Tasya prashânta–vâhitâ samskârât
तस्य प्रशान्तवाहिता संस्कारत्
Es nützt der spirituellen Entwicklung wenig, hin und wieder die Gedanken zur Ruhe zu bringen. Wer einen stillen, klaren Geist möchte, muss die Übungen zur Transformation des Geistes verstetigen. Der Prozess der gesammelten Aufmerksamkeit ohne Gedanken (Nirodha Parinama) sollte sich in einen stetigen Fluss verwandeln. Wie dies gelingen kann, lesen wir in den Kommentaren zu diesem Abschnitt.
1. Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits
Zunächst hier die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Worte, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis variieren kannst:
- Tasya = sein (des Nirodha–Parinâma); dessen; ihr;
- Prasantha, prashânta, praśānta = ruhig; ungestört; gleichmütig; friedlich; eine befriedete und ruhige Stille;
- Vahita, vâhitâ, vāhitā = Fluß; Strom; Fließen; Gang;
- Samskara, saṁskāra, samskârayoh = Manifestation im Unterbewusstsein; von den Eindrücken; unterbewusste Prägungen (von vergangenen Handlungen/Gedanken); Neigungen, Ängste und Haltungen aufgrund von Vorerfahrungen; unbewusstes Programm;
Zu den Quellen
Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:
Bücher
- Mircea Eliade: Yoga – Unsterblichkeit und Freiheit
- Iyengar: Der Urquell des Yoga
- Deshpande/Bäumer: Die Wurzeln des Yoga
- Geraldine Coster: Yoga und Tiefenpsychologie
- R. Sriram: Von der Erkenntnis zur Befreiung – Das YogaSutra
- Govindan: Die Kriya Yoga Sutras des Patanjali
- Mallinson/Singleton: Roots of Yoga
- R. Palm: Der Yogaleitfaden des Patañjali
- T.K.V. Desikachar: Über Freiheit und Meditation | Das Yoga Sutra von Patanajali
- Feuerstein, Georg: Die Yoga Tradition (Amazon)
- Skuban, Ralph: Patanjalis Yogasutra (Amazon)
- Sri Swami Satchidananda: The Yoga Sutras of Patanjali (Amazon)
- Trevor Leggett: The complete Commentary by Sankara on the Yoga-Sutras* (Amazon)
Internetseiten
- Internet-Übersetzung des Yogasutras auf Yoga-Vidya.de
- Zu den Sutras auf ashtangayoga.info
- Zu den Sutras auf 12koerebe.de
- Zu den Sutras auf vedanta-yoga.de
- Openland.de (mittlerweile offline)
- Zu www.bodhi.sofiatopia.org (buddhistische Kommentare zum Yogasutra nur noch als Buch)
- sanskrit-sanscrito.com (Sutras anscheinend entfernt)
- Zur Übersetzung von Chip Hartranft (PDF)
- Die Übersetzung von Hariharananda Aranya, I. K. Taimni, Vasa Houston, Barbara Miller, Swami Satchidananda, Swami Prabhavananda, Swami Vivekananda finden sich auf dieser Seite.
- Übersetzung von James Haughton Woods
- Rainbowbody.com (ausführliche und eigene Kommentierung)
Dein Übersetzungsvorschlag
Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.
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Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)
3. Wo wir stehen
Samyama ist die Schlüsselübung im dritten Kapitel des Yogasutra zum Erreichen der geistigen Kräfte. In den Sutras III-1 bis III-7 erläutert Patanjali zunächst, was Samyama ist: die Kombination aus Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (Überbewusstsein). In Sutra III-8 erläutert Patanjali, dass der Yogi zur Erlangung der Erleuchtung über Samyama hinausgehen muss.
In den Sutras III-9 bis III-15 erläutert Patanjali, welche Wandlung der Geist (Chitta) vollziehen muss, um Samyama bis zur Perfektion ausüben zu können. Aufeinander aufbauend sind das die Stadien Nirodha-Parinama (Wandel durch Sammlung, einfache Konzentration), Samadhi-Parinama (Wandlung durch länger andauernde Konzentration) und Ekagrata-Parinama (Wandel/Transformation durch vollkommene Versenkung auf einen Punkt/ein Thema).
Man kann die Sutras III-9 bis III-15 so deuten, dass der notwendige Wandel des Geistes (nur) nach und nach vonstattengeht, keine eilige Erledigung darstellt.
4. Samskara
Der Begriff "Samskara" bezieht sich auf latente Eindrücke oder geistige Spuren, die durch frühere Erfahrungen hinterlassen wurden. Diese Eindrücke können unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen beeinflussen, oft ohne unser bewusstes Wissen. Dr. Steiner sieht die Verfestigung von Neuronenverbindungen bei der Wiederholung gleicher Gedanken/Verhaltensweisen als Grund für das Entstehen der Samskaras an. Auch regelmäßiges “Nichtdenken” führt zu solchen Neuronen-Verfestigungen. Darum würde es auch mit der Zeit immer leichter, in die Versenkung zu gehen oder eine Konzentration aufrechtzuerhalten.
5. Zum ungestörten Fluss
Iyengar: „Dann fließt der Strom der Stille, ohne dass sich die kleinsten Wellen im Bewusstsein bilden.”
Wieso ist in der Sutra von einem "Fluss" die Rede, wo Nirodha doch so etwas wie Stillstand, Stocken meint? Palm (S. 144) verweist darauf, dass vrittis (die Gedanken oder Gedankenwellen) als “Wirbel” oder “Kräuseln” übersetzt werden. Das ruhige Dahinfließen bzw. Strömen dieser vrittis passe dann wieder gut in das Wasser- bzw. Flussbild.
Sukadev vergleicht die Erziehung der Gedanken hin zu einem ungestörten Fluss an Positivität oder Stille mit der Erziehung eines Hundes. Auch in der Hundeerziehung bedürfe es vor allem der Konsequenz. Ohne diese wird sich keine Kontinuität einstellen.
Ein Element dieser Kontinuität ist das Unterdrücken von Wünschen. Wieder Sukadev: Ein Raja-Yogi gibt seinen Wünschen nicht nach. Dieser weiß nämlich: mit jedem Wunsch, der beherrscht wird, wird der Geist ein wenig stärker, wächst er. So freut sich ein Yogi über jede Möglichkeit, den Geist zu beherrschen. Auch bei der Wunschversagung sei Regelmäßigkeit ein entscheidender Faktor für den Erfolg. Allerdings solle man es dabei nicht übertreiben. Die reine Unterdrückung von Wünschen ohne begleitende spirituelle Entwicklung führe auf die Dauer zu anderen Problemen.
Govindan schreibt: “Indem man immer wieder das Loslassen übt …, entsteht allmählich im Unterbewusstsein ein Verhaltensmuster (samskara) des Loslassens.”
… und wieder zurück
Desikachar mahnt: „Bemühen wir uns jedoch nicht immer wieder darum, den Zustand der Ausrichtung aufrechtzuerhalten, so werden Zerstreutheit und Unachtsamkeit in unserem Geist wieder Oberhand gewinnen.”
6. Kommentar von Vyasa zu Sutra 3.10
Vyasa war ein indischer Philosoph des 5. bzw. 6. Jahrhunderts nach Christi, der den ältesten überlieferten Kommentar zum Yogasutra des Patanjali schrieb. Der Text wird Yogabhashya (wörtlich "Kommentar (Bhashya) zur Yogaphilosophie") genannt und um 600 nach Christi datiert. Vyasas Kommentare zu den Sutras sind oftmals recht kurz.Erläuterungen zu Vyasa
Dieses Yogabhashya wurde im 8./9. Jh. von Shankara (788–820 n. Chr, indischer Gelehrter, Vedanta-Philosoph, Begründer der Advaitavedānta-Tradition) kommentiert. Sein Kommentar nennt sich Yogabhashyavivarana, Vivarana ist ein Unterkommentar. (Meine Quellen für diese Kommentare: Legget (siehe Literatur) und wisdomlib.org/hinduism/book/yoga-sutras-with-commentaries/)