind in Sutra III-13 besprochen) ergeben. Die Kommentatoren dieser Sutra sind sich nicht ganz einig, wie dabei genau vorgegangen werden sollte.
Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits
Hier sind zunächst die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Wörter, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis anpassen kannst:
- Parinama, parinâma, pariṇāma = Wandlungen; Veränderungen; Entwicklungen; Umwandlung; Verwandlung; Transformation; Reife; Ergebnis; Stadium der Evolution;
- Traya = die drei; dreifach;
- Parinamatraya = die drei Arten von Parinama (Wandlungen/Veränderungen);
- Samyama, samyamah, saṁyamā = Ausdruck für die Triade Dharana, Dhyana und Samadhi; Selbstbeherrschung; Abfolge von Dharana, Dhyana und Samadhi;
- Samyamat, samyamât = durch Ausführung von Samyama (Versenkung) über;
- Atita, atîta = vergangen; früher;
- Anagata, anâgata = künftig; Zukunft; endlich; vorausschauend;
- Jnana, jñāna, jnânam = Wissen; Verständnis; Erkenntnis;
Zu den Quellen
Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:
Bücher
- Mircea Eliade: Yoga – Unsterblichkeit und Freiheit
- Iyengar: Der Urquell des Yoga
- Deshpande/Bäumer: Die Wurzeln des Yoga
- Geraldine Coster: Yoga und Tiefenpsychologie
- R. Sriram: Von der Erkenntnis zur Befreiung – Das YogaSutra
- Govindan: Die Kriya Yoga Sutras des Patanjali
- Mallinson/Singleton: Roots of Yoga
- R. Palm: Der Yogaleitfaden des Patañjali
- T.K.V. Desikachar: Über Freiheit und Meditation | Das Yoga Sutra von Patanajali
- Feuerstein, Georg: Die Yoga Tradition (Amazon)
- Skuban, Ralph: Patanjalis Yogasutra (Amazon)
- Sri Swami Satchidananda: The Yoga Sutras of Patanjali (Amazon)
- Trevor Leggett: The complete Commentary by Sankara on the Yoga-Sutras* (Amazon)
Internetseiten
- Internet-Übersetzung des Yogasutras auf Yoga-Vidya.de
- Zu den Sutras auf ashtangayoga.info
- Zu den Sutras auf 12koerebe.de
- Zu den Sutras auf vedanta-yoga.de
- Openland.de (mittlerweile offline)
- Zu www.bodhi.sofiatopia.org (buddhistische Kommentare zum Yogasutra nur noch als Buch)
- sanskrit-sanscrito.com (Sutras anscheinend entfernt)
- Zur Übersetzung von Chip Hartranft (PDF)
- Die Übersetzung von Hariharananda Aranya, I. K. Taimni, Vasa Houston, Barbara Miller, Swami Satchidananda, Swami Prabhavananda, Swami Vivekananda finden sich auf dieser Seite.
- Übersetzung von James Haughton Woods
- Rainbowbody.com (ausführliche und eigene Kommentierung)
- Wisdom Library
Dein Übersetzungsvorschlag
Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.
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Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)
Einordnung dieser Sutra im Yogasutra
Samyama ist die Schlüsselübung im dritten Kapitel des Yogasutra zum Erreichen der geistigen Kräfte. In den Sutras III-1 bis III-7 erläutert Patanjali zunächst, was Samyama ist: die Kombination aus
- Dharana (Konzentration),
- Dhyana (Meditation) und
- Samadhi (Überbewusstsein).
In Sutra III-8 ergänzt er dann, dass der Yogi zur Erlangung der Erleuchtung über Samyama hinausgehen muss.
In den Sutras III-9 bis III-15 geht es weiter mit Erläuterungen, welche Wandlung der Geist (Chitta) vollziehen muss, um Samyama bis zur Perfektion ausüben zu können. Aufeinander aufbauend sind das die Stadien
- Nirodha-Parinama (Wandel durch Sammlung, einfache Konzentration),
- Samadhi-Parinama (Wandlung durch länger andauernde Konzentration) und
- Ekagrata-Parinama (Wandel/Transformation durch vollkommene Versenkung auf einen Punkt/ein Thema).
Der notwendige Wandel des Geistes erfolgt nach und nach, ist keine sprunghafte Entwicklung.
In den Sutras III-16 bis III-49 macht Patanjali eine ganze Reihe von Vorschlägen, worauf man Samyama lenken könnte und welche Folgen (Siddhis = Kräfte, besondere Erkenntnisse) sich jeweils daraus ergeben.
In dieser Sutra erläutert Patanjali die Folgen der Anwendung von Samyama auf Veränderungen in der Zeit.
Samyama und Siddhis
Besondere Kräfte (Siddhis) mit Samyama erlangen
Patanjalis Anleitungen zur Erlangung der Siddhis lauten generell, dass der Praktizierende Samyama gezielt auf ein Meditationsobjekt anwendet. Samyama ist die Verbindung aus anhaltender Konzentration, Meditation und schlussendlich Samadhi (Überbewusstsein) auf ein Objekt der Meditation. Skuban sieht den Vorgang von Samyama als “mentales Eindringen in ein Objekt, das den Übenden schließlich zu den feinstofflichsten Bereichen des Seins führt.” Dadurch werden die drei Eigenschaften (siehe Sutra III-13) eines Objektes voll erkannt. So wird das Objekt voll verstanden und über die Gunas auch beherrschbar. Alle Objekte sind nämlich laut Yogalehre Erscheinungsformen der drei Gunas, auch das Bewusstsein des Menschen. Der Yogi diszipliniert sein Bewusstsein und kann über bzw. in Samyama die Gunas auch außerhalb seines Bewusstseins beeinflussen oder verändern. So erklären sich gemäß Yogalehre die Siddhis.
Vibhutis, der andere Name für die Siddhis, bedeutet wörtlich weg (vi) von den Elementen (bhutas) und steht damit laut einiger Kommentatoren auch für die Abwendung von der Identifikation mit den materiellen Grundlagen unseres Lebens, yogisch: Prakriti. Hin zur Erkenntnis unserer wahren Natur: Purusha.
Die Sutras III-16 bis III-49 nennen die Objekte, auf die ein Yogi seine Samyama-Konzentration legen sollte, um besondere Kräfte zu entfalten. Iyengar betont jedoch, dass diese Siddhis sich erst bei weit fortgeschrittenen Yoga-SchülerInnen zeigen.
Ergänzend: Lange Pranayama-Praxis soll spontane Siddhis triggern können. Gerade Wechselatmung über Monate hinweg wird in manchen Berichten als „geistöffnend“ beschrieben – mit plötzlichen Hörerlebnissen oder Visionen.
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Zu Samyama
Was ist Samyama?
Samyama besteht aus drei Stufen: Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (Überbewusstsein). Nur die erste Stufe von Samyama, die Konzentration auf ein Objekt, lässt sich willentlich steuern. Die darauf aufbauenden Geisteszustände Dhyana (Meditation) und Samadhi (Überbewusstsein) müssen sich laut der meisten Kommentatoren des Yogasutras von alleine einstellen und werden durch lang anhaltende Konzentration und Beseitigung der Geisteshindernisse erlangt. Feuerstein bezeichnet Samyama als 'Bündelung' von Konzentration, Meditation und Samadhi. Du findest Samyama ausführlicher in den ersten Sutras des dritten Kapitels des Yogasutra hier auf yoga-welten.de besprochen. Siehe vor allem:
Yoga Sutra III-4: Die drei (Dhahrana, Dhyana, Samadhi) zusammen auf ein Objekt oder einen Ort angewendet wird Samyama genannt
Yoga Sutra III-5: Aus der Meisterung von Samyama entsteht vollkommenes Wissen über das Wahrgenommene
Yoga Sutra III-6: Der Fortschritt im Samyama erfolgt in Stufen
Siddhi: Wissen über Vergangenheit und Zukunft
Wie kann man sich die Aussage dieser Sutra konkret vorstellen? Vermutlich genau so, wie es Patanjali schreibt: Übt der fortgeschrittene Yogi Samyama auf die drei Arten der Veränderung (Erläuterungen dazu in Sutra III-13) von einem Objekt oder Thema seiner Wahl aus, so kann er dessen bisherige Vergangenheit und seine zukünftige Entwicklung erkennen.
Iyengar verweist auf Sutra III-14 und III-15, in denen Patanjali die Wandlungsphasen der Objekte in der Natur erläutert und dass die Wandlungen mittels über eine (in der Zeit ablaufende) Reihenfolge geschieht. Der Sadhaka (auch: Yogini, Yogi oder yogin) hält sich an diese Reihenfolge, „verfolgt den natürlichen Strom der Vergangenheit in die Gegenwart ebenso wie ihre Manifestation in der Zukunft“ und gewinnt so „Herrschaft über die Zeit“. Iyengar betont allerdings, dass es sich hierbei um Errungenschaften eines weit fortgeschrittenen Yoga-Schülers handele.
Deshpande/Bäumer (S. 145): „Der Yogi blick durch diese eingebildete Zeitlichkeit hindurch und über sie hinaus. Er ist dazu fähig, weil er die Yoga-Disziplin angenommen und die erwähnten drei Verwandlungen in seinem Bewusstsein, in seinem Körper-Sinne-Komplex wahrgenommen hat.“
Govindan (S. 117): „Das heißt, dass zum Beispiel ein in der sogenannten Einswerdung (samyama) erfahrener yogin die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft jedes Menschen kennt, auf den er sich konzentriert.“ Dieses Siddhi weise damit auch auf die große Einheit aller Dinge hin.
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Wie soll ich genau vorgehen, um dieses Siddhi zu erlangen?
Voraussetzungen und Vorbereitungen für Samyama und Siddhis
Voraussetzungen für Samyama und Siddhis
Um Samyama – die kombinierte Praxis von Konzentration, Meditation und Versenkung – erfolgreich üben zu können, müssen bestimmte psychologische und spirituelle Voraussetzungen erfüllt sein. Einig sind sich die traditionellen wie modernen Lehrer, dass der Geist des Übenden ausreichend gereinigt und gesammelt sein muss. Das bedeutet: innere Stabilität, relative Gedankenstille und Freiheit von starken emotionalen Aufwallungen als Grundlage. Es bedarf eines Maßes an Konzentrationskraft, Achtsamkeit und Gelassenheit gegenüber Sinnesreizen, damit die Aufmerksamkeit vollständig nach innen gelenkt werden kann. Besonders hervorgehoben wird die Haltung der Nicht-Verhaftung (Vairagya): Der Yogi soll nicht mehr an gewöhnlichen Sinnesfreuden oder Erfolgserlebnissen hängen, sondern eine innere Unabhängigkeit davon kultiviert haben.
Darüber hinaus betont der yogische Weg, dass die grundlegenden Stufen des Achtgliedrigen Pfades gefestigt sein sollen, bevor man sich höheren Techniken wie Samyama widmet. Konkret bedeutet dies: Yama und Niyama – die ethischen Prinzipien und Selbstdisziplinen – sollten im Leben des Übenden verankert sein, um mentale Unruhe und konflikthafte Begierden zu minimieren. Die Praxis von Asana (Körperübungen) und Pranayama (Atemlenkung) baut Spannungen und Rastlosigkeit ab und stabilisiert Körper und Nerven, was indirekt dem Geist zugutekommt. Pratyahara, das systematische Zurückziehen der Sinne, ist ebenfalls eine entscheidende Vorstufe: Erst wenn die Aufmerksamkeit nicht mehr unwillkürlich von äußeren Eindrücken gesteuert wird, kann echte Konzentration nach innen entstehen. Diese Vorarbeiten schaffen den Nährboden, auf dem Samyama gedeihen kann. Ein Yogi, der Schritt für Schritt diesen Pfad gegangen ist, entwickelt die geistige Stärke und Reinheit, die nötig sind, um tiefe Versenkung zu erreichen – und in deren Folge können Siddhis überhaupt erst auftauchen.
Die Rolle von Entsagung und Ethik (Vairagya, Yama, Niyama)
Entsagung/Nichtanhaftung im Yoga, auf Sanskrit Vairagya, und die ethischen Richtlinien Yama und Niyama gehören zu den fundamentalsten Anforderungen, insbesondere wenn es um den Umgang mit Siddhis geht. Vairagya bedeutet ein inneres Losgelöstsein: der Übende übt sich darin, Verlangen und Anhaftungen aufzugeben – seien es sinnliche Genüsse, materielle Güter oder auch das Streben nach außergewöhnlichen Fähigkeiten. So kann der Yogi in die Tiefe von Samyama gelangen.
Die Geisteshaltung von Vairagya ist auch hilfreich dabei, dass aufkommende Siddhis den Yogi nicht verführen. Nur wer in Gleichmut gegenüber allen Phänomenen bleibt, kann übernatürliche Wahrnehmungen haben, ohne vom eigentlichen Pfad abzukommen. Patanjali nennt Vairagya nicht umsonst bereits im ersten Kapitel als Schlüssel zur geistigen Stille: Das fortwährende Loslassen verhindert, dass der Geist neue Wellen von Begierde und Ego-Stolz bildet.
Ergänzend dazu bilden Yama und Niyama das moralische Fundament. Die fünf Yamas – etwa Gewaltlosigkeit (Ahimsa), Wahrhaftigkeit (Satya) oder Nicht-Gier (Aparigraha) – und die fünf Niyamas – etwa Reinheit (Shaucha) und Selbststudium (Svadhyaya) – sorgen dafür, dass der Charakter und Lebenswandel des Yogis ethisch ausgerichtet sind. Warum ist das so wichtig in Bezug auf Siddhis? Zum einen reinigt moralisches Verhalten das Herz und mindert egoistische Tendenzen, was die Wahrscheinlichkeit von Missbrauch oder falscher Identifikation mit Kräften reduziert. Zum anderen stabilisieren Yama und Niyama den Geist: Ein Gewissen, das frei von Schuld und Zwiespalt ist, kommt leichter zur Ruhe. Traditionell heißt es, dass Siddhis nur einem Yogi dauerhaft und gefahrlos zufallen, der Tugend und Selbstbeherrschung verkörpert. Andernfalls können Machtgefühle, Hochmut oder unethische Versuchungen die Folge sein. Daher lehren die Yogameister, dass jede Erweiterung der Fähigkeiten mit entsprechender Demut und Verantwortungsbewusstsein einhergehen muss – Qualitäten, die durch die Befolgung von Yama und Niyama kultiviert werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Vairagya und die ethische Praxis sind Förderer und Schutzmechanismus auf dem Weg zur höheren Erkenntnis. Sie erleichtern das Eindringen in lang anhaltende innere Stille bei voller Bewusstheit und bewahren den Übenden davor, die Richtung zu verlieren, wenn Siddhis auftauchen. Ein Yogi, der Entsagung übt und ethisch gefestigt ist, wird die verfeinerten Sinneswahrnehmungen zwar registrieren, aber weder missbrauchen noch für wichtiger halten als das letztendliche Ziel – die Erkenntnis des wahren Selbst (Purusha) und die Befreiung.
Vorbereitende Techniken für Samyama und verfeinerte Wahrnehmung
Um den Geist auf Samyama und mögliche subtile Wahrnehmungen vorzubereiten, empfehlen Yogalehrer seit jeher verschiedene unterstützende Techniken. Insbesondere folgende Ansätze haben sich als hilfreich erwiesen:
- Yama und Niyama hatten wir schon, empfohlen wird auch eine stabile und bequeme Sitzhaltung (Asana).
- Pratyahara (Zurückziehen der Sinne): In dieser fünften Stufe des Raja Yoga lernt der Übende, die Aufmerksamkeit von äußeren Sinnesobjekten abzuziehen. Praktisch wird Pratyahara z.B. geübt, indem man sich in Entspannung auf innere Wahrnehmungen konzentriert und äußere Reize ausblendet – etwa durch Augen schließen, in Stille sitzen oder Visualisierungen. Dadurch werden die Sinne „nach innen gezogen“. Ein trainiertes Pratyahara ist die Voraussetzung dafür, dass in Samyama die verfeinerten, inneren Sinneswahrnehmungen auftauchen können. Erst wenn die gewöhnlichen Sinnesreize an Macht verlieren, entsteht Raum für das subtile innere Hören, Sehen etc.
- Pranayama (Atemkontrolle): Gezielte Atemübungen beruhigen das Nervensystem und sammeln den Geist. Durch Regulierung (Patanjali nennt Verlängerung und Verfeinerung) des Atems – etwa mittels tiefer Bauchatmung, Wechselatmung (Nadi Shodhana) oder einfach nur der Verlängerung der Ausatmung – wird der Geist fokussiert und der Energiefluss harmonisiert. Patanjali selbst führt Pranayama als wichtige Vorstufe zu Dharana (Konzentration) an. Ein gleichmäßiger, feiner Atem fördert eine introvertierte Aufmerksamkeit und kann latente Energien (Prana) wecken. Insbesondere fortgeschrittene Pranayamas, die mit Konzentration auf Energiezentren (Chakras) verbunden sind, schulen die Wahrnehmung des inneren Raums. Dadurch wird der Yogi empfänglicher für subtile Empfindungen – eine essenzielle Vorbereitung, um in tiefere Meditation vorzudringen, wo sich Siddhis zeigen könnten.
- Optional: Yoga Nidra (Yogischer Tiefenentspannungszustand): Yoga Nidra ist eine geführte Meditation, die den Körper in vollständige Entspannung versetzt, während der Geist hellwach bleibt. In diesem Schwebezustand zwischen Wachen und Schlaf treten Gehirnwellen auf, die für Aufnahmefähigkeit und Intuition förderlich sind. Die Praxis von Yoga Nidra hilft, unbewusste Verspannungen und mentale Blockaden abzubauen. Sie schult außerdem die Fähigkeit, bewusst ins Unterbewusstsein hineinzulauschen, ohne einzuschlafen. Diese Fertigkeit – entspannt und zugleich aufmerksam nach innen zu schauen – ist eine direkte Vorbereitung auf Samyama. Ein Yogi, der Yoga Nidra meistert, kann seine Aufmerksamkeit lange nach innen richten, was die Kontinuität von Dharana/Dhyana fördert. Zugleich fördert Yoga Nidra einen Zeuge-Geist („Sakshi-Bhava“), der Phänomene beobachten kann, ohne sich damit zu identifizieren – hilfreich, um etwaige Siddhi-Erfahrungen nüchtern zu betrachten. Hier findest du die konkrete Übungsanleitung.
- Optional: Japa (Mantra-Wiederholung): Die Rezitation oder mentale Wiederholung eines Mantras gilt als eine der wirkungsvollsten Konzentrationshilfen. Durch Japa wird der rastlose Geist schrittweise beruhigt und auf einen Klang oder eine heilige Silbe ausgerichtet. Das kontinuierliche Wiederholen – ob laut, leise oder innerlich – bündelt die Gedankenströme und führt zu tiefer Meditation. In vielen Yoga-Traditionen heißt es, ein Mantra reinige den Geist und öffne das Herz. Praktisch bewirkt Japa, dass störende Gedanken in den Hintergrund treten und eine spirituelle Schwingung den Vordergrund einnimmt. Dies bereitet auf Samyama vor, indem das Mantra wie ein Anker für Dharana dient und nahtlos in Dhyana übergehen kann. Zudem kann intensives Mantra-Japa dazu führen, dass der Übende das Mantra schließlich innerlich „hört“, ohne aktives Tun – eine Form von subtiler Wahrnehmung, die als Siddhi betrachtet werden könnte (z.B. Nada-Anubhava, das innere Klang-Erlebnis). Selbst wenn solche Phänomene nicht explizit gesucht werden, stärkt Japa in jedem Fall die Konzentration, Hingabe und Vairagya. Diese Qualitäten schützen und begleiten den Yogi, falls sich verfeinerte Sinneswahrnehmungen einstellen.
Zusammengefasst dienen Pratyahara, Pranayama, Yoga Nidra und Japa als (nicht unbedingt notwendige aber) hilfreiche Bausteine in der Vorbereitung auf Samyama. Sie entwickeln die nötige geistige Disziplin, Sammlung und Reinheit, um die im Yoga-Sutra beschriebenen Fähigkeiten zu ermöglichen (garantieren aber deren Auftreten nicht). Gleichzeitig fördern sie die Haltung von Losgelöstheit und innerer Ruhe, sodass der Yogi bereit ist, Siddhis weder zu erzwingen noch zu fürchten, sondern sie im richtigen Geist zu integrieren. Jede dieser Techniken ist für sich schon eine wertvolle Übung; im Zusammenspiel ebnen sie den Weg zu den tieferen Erfahrungen des Yoga – bis hin zur Pratibha, dem aufblitzenden inneren Wissen, und darüber hinaus zum endgültigen Ziel des Yoga, der Verwirklichung des Selbst.
🌀 Samyama-Reife-Check
Samyama – die Kombination aus Konzentration, Meditation und tiefer Versenkung – ist eine hochentwickelte Praxis im Yoga. Doch ist sie für jeden und zu jeder Zeit sinnvoll? Mit diesem kurzen Selbsttest kannst du einschätzen, ob dein Geist bereit ist, sich auf diese subtile Form des inneren Forschens einzulassen.
So geht's: Beantworte die Fragen ehrlich und spontan. Am Ende erhältst du eine Einschätzung und eine Empfehlung für deinen nächsten Schritt.
Diese Zeitleiste zeigt dir die Stufen des Yogawegs, die nötig sind, um in den Zustand von Samyama zu kommen – und wie daraus Siddhis (verfeinerte Sinneswahrnehmungen) spontan entstehen können. Ethische Grundlagen & Selbstdisziplin: z. B. Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Reinheit. Sie bereiten deinen Geist auf Tiefe und Klarheit vor. Stabiler, bequemer Sitz. Der Körper wird still, der Atem ruhig – beides ist nötig für längere innere Versenkung. Atemkontrolle als Brücke zur inneren Wahrnehmung, Pantanjali empfiehlt, Ausatmung und Einatmung und Anhalten zu verlängern und zu verfeinern. Dieses Pranayama beruhigt das Nervensystem und bereitet den Geist auf Fokus vor. Zurückziehen der Sinne. Der Blick geht nach innen. Die Außenwelt verliert an Bedeutung. Jetzt beginnt echte Sammlung. Konzentration auf ein Objekt (z. B. Licht, Atem, Mantra). Der Geist bleibt bei einem Punkt – erste Form von Meditation. Meditation. Der Fokus wird fließend, mühelos. Es gibt keine Unterbrechungen mehr – reines Verweilen im Beobachteten. Verschmelzen mit dem Objekt. Kein „Ich meditiere“ mehr – nur noch reines Sein. Dies ist der Eingang in tiefe Einsicht. Wenn Dharana, Dhyana und Samadhi auf dasselbe Objekt gerichtet sind – ohne Unterbrechung –, kann daraus Samyama entstehen. Dann ist der Geist hochfokussiert, durchlässig und empfänglich für tiefe, intuitive Erkenntnis. Spontan kann es geschehen, dass sich ein Siddhi zeigt, du z. B. feiner hörst, spürst, siehst – nicht mit den Sinnen, sondern von innen heraus. Denke immer daran: Siddhis sind kein Ziel, aber ein möglicher Meilenstein auf deinem Weg.
Interaktive Zeitleiste: Pfad zu Samyama und den Siddhis
🪷 Yama & Niyama
🧘 Asana
🌬️ Pranayama
👁️ Pratyahara
🎯 Dharana
🧘♀️ Dhyana
🌌 Samadhi
✨ Übergang zu Samyama
🌟 Was entsteht daraus?
Wenn nun dieses Samyama auf die „drei Arten der Veränderungen“ - traya (Dreiheit) der Umwandlungen (parinama) - angewendet wird, erhält die/der Praktizierende Wissen um Vergangenheit und Zukunft eines Objektes.
Patanjali erklärt in dieser Sutra nichts Näheres zu diesen drei Wandlungen/Veränderungen/Umwandlungen. Viele Kommentatoren, zum Beispiel Vyasa (siehe unten), beziehen die Dreiheit auf
- die Form bzw. Natur (dharma),
- den Zustand bzw. die Eigenart der Bedingungen (laksana) und
- die zeitlichen Faktoren bzw. den Endzustand (laksana)
eines Objektes. Siehe dazu wie gesagt die Erläuterungen zu Sutra III-13.
Etena bhûtendriyeshu dharma-lakshanâ-vasthâ-parinâma vyâkhyâtâh
एतेन भूतेन्द्रियेषु धर्मलक्षणावस्थापरिणामा व्याख्याताः
Dies ist ein abstrakter Vers, der nicht so einfach zu verstehen ist. Die meisten Kommentatoren sehen hierin eine Erläuterung des Zustandes von völliger Konzentration. Erläuterungen zu den Veränderungen in Körper und Geist von Yogi/Yogini durch ekagrata-parinama, der einpünktigen Konzentration. Das Bewusstsein eines so voll konzentrierten Menschen ändert sich in Bezug auf Eigenschaften, Sichtweisen und Wahrnehmungen. Körper und Sinnesorgane verwandeln sich ebenfalls.
Andere, zum Beispiel Deussen, deuten die Dreiheit als Veränderungen in der geistigen Entwicklung des Yogis:
- Nirodha-Parinama
- Samadhi-Parinama
- Ekagrata-Parianma
Siehe zu dieser Auslegung die Erläuterungen in Sutra III-9 bis III-12:
Tasya prashânta–vâhitâ samskârât
तस्य प्रशान्तवाहिता संस्कारत्
Es nützt der spirituellen Entwicklung wenig, hin und wieder die Gedanken zur Ruhe zu bringen. Wer einen stillen, klaren Geist möchte, muss die Übungen zur Transformation des Geistes verstetigen. Der Prozess der gesammelten Aufmerksamkeit ohne Gedanken (Nirodha Parinama) sollte sich in einen stetigen Fluss verwandeln. Wie dies gelingen kann, lesen wir in den Kommentaren zu diesem Abschnitt.
sarvārthatā ekāgrātayoḥ kṣayodayau cittasya samādhi-pariṇāmaḥ
सर्वार्थतैकाग्रतयोः क्षयोदयौ चित्तस्य समाधिपरिणामः
In den Sutras zuvor wurde der Prozess von Nirodha-Parinama (erste Verwandlung des Geistes) beschrieben, der Übergang von Konzentration (Dharana) zur Versenkung (Dhyana). Doch der Geist kennt noch eine tiefe Art des Wirkens. Übt der Yogi fleißig weiter, so findet eine weitere Transformation statt: Samadhi-Parinama, die zweite Verwandlung - das Gleiten von Dhyana in Samadhi.
Tataḥ punaḥ śātoditau tulya-pratyayau cittasya-ikāgratā-pariṇāmaḥ
ततः पुनः शान्तोदितौ तुल्यप्रत्ययौ चित्तस्यैकाग्रतापरिणामः
Hier nun wird die dritte Verwandlung des Geistes des Yogis/ der Yogini beschrieben: die Transformation durch „einpünktige Konzentration“. Dabei empfindet sich das zeitliche Empfinden des fortgeschrittenen Meditierenden.
Meiner Einschätzung nach ist diese Deutung deutlich seltener als die obere mit Form/Zustand/Zeit. Zudem ist es anschaulicher, wenn wir die Auslegung von Vyasa übernehmen, da hier auch gut die zeitliche Komponente dieser Sutra auf die Veränderungen bezogen werden kann.
Zum Vorgehen: Samyama, der Dreiklang aus Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (Überbewusstsein) auf ein Meditationsobjekt ist das Mittel der Wahl für den Yogi, um die in Kapitel III des Yogasutra besprochenen Siddhis auszuüben. In diesem Fall ist das Konzentrationsobjekt die drei Arten der Veränderung.
Üblicherweise gelingt tiefe Versenkung bei voller Bewusstheit am besten mit tiefer Meditation. Es soll auch mit Yoga Nidra funktionieren, wenn du die darin enthaltenen Schritte mit Konzentration ohne einzuschlafen durchführen kannst. Zu beiden Techniken findest du Anleitung (& Downloads) auf Yoga-Welten.de:
Willkommen zu der Entspannungstechnik des Yogas: Yoga Nidra. Die yogische Tiefenentspannung, auch "yogischer Schlaf" genannt, ist eine Tiefenentspannungsübung der tantrischen Yoga-Lehre. Ihr Ursprung liegt in weit entfernten Zeiten. Yoga Nidra führt in tiefe Entspannungszustände, die mit einiger Übung bei vollem Bewusstsein erfahren werden können. Zusätzlich besteht über einen sogenannten Sankalpa die Möglichkeit, Persönlichkeitsentwicklung tief ins Unbewusste einzuprägen. Hier findest du Yoga Nidra erläutert und dazu eine einfache Anleitung, einen Gratis-MP3-Download, den Text zum Ausdrucken und viele Varianten für fortgeschrittenes Üben, auch als Videos. Der Begriff Meditation hat viele Facetten. Das Spektrum reicht vom Nachsinnen über ein Thema (vornehmliche Betrachtungsweise der Philosophen) bis zur völligen Gedankenstille. Im Folgenden findest du eine konkrete Anleitung der Schritte, welcher der Buddha himself seinen Schülern zum Lernen einer tiefen Meditation gegeben hat. Sicherlich nicht die schlechteste Herangehensweise, wenn du persönliche Entwicklung oder gar Erleuchtung zum Ziel deiner Meditationsreise auserkoren hast. Am Ende findest du eine Merkkarte zum Ausdruck – z. B. für das Portemonnaie.Beitrag: Yoga Nidra
Yoga Nidra | Anleitung, MP3, Text und Variationen
Beitrag: Meditation lernen
Meditation lernen – die grundlegende Anleitung aus dem Buddhismus
Sukadev beschreibt das Vorgehen in dieser Sutra so: „Wenn wir wissen wollen, wie Vergangenheit und Zukunft von etwas beschaffen ist, dann müssen wir schauen, wie es sich momentan verändert oder wie es sich in einem gewissen Zeitraum verändert hat. So können wir die Gesetze herausfinden, wie es sich in der Vergangenheit verhalten hat und wie es sich in Zukunft entwickeln wird.“
Im Grunde genommen hört sich das logisch an: Beobachte sehr genau und konzentriert mit deinem ganzen Wesen die Veränderungen deines Meditationsobjektes und seiner umgebenden Bedingungen. Dann wirst du ein Gespür für dessen bisherige Entwicklung (die Vergangenheit) und deren zukünftigen Verlauf erlangen.
Oder auch: Mache dir voll bewusst, wie die Vergangenheit deines Meditationsobjektes war. Vollziehe dann dessen Entwicklung bis zur Gegenwart nach. Meditiere über diesen Verlauf. Spüre dann in die Zukunft hinein und sei achtsam, welche Ahnungen in die aufsteigen.
Umfrage zum Vorgehen
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Wie kann man diesen Vorgang noch anwenden?
- Materiell: Mentale Ausrichtung auf den Wandel bzw. die Bewegungen der Materie im Raum.
- Dein Leben: Wenn du ehrlich die Entwicklungen in deiner Vergangenheit anschaust, kannst du dir ausmalen, wie sich dein Leben in Zukunft entwickeln wird. Dadurch wird das Üben dieses Siddhis auch zum Quell der Selbsterkenntnis, yogisch: svadhyaya.
Allgemeine Empfehlungen zu den Siddhis
Empfehlungen zu Voraussetzungen und zum Umgang mit den Siddhis
Viele Kommentatoren empfehlen, mit den Siddhis sehr bewusst umzugehen. Folgendes wird oft geraten:
Wer sich den Siddhis zuwendet, sollte die Yamas und Niyamas in seinem Leben verwirklicht haben. Diese sind:
Die Yamas – Selbstkontrolle
- Ahimsa – Gewaltlosigkeit
- Satya – Wahrhaftigkeit
- Asteya – Nicht-Stehlen
- Brahmacharya – Wandel in Brahma / Selbstbeherrschung / Enthaltsamkeit
- Aparigraha – Nicht-Greifen, Verzicht auf Gier
Niyamas – Verhaltensregeln
- Saucha – Reinheit
- Santosha – Zufriedenheit
- Tapas – Selbstzucht
- Svadhyaya – Selbststudium (Studium)
- Ishvarapranidhana – Verehrung des Göttlichen
Siehe dazu die Erläuterungen in "Yamas und Niyamas im täglichen Leben".
Siddhis sollten nicht zum Vergnügen, zur Selbsterhöhung oder anderen ungünstigen, egoistischen Zielen angewendet werden. Vielmehr zeigen die Siddhis (so Iyengar und andere), dass die Yogapraxis “richtig angelegt” sei.
Selbstverständlich sollte man Siddhis auch nicht dazu nutzen, um jemand anderen damit zu schaden.
Stattdessen wird eher ein “Nicht-Beachten” der Siddhis angeraten, wenn diese sich denn zeigen sollten. Iyengar schreibt, (S. 244), die Übungen bei Auftreten der Siddhis mit Glauben und Begeisterung weiterzuentwickeln, die Siddhis aber mit völligem Gleichmut zu betrachten.
Dem Yogi wird also geraten, sich nicht auf die Siddhis einzulassen, sich nicht von ihnen “mitreissen zu lassen”, um sie nicht für eigenen selbstsüchtige Bedürfnisse zu verwenden, woraus späteres Leiden folgen würde. Stattdessen solle er/sie weiter auf dem Pfad der Befreiung zu wandeln und die Siddhis eher als Prüfung ansehen, ob man nicht doch noch - trotz fortgeschrittener yogischer Entwicklung - den Verlockungen der Dualität und des Ego-Daseins nachgibt.
Swami Sivananda sagt über Siddhis:
„Yoga ist nicht dazu da, Siddhis, Kräfte, zu erlangen. Wenn ein Yogaschüler die Versuchung verspürt, Siddhis zu erlangen, wird sein weiterer Fortschritt ernsthaft verzögert. Er hat den Weg verloren. Ein Yogi, der darauf konzentriert ist, höchsten Samadhi zu erreichen, muss Siddhis zurückweisen, wo auch immer sie auftauchen. Siddhis sind Einladungen von Devatas. Nur wenn man diese Siddhis zurückweisen kann, kann man Erfolg im Yoga erlangen.“
Im tibetischen Buddhismus werden vergleichbare Fähigkeiten „Shes-rab“ genannt. Auch dort: klare Intuition, inneres Sehen, spontane Einsicht – aber nie als Ziel, sondern als Prüfstein für Demut.
Missverständnisse rund um Siddhis
Die Aussicht auf übernatürliche Kräfte fasziniert viele – und genau darin liegen einige häufige Missverständnisse begründet. Ein Irrglaube besteht darin, dass Yoga hauptsächlich dazu diene, solche Siddhis zu erlangen. Tatsächlich betont die Tradition jedoch, dass Siddhis eher Nebenprodukte auf dem spirituellen Weg sind, nicht sein Zweck. Patanjali selbst stellt im unmittelbar folgenden Sutra klar, dass diese Fähigkeiten für einen im Samadhi befindlichen Geist Upasarga – also Störungen oder Ablenkungen – darstellen, auch wenn sie in einem nach außen gewandten Bewusstseinszustand als außergewöhnliche Errungenschaften erscheinen mögen. Yogameister wie Vyasa und später Vivekananda haben daher immer wieder gemahnt, die Siddhis nicht zu überschätzen: Sie seien wie Blüten am Wegesrand – schön und bemerkenswert, aber man sollte nicht vom Weg abkommen, um nur noch Blumen zu pflücken.
Ein weiteres Missverständnis liegt darin, jede ungewöhnliche innere Wahrnehmung sofort für eine echte siddhische Fähigkeit zu halten. Insbesondere wenn Übende beginnen, sich intensiv mit Meditation zu beschäftigen, können imaginäre Bilder, Lichterscheinungen oder akustische Phänomene auftauchen. Die Yoga-Tradition fordert hier Viveka, das unterscheidende Erkenntnisvermögen: Handelt es sich wirklich um eine valide intuitive Einsicht (Pratibha) oder nur um eine Wunschprojektion des Geistes? Echte spirituelle Intuition wird traditionell durch bestimmte Qualitäten kenntlich gemacht – sie geht einher mit tiefer innerer Stille, Klarheit und Gewissheit, ohne Aufregung oder Ego-Stolz. Hingegen sind halluzinatorische Erlebnisse oder irrige „Eingebungen“ oft dramatisch, emotional aufgeladen oder selbstbezogen. Es ist ein bekanntes Risiko, dass ein Yogi, der sich zu früh auf Siddhis fokussiert, Opfer von Täuschungen werden kann. Beispielsweise könnte man glauben, die Gedanken anderer lesen zu können, während man in Wirklichkeit eigenen Fantasien nachhängt.
Schließlich gibt es das Missverständnis, Siddhis seien ein Zeichen von Erleuchtung oder spiritueller Vollendung. Historische Berichte zeigen jedoch, dass auch wenig ethische oder unreife Personen zeitweise paranormale Fähigkeiten aufweisen konnten – was nicht mit wahrer Heiligkeit gleichzusetzen ist. Im Yoga wird daher gelehrt, die Siddhis weder zu verteufeln noch zu vergötzen. Sie dürfen auftauchen, doch der richtige Umgang ist entscheidend: Ein reifer Yogi nimmt sie wahr, schenkt ihnen aber wenig Bedeutung und bleibt dem höheren Ziel, Kaivalya (der völligen Befreiung), verpflichtet. Missverständnisse klären sich letztlich durch Erfahrung und Anleitung: In der traditionellen Guru-Schüler-Beziehung wurden auftauchende Siddhi-Erlebnisse vertraulich besprochen, um sicherzustellen, dass der Schüler nicht in Fallen wie Egoismus oder Ablenkung tappt. So soll auch der moderne Übende verstehen, dass Wunder im Yoga-Kontext Prüfsteine der Haltung sind – sie verlangen nach noch mehr Demut, Vairagya und Konzentration auf den eigentlichen Weg.
Kommentar von Vyasa zu Sutra 3.16
Erläuterungen zu Vyasa
Vyasa war ein indischer Philosoph des 5. bzw. 6. Jahrhunderts nach Christi, der den ältesten überlieferten Kommentar zum Yogasutra des Patanjali schrieb. Der Text wird Yogabhashya (wörtlich "Kommentar (Bhashya) zur Yogaphilosophie") genannt und um 600 nach Christi datiert. Vyasas Kommentare zu den Sutras sind oftmals recht kurz.
Dieses Yogabhashya wurde im 8./9. Jh. von Shankara (788–820 n. Chr, indischer Gelehrter, Vedanta-Philosoph, Begründer der Advaitavedānta-Tradition) kommentiert. Sein Kommentar nennt sich Yogabhashyavivarana, Vivarana ist ein Unterkommentar. Auch Vachaspati Mishra hat einen frühen, berühmten Kommentar zum Yogasutra geschrieben. (Meine Quellen für diese Kommentare waren unterschiedliche Bücher und Webseiten, zum Beispiel Legget (siehe Literatur) und wisdomlib.org/hinduism/book/yoga-sutras-with-commentaries/). Ich gebe hier diese Kommentare in für mich relevanten Auszügen in Worten wieder, die für mich den Sinn in heutigen Worten am besten wiedergeben. Dies ist explizit kein Bemühen, die Originalkommentare wortgetreu wiederzugeben. Fehlinterpretationen sind natürlich in meiner Verantwortung.
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Die Kommentare von Vyasa, Mishra und Shankara sind oft wörtlich übersetzt worden, zum Beispiel bei den oben angegebenen Quellen.
Vyasa schreibt: „Von saṃyama über die Veränderungen von Dharma, Zeitphase und Zustand kommt das Wissen über vergangener und zukünftiger Dinge zum Yogi. Wenn dhāraṇā, dhyāna und samādhi auf dasselbe auf ein und dieselbe Sache gemacht werden, nennt man das saṃyama. Dadurch, dass die drei Veränderungen direkt wahrgenommen werden, entsteht das Wissen um die vergangenen und zukünftigen Dinge.“
Vachaspati Mishra erläutert dazu: „Von nun an bis zum Ende des Kapitels werden die Objekte des Saṃyama und die Errungenschaften, die auf die Beherrschung derselben hinweisen, besprochen. Von diesen wird als erstes Objekt des Saṃyama eines mit allen Hilfsmitteln des Yoga vertrauten Yogi die Triade der Wandlungen selbst vorgestellt, deren Modalität bereits beschrieben wurde: Durch Saṃyama über die dreifachen Wandlungen kommt die Erkenntnis der Vergangenheit und der Zukunft.
Die Frage ist: Da die direkte Erkenntnis nur von dem Objekt erlangt wird, auf das sich das Saṃyama bezieht, wie kann dann das Saṃyama über die Dreiheit der Veränderungen die Ursache der direkten Erkenntnis der Vergangenheit und der Zukunft werden? Aus diesem Grund sagt der Kommentator: Wenn die unmittelbare Erkenntnis der dreifachen Veränderung durch Saṃyama erlangt wurde, wird auch die Erkenntnis der Vergangenheit und der Zukunft herbeigeführt, die mit diesen Veränderungen in einer Beziehung der Koexistenz stehen. Die direkte Erkenntnis der Triade der Veränderungen selbst, ist die direkte Erkenntnis der Vergangenheit und der Gegenwart, die es umfasst. Das Wesen des einen ist das Wesen des anderen …. Dies ist die Bedeutung.“
Alternativübersetzung (teilweise) von Roots: „Durch die Konzentration auf Transformationen von Eigenschaften (Dharmas), Merkmalen (Lakṣaṇas) und Zuständen (Avasthâs) erlangen Yogis Erkenntnisse über Vergangenheit und Zukunft. Konzentration (Saṃyama) soll die Triade von Fixierung (Dhâraṇâ), Meditation (Dhyâna) und Samâdhi [konzentriert] auf ein einzelnes [Objekt] sein.“
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Übungsvorschlag zu Sutra III-16
Übe dieses Siddhi anhand deiner Vergangenheit. Nimm eine momentane Situation und meditiere über deren bisherigen Verlauf und ihren jetzigen Zustand. Kommt eine Ahnung von der Zukunft?
Oder fühle dich in die Geschichte deiner Mitmenschen ein. Fühle dich verbunden, spüre nach.
Meine Erkenntnisse/Erfahrungen bei/mit dieser Übung

Siehe auch folgende Sutras
Tasya prashânta–vâhitâ samskârât
तस्य प्रशान्तवाहिता संस्कारत्
Es nützt der spirituellen Entwicklung wenig, hin und wieder die Gedanken zur Ruhe zu bringen. Wer einen stillen, klaren Geist möchte, muss die Übungen zur Transformation des Geistes verstetigen. Der Prozess der gesammelten Aufmerksamkeit ohne Gedanken (Nirodha Parinama) sollte sich in einen stetigen Fluss verwandeln. Wie dies gelingen kann, lesen wir in den Kommentaren zu diesem Abschnitt.
sarvārthatā ekāgrātayoḥ kṣayodayau cittasya samādhi-pariṇāmaḥ
सर्वार्थतैकाग्रतयोः क्षयोदयौ चित्तस्य समाधिपरिणामः
In den Sutras zuvor wurde der Prozess von Nirodha-Parinama (erste Verwandlung des Geistes) beschrieben, der Übergang von Konzentration (Dharana) zur Versenkung (Dhyana). Doch der Geist kennt noch eine tiefe Art des Wirkens. Übt der Yogi fleißig weiter, so findet eine weitere Transformation statt: Samadhi-Parinama, die zweite Verwandlung - das Gleiten von Dhyana in Samadhi.
Tataḥ punaḥ śātoditau tulya-pratyayau cittasya-ikāgratā-pariṇāmaḥ
ततः पुनः शान्तोदितौ तुल्यप्रत्ययौ चित्तस्यैकाग्रतापरिणामः
Hier nun wird die dritte Verwandlung des Geistes des Yogis/ der Yogini beschrieben: die Transformation durch „einpünktige Konzentration“. Dabei empfindet sich das zeitliche Empfinden des fortgeschrittenen Meditierenden.
Etena bhûtendriyeshu dharma-lakshanâ-vasthâ-parinâma vyâkhyâtâh
एतेन भूतेन्द्रियेषु धर्मलक्षणावस्थापरिणामा व्याख्याताः
Dies ist ein abstrakter Vers, der nicht so einfach zu verstehen ist. Die meisten Kommentatoren sehen hierin eine Erläuterung des Zustandes von völliger Konzentration. Erläuterungen zu den Veränderungen in Körper und Geist von Yogi/Yogini durch ekagrata-parinama, der einpünktigen Konzentration. Das Bewusstsein eines so voll konzentrierten Menschen ändert sich in Bezug auf Eigenschaften, Sichtweisen und Wahrnehmungen. Körper und Sinnesorgane verwandeln sich ebenfalls.
Ergänzungen und Fragen von dir
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Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:
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