wolke weiss frau gruen 250prasaṁkhyāne-'py-akusīdasya sarvathā vivekakhyāteḥ dharma-meghas-samādhiḥ
प्रसङ्ख्यानेऽप्यकुसीदस्य सर्वथा विवेकख्यातेर्धर्ममेघः समाधिः

Die Sutras IV-29 bis 34 legen dar, welche Segnungen wir erhalten, wenn alle Hindernisse durch Meditation (Dhyana) beseitigt wurden. In diesem Artikel erkunden wir die tiefere Bedeutung von Yogasutra 4.29. Du erfährst, was Dharma-Megha-Samadhi genau bedeuten könnte und warum hier alle Wünsche – sogar der Wunsch nach Allwissenheit oder Befreiung – an Bedeutung verlieren bzw. verlieren müssen, um diesen Zustand zu erreichen. Wir beleuchten, wie klassische Gelehrte wie Vyasa und Shankara diesen Zustand beschrieben haben und wie moderne Lehrer ihn heute interpretieren. Dabei wirst du auch entdecken, welche Paradoxie am Ende des spirituellen Weges wartet: Oft erreicht dich das höchste Ziel erst dann, wenn du aufgehört hast, es zu verfolgen.

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Ich habe eine oder mehrere kurze Samadhi-Erfahrung(en) gehabt 20 Stimmen
Ja, ich bin schon tief in Samadhi eingetaucht 7 Stimmen
Ich habe mich Samadhi angenähert 2 Stimmen

Inhalt: Yogasutra Kapitel 4, Vers bzw. Sutra 29

Kurz zusammengefasst

  • Dharma-Megha-Samadhi – „Wolke der Tugend“: Patanjali beschreibt hier den höchsten Samadhi-Zustand, in dem alle bisherigen Ziele verblassen. Es ist ein Zustand reiner Gnade – wie ein Regen von Tugend, der ohne eigenes Wollen auf den Yogi niedergeht.
  • Unterscheidungskraft & Wunschlosigkeit: Voraussetzung ist eine durchdringende Klarheit über das Selbst (Viveka-Khyāti) und die völlige Loslösung von jedem Verlangen – sogar vom Wunsch nach Erleuchtung. Der Yogi ruht in stiller Absichtslosigkeit.
  • Symbolik der „Wolke“: Die Wolke steht für das spontane Herabregnen von Erkenntnis, Tugend und innerem Wissen. Nicht als Lohn, sondern als natürliche Folge der völligen inneren Hingabe.
  • Befreiung von Kleshas und Karma: In diesem Samadhi erlöschen alle inneren Hindernisse, neue karmische Bindungen entstehen nicht mehr. Der Yogi handelt nur noch im Einklang mit dem Dharma – frei von Ich-Bezug.
  • Klassische Kommentare: Vyasa und Shankara sehen Dharma-Megha-Samadhi als Tor zur endgültigen Befreiung (Kaivalya). Es ist der letzte Zustand vor dem völligen Aufgehen im reinen Bewusstsein – jenseits von Denken, Wollen und Tun.
  • Moderne Perspektiven: Zeitgenössische Lehrer wie Osho betonen die völlige Wunschfreiheit als Schlüsselelement. Dieser Zustand bringt kein aktives Streben mehr mit sich, sondern ist ein Geschehenlassen im Fluss universeller Intelligenz.

Details und Erläuterungen zu allen Punkten im weiteren Artikel.

Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits

Hier sind zunächst die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Wörter, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis anpassen kannst:

  • Prasamkhâne, prasaṁkhyāne, prasaṃkhyāna, prasamkhyana = in Kenntnis der höchsten Meditation; tiefe Erkenntnis; (völlige) Klarsicht; Vollständige und erhabene Integration; Allwissenheit; tiefe Erkenntnis; makellose Wahrnehmung; im Erreichen; im Aufzählen; im Nachdenken;
  • Api = sogar; auch; erst dann;
  • Akusidasya, akusîdasya, akusīdasya, akusida = kein Interesse haben; den Wunsch aufgeben; Wunschlosigkeit; ohne Gier; Frei von selbstsüchtiger Motivation. Frei von „Selbst“; Selbstlos; ohne Gierneigung; nicht interessiert an Belohnung oder Gewinn;
  • Viveka = Unterscheidungskraft; unterscheidend;
  • Khyati, khyāti = folgend aus;
  • Sarvatha, sarvathâ = auf jede Weise; immer; fortwährend; in allen Fällen; zu allen Zeiten;
  • Viveka-khateh, viveka–khyâteh = Unterscheidungskraft; Einsicht in die (richtige) Unterschiedlichkeit; aus der differenzierten Wahrnehmung; aus der Unterscheidungsfähigkeit;
  • Dharma = Lehre; Tugend; Aufgaben; kosmische Ordnung; Wesen(sart); Natur; Charakter;
  • Meghas, megha = Wolke;
  • Dharma–meghah = Herabströmen der Dharmas; Regenwolke des Dharma; Regenwolke der reinen Tugend; Wolken, die ihr Versprechen halten;
  • Samadhi, samâdhih, samādhi = überbewusster Zustand; tiefste Meditation; Sammelbegriff für verschiedene Samadhi-Stufen; die vollko

Übersetzungsvarianten und -hinweise (Quellen)

Hervorhebungen weisen auf Besonderheiten der jeweiligen Übersetzung hin. Übertragungen aus dem Englischen sind Eigenübersetzungen.

  • Roots: „Die "Wolke der Tugend" ... entsteht für diejenigen, die eine vollständige unterscheidungsfähige Erkenntnis haben und nicht einmal an reinem Bewusstsein interessiert sind. ...“
  • Sukadev: „Gibt man selbst den Wunsch nach dem höchsten Bewusstseinszustand auf ...“
  • Deshpande/Bäumer: „Wenn einer, obwohl er inneren Reichtum angesammelt hat, auf den Gewinn daraus verzichtet, ...“
  • Dr. R. Steiner: „Wenn Du völlige Klarsicht entwickelt hast (prasaṁkhyāna), ... zu einem Segen (dharma-megha) für alle ... Voraussetzung dafür ist ... und Freiheit von Gier (akusīda)."
  • Paul Deussen (1908): „Für ihn, der auch bei Anlegung [seines Kapitals] keine Interessen erwartet, wird, da auf alle Weise die Unterscheidung aufleuchtet, der Samādhi zu einer [Wohltaten herabregnenden] Wolke von Tugenden.”
  • Coster: „Wird zu einem vollkommenen Wissen von der Unterscheidung noch höchste Bindungslosigkeit hinzugefügt, ... der Zustand wirklichen geistigen Bewusstseins.“
  • Feuerstein: „Er, der auch im Zustand der größten Erhöhung völlig losgelöst bleibt, ... durch unterscheidende Schau zur Ekstase ...“
  • R. Palm: „..., der bei all der Summe [der Reichtümer] keinen Wucher treibt und der immer und überall die Klarsicht der Unterscheidungsschau [beibehält], ...”
  • R. Sriram: „Erst bei gleichmütiger Wunschlosigkeit gepaart mit klarer Wahrnehmung wirkt Viveka, ...“
  • Govindan: „Wenn man kein Interesse mehr an Belohnung hat und ständig zu unterscheiden weiß, ...“
  • Iyengar: „Wer inneren Reichtum erlangt hat und dennoch keinen Nutzen für sich daraus zieht, ... dieses besondere Bewusstsein ...“
  • Chip Hartranft: „... betritt die letzte Stufe der Integration, in der die Natur als eine Wolke nicht reduzierbarer Erfahrungssubstanzen gesehen wird.“
  • R. Skuban: „Wer schließlich sein Interesse selbst an den höchsten Bewusstseinszuständen verloren hat und dauernd in unterscheidendem Gewahrsein lebt, ...“
  • T.K.V. Desikachar: „Es entsteht ein Zustand des Geistes voller Klarheit, ...“
  • G. Pradīpaka: „Einer, der unterscheidendes (viveka) Wissen (khyāteḥ) im höchsten Grad und zu allen Zeiten (sarvathā) erlangt hat, interessiert (akusīdasya) sich nicht einmal (api) für (jene) Allwissenheit, die aus „Vivekajaṁ jñānam“ oder „Wissen, das aus Unterscheidungsvermögen entsteht ...“
  • 12koerbe.de: „beim meditativen Durchdenken nun des Nimmermüden ...“
  • Hariharananda Aranya: „... erlangt man die immerwährende unterscheidende Erleuchtung, aus der die Konzentration entsteht, die als Dharmamegha (tugendausgießende Wolke) bekannt ist.“
  • I. K. Taimni: „..., der in der Lage ist, einen konstanten Zustand von Vairagya sogar bis zum erhabensten Zustand der Erleuchtung aufrechtzuerhalten ...“
  • Swami Satchidananda: „Wer aufgrund seines vollkommenen Unterscheidungsvermögens selbst an den höchsten Belohnungen völlig uninteressiert ist, ...“
  • Swami Prabhavananda: „... erreicht als Ergebnis vollkommener Unterscheidung jenen Samadhi, der „Wolke der Tugend“ genannt wird.“
  • Swami Vivekananda: „Wer selbst dann, wenn er im Besitz aller psychischen Kräfte ist, nicht abgelenkt bleibt, ....“
  • Wim van den Dungen (buddhistischer Kommentar zum Yogasutra): „Selbst in diesem Bewusstsein immer unverdrossen & durch die Vision des Unterscheidungsvermögens entsteht eine Vereinigung, ...“
  • Rainbowbody: „Frei von selbstsüchtiger Motivation (akusidasya), während man beständig (sarvatha) im selbstleuchtenden, geklärten Gewahrsein verweilt, das eine tiefe Gegenseitigkeit (viveka-khyater) offenbart, ... [so wird die Beendigung von Samskaras, Kleshas und Karma, die duhkha verursachen, reingewaschen und entfernt].
  • Swami Venkatesananda (nach Rainbowbody) „Wo es keinerlei Interesse oder Anziehung selbst für die höchste Art von intellektuellem Wissen und Erfahrung gibt und wo ununterbrochenes Selbst-Bewusstsein vorhanden ist, ...”

Zu den Quellen

Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:

Bücher

Internetseiten

Weitere Quellen, z. B. zu aktuellen Studien, sind direkt im Text verlinkt.

Dein Übersetzungsvorschlag

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Einordnung dieser Sutra im Yogasutra

Kurze Zusammenfassung der vier Kapitel des Yogasutras

  • 1. Samādhi Pāda – Über die Versenkung
    Beschreibt das Ziel des Yoga: das zur Ruhe bringen der Gedanken im Geist. Erläutert, was Yoga ist, die Arten von Samādhi (meditativer Versenkung) und wie der Geist durch Übung (abhyāsa) und Loslösung (vairāgya) zur Ruhe gebracht werden kann.
  • 2. Sādhana Pāda – Über die Praxis
    Behandelt die konkrete Praxis des Yoga. Führt die acht Glieder des Yoga (Ashtanga Yoga) ein: Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana, Samadhi. Schwerpunkt liegt auf der ethischen Vorbereitung und inneren Reinigung.
  • 3. Vibhūti Pāda – Über die übernatürlichen Kräfte
    Beschreibt die fortgeschrittenen Stufen der Praxis (Dharana, Dhyana, Samadhi = Samyama) und die daraus entstehenden übernatürlichen Kräfte (Siddhis). Warnt davor, sich von diesen Kräften ablenken zu lassen.
  • 4. Kaivalya Pāda – Über die Befreiung
    Erklärt das Ziel des Yoga: Kaivalya (vollkommene Befreiung des Selbst von der Materie). Diskutiert die Natur des Geistes, Karma, Wiedergeburt und wie durch Erkenntnis die endgültige Freiheit erlangt wird.

Bis zu Yogasutra 4.29 entfaltet das vierte Kapitel des Yogasutra – Kaivalya Pada – eine tiefgründige Analyse über die Natur des Geistes, der Befreiung und der Siddhis (übernatürlichen Kräfte). Patanjali erklärt zunächst, wie Siddhis entstehen können – teils durch Geburt, Drogen, Mantras, Askese oder Samadhi – und warnt zugleich, dass sie nicht das Ziel des Yoga seien. Vielmehr wird betont, dass sie durch das Spiel von Naturkräften (Gunas) und karmische Prägung entstehen, nicht aus wahrem spirituellem Fortschritt.

In den folgenden Versen beschreibt Patanjali den inneren Reinigungsweg zur Befreiung: Der Geist transformiert sich durch ununterbrochene Unterscheidungskraft (viveka), bis sämtliche Kleshas (Leidursachen) und Samskaras (mentale Eindrücke) erschöpft sind. Die Sutren führen den Leser Schritt für Schritt in ein Verständnis davon, wie die Bindung an Handlung (Karma) erlischt und der Yogi im Zustand vollkommener Unabhängigkeit (Kaivalya) verweilt. Direkt vor Sutra 4.29 wird verdeutlicht, dass selbst die subtilsten Ursachen von geistiger Bewegung noch erkannt und transzendiert werden müssen – Dharma-Megha-Samadhi erscheint dann als der Zustand, in dem selbst die Sehnsucht nach Erkenntnis endgültig vergeht.

AbschnittHauptthemaKernaussage
Verse 4.1–4.3 Entstehung übernatürlicher Kräfte Siddhis entstehen durch Geburt, Substanzen, Mantras, Askese oder Samadhi – sie sind jedoch Nebeneffekte, nicht Ziel des Yoga.
Verse 4.4–4.6 Natur des Geistes und karmische Vāsanās Der Geist ist ein Produkt der Naturkräfte; karmische Eindrücke formen seine Vielfalt.
Verse 4.7–4.11 Karma und seine Auflösung Unterschiedliche Arten von Karma (weiß, schwarz, grau) und wie sie durch Unterscheidungskraft ausgelöscht werden.
Verse 4.12–4.17 Zeit, Erinnerung und Wahrnehmung Vergangenheit und Zukunft existieren als Potenzial in den Gunas; Wahrnehmung hängt von geistiger Färbung ab.
Verse 4.18–4.22 Das Selbst als Beobachter Purusha (das wahre Selbst) ist der stille Beobachter aller geistigen Vorgänge.
Verse 4.23–4.27 Feinste Hindernisse und letzte Klarheit Selbst höchste Erkenntnis ist noch ein Objekt; durch ständige Unterscheidung wird auch dies überwunden.
Verse 4.28–4.29 Vollendung durch Wunschlosigkeit Wer selbst an höchster Erkenntnis nicht haftet, erlangt Dharma-Megha-Samadhi – der Regen aller Tugenden beginnt.
 

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Yogasutra 4.29 – Die „Wolke der Tugend“ und ihr Regen von Erkenntnis

Yogasutra IV.29 beschreibt einen Wendepunkt am Gipfel des Yogawegs. In diesem Sutra skizziert Patanjali einen Bewusstseinszustand, der jenseits aller bisherigen Errungenschaften liegt. Eine mögliche Übersetzung lautet: „Wer den höchsten Bewusstseinszustand erlangt hat, weiterhin Unterscheidungskraft (viveka) übt und alle Wünsche aufgibt, erlangt Dharma-Megha-Samadhi – eine Wolke der Tugend, aus der es Tugenden regnet.“ Diese bildhafte Sprache deutet an, dass in diesem Samadhi alle Verdienste und Einsichten wie ein sanfter Regen auf den Yogi herabfallen.

In Kaivalya Pada, dem vierten Kapitel der Yoga-Sutras, dreht sich alles um die vollkommene Freiheit (Kaivalya). Sutra 4.29 markiert dabei den Moment kurz vor dieser endgültigen Befreiung. Patanjali sagt: Sobald ein Yogi selbst gegenüber der höchsten Erkenntnis (praśankhyāna, oft als nahezu Allwissenheit oder höchste Intellektion verstanden) völlige Wunschosigkeit zeigt – also nicht einmal mehr an dem Zustand von Erleuchtung oder übernatürlichem Wissen anhaftet – und seine ununterbrochene unterscheidende Wahrnehmung (viveka-khyāti) in jedem Augenblick bewahrt, dann stellt sich eine besondere Form der Versenkung ein: Dharma-Megha-Samādhi, wörtlich der Samadhi der Dharma-Wolke. Dieser poetische Begriff wird von Patanjali selbst nicht detailliert erklärt, was Raum für Interpretation lässt. Klar ist jedoch: Eine Megha (Wolke) bringt Regen – hier einen Regen von Dharma, also Tugend, Wahrheit oder den Wesenseigenschaften des Selbst. Es ist der Moment, in dem der Yogi von einem Schauer höchster Tugenden und Einsichten durchströmt wird, als würde eine Wolke ihr gesammeltes Wasser in Form von Segen auf ihn niederregnen.

Doch was bedeutet das konkret? Patanjali suggeriert, dass nach langer Disziplin (eventuell sogar ganz plötzlich) ein Umschwung geschieht: Hat der Übende alles losgelassen – sogar das Streben nach spirituellem Lohn – so flutet ihn spontan ein Gefühl tiefster Klarheit und Güte. Diese Erleuchtung ohne Anstrengung wird „Wolke“ genannt, weil sie wie eine Regenwolke die Früchte der Praxis mühelos ausschüttet. Traditionelle Kommentatoren betonen hier: In Dharma-Megha-Samadhi fallen Kleshas (Leidursachen) und Karma restlos von einem ab. Mit anderen Worten: Alle mentale Trübung löst sich auf, es gibt keine neuen Eindrücke oder Taten mehr, die karmische Spuren hinterlassen könnten.

Anders als frühere Samadhi-Formen ist diese Phase positiv geprägt: Zuvor bestand die Yogapraxis oft im Loslösen und Verneinen (Neti-Neti: „ich bin nicht dies, nicht das“). Nun aber – nachdem die Unterscheidung zwischen dem wahren Selbst und allem Nicht-Selbst vollzogen ist – beginnt das eigentliche Sein des Purusha zu leuchten. Ein klassischer Kommentator beschreibt es so: Bisher war die Anstrengung eher „negativ“, nämlich der Geist vom Materiellen zu lösen. Jetzt hingegen manifestiert sich die ureigene Kraft des Geistes in voller Fülle. Die Eigenschaften (dharmas) des Selbst – Reinheit, Wissen, Glückseligkeit – zeigen sich wie die Farben eines Regenbogens nach dem reinigenden Schauer. Dieses erblühende innere Potenzial ist laut Patanjali der höchste Samadhi-Zustand. Es ist, poetisch gesprochen, als ob der Yogi in einer Wolke aus Tugend und Wahrheit schwebt und von ihr genährt wird.

Schlüsselbegriffe und verschiedene Übersetzungen

Um Yogasutra 4.29 voll zu verstehen, lohnt ein Blick auf die zentralen Begriffe und wie unterschiedlich Übersetzer sie deuten:

  • prasaṁkhyāna – Wörtlich „vollständige Erkenntnis“: Damit ist ein höchstes Wissen oder höchster meditativer Erkenntniszustand gemeint. Manche Übersetzungen sprechen hier von Allwissenheit oder höchster Einsicht. Es handelt sich um das umfassende Unterscheidungswissen zwischen Purusha (dem wahren Selbst) und Prakriti (Materie/Natur). Dieses Wissen wird im dritten Kapitel (Vibhuti Pada) als Nebenprodukt der intensiven Unterscheidungskraft erwähnt: Der Yogi, der die Unterscheidung von Geist und Selbst gemeistert hat, erlangt theoretisch Herrschaft über alle Zustände und sogar Allwissenheit (sarvajñātṛtva). Doch nun in Sutra 4.29 betont Patanjali: selbst davon muss man loslassen – ein radikaler Schritt.
  • akusīda – Wörtlich „der Nicht-Begierige“: Dieses Wort bezeichnet jemanden, der kein Interesse (Rollen, Eifer) mehr zeigt, also völlig wunschlos ist. Die Sutra fordert hier absolute Nicht-Anhaftung, selbst an den erhabensten Zielen. Einige Interpretationen fassen akusīda als „nicht einmal mehr am Erleuchtungsgewinn interessiert“ auf. Ein klassischer Kommentar (Vyasa) beschreibt den Yogi an diesem Punkt als einen, der „nichts mehr begehrt, nicht einmal das unübertroffene (höchste) Wissen“. Adi Shankara deutete akusīda sogar als avṛttika, also jemanden, der keinerlei mentale Geschäftigkeit mehr hat – alle inneren Regungen, auch die feinstofflichen, sind zur Ruhe gekommen. Im Kern läuft all dies auf das gleiche hinaus: vollkommene Wunschlosigkeit und Gleichmut dem Höchsten gegenüber.
  •  sarvathā viveka-khyāti – Dieser Ausdruck bedeutet „in jeder Hinsicht auftretende Unterscheidungs-Erkenntnis“. Viveka-khyāti ist die klare ununterbrochene Gewahrsein der Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und dem Unwirklichen, zwischen Selbst und Nicht-Selbst. Patanjali erwähnte diese Stufe bereits früher: Wenn die Unterscheidungskraft lückenlos wird, stellen sich besondere Erkenntnisse ein. Hier in 4.29 heißt es, dass gerade dieses stetige Unterscheidungslicht der Auslöser dafür ist, dass die Dharma-Wolke aufzieht. Einige Übersetzer verstehen sarvathā viveka-khyāti als „dauerhafte Einheitswahrnehmung“ oder „ewige Erleuchtung“, also ein ständig anwesendes Erleuchtungsbewusstsein. Wichtig ist: Der Yogi verweilt unerschütterlich in der Haltung des Beobachters, vollkommen klar darüber, was Purusha ist – und was lediglich vergängliches Phänomen.

Zu „Völlige Unterscheidungskraft erreicht“ siehe auch:

Yoga Sutra II-26: Die Entwicklung und ununterbrochene Anwendung einer reinen Unterscheidungskraft beendet die Unwissenheit

Zur Sutra


Yoga Sutra II-28: Indem wir die [acht] Glieder des Yoga praktizieren, verschwinden die Unreinheiten, das Licht des Wissens erstrahlt und führt zur Entwicklung von Unterscheidungskraft

Zur Sutra


  • Dharma-Megha„Wolke des Dharma“: Dharma hat im Yoga-Sutra mehrere Bedeutungen. Hier kann es Tugend heißen, Wahrheit oder auch die innewohnende Eigenschaft/Qualität. Megha bedeutet Wolke. Zusammen deutet es an, dass dieser Samadhi wie eine Wolke ist, die Dharma im Überfluss regnen lässt. Klassische Exegeten wie Vācaspati Miśra weisen darauf hin, dass megha vom Stamm mih (bewässern) kommt und tatsächlich „Regenwolke“ bedeutet. Deshalb wird Dharma-Megha-Samadhi oft als „Tugendwolke“ oder „Wolke der Tugend“ übersetzt. Einige bevorzugen auch „Wolke des Gesetzes/der Lehre“, weil Dharma im Sinne kosmischer Ordnung verstanden werden kann. So schreibt etwa eine neuere deutsche Übersetzung: „Dharma Megha Samadhi, das Überbewusstsein der Wolke der Lehre. Letztlich umschreiben all diese Varianten das gleiche Phänomen: einen Bewusstseinszustand, der wie eine schwere Regenwolke angefüllt ist – nicht mit Wasser, sondern mit geistiger Essenz, mit allem Guten und Wahren, was sich nun ergießt.
  • Samādhi übersetzt als Versenkung, Einpunktigkeit oder Transzendenz. Dharma-Megha-Samādhi ist eine spezielle Art davon. Während frühere samādhis (z. B. savikalpa und nirvikalpa Samadhi, bzw. samprajñāta und asamprajñāta in Patanjalis Terminologie) Stufen des Loslassens von Gedankeninhalten waren, zeichnet sich Dharma-Megha-Samadhi dadurch aus, dass er unmittelbar zur Kaivalya (Befreiung) führt. Einige übersetzen deshalb frei mit „vollkommener Samadhi“ oder „Samadhi höchster Ordnung“. Der Yogi ist hier im wahrsten Sinne eins mit seinem Selbst, aber zugleich scheint dieses Selbst nun alle Dharma-Qualitäten zu verströmen. In der Übersetzung von Narada Turnau liest sich Sutra 4.29 beispielsweise so: „Ist bei der Meditation jeder Wunsch verschwunden, kommt die dauerhafte Unterscheidung; man erreicht die Dharmawolke und ist im Samadhi.“ – schlicht und treffend formuliert.

Zu: „... selbst das letzte Interesse an höchstem Bewusstseinszustand nicht mehr vorhanden ist"

Sprich: Man hat sogar den Wunsch nach Freiheit, Kaivalya, aufgeben. Sukadev schreibt, dass der Wunsch nach Befreiung das wirksamste Hilfsmittel auf dem Weg zu Befreiung ist. Es aber, wie Patanjali hier indirekt schreibt, auch dessen letztes Hindernis ist.

Man könnte es mit einem Boot vergleichen, welches unser Haupthilfsmittel zur Überquerung des Flusses ist. Was müssen wir tun, wenn wir das gegenüberliegende Ufer erreicht haben? Das Boot verlassen …

Iyengar: “Der Yogi, der sich nicht einmal für seinen höchsten Entwicklungsstand interessiert, sondern im Zustand äußerster Aufmerksamkeit und Klarsicht bleibt ….” würde dieses höchste Samadhi erlangen. “Die Frucht der Yoga-Praxis”.

Eliade schreibt hierzu auf Seite 94: „Der Yogin spürt gleichzeitig ein Gefühl der Sättigung und des Zerbrechens der Welt – es ist genug.”

Das führe dann zu Asamprajnata Samadhi – nirbija – ohne Samen. Eliade nennt es „undifferenzierte Enstase“. Für die mystischen Yogis offenbare sich hier Isvara, Gott. Auf dieser Stufe wird das 25. Prinzip – der Purusha oder das Selbst – sich seiner Herrschaft – Heterogenität – über die restlichen 24 Prinzipien, die von der Prakriti abhängen, klar. Und dann offenbare sich das 26. Prinzip – vielleicht steht es für Gott, vielleicht für das höchste Selbst.

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Dharma-Meghah-Samadhi in der spirituellen Literatur

  • Dharma hat viele Bedeutungen: Gesetz, Recht, ethische und religiöse Verpflichtungen bzw. Werte, aber auch Religion, Ethik, Tugend oder Moral. Dharma kann auch für Ritual oder Methode bzw. Handlung stehen.
  • Meghah ist die Wolke.
  • Samadhi ist der überbewusste Zustand, der mittels des Yoga angestrebt wird.

Dharma-Meghah wird gerne (z. B. von Swami Sivananda) mit “Wolke der Tugend” übersetzt. Dieser Begriff ist als Synonym zu „Nirbija Samadhi“ zu deuten. Siehe Kommentar Vyhasa zu Sutra I-2. Dort schreibt er, dass ein reiner Geist, der den Unterschied zwischen Geist und Materie (stets) erkennt, sich einer „Kontemplation“ zuwende, die “Dharma Meghah” lautet. Dies könne man als „höchste Vereinigung“ bezeichnen.

Skuban (S. 266) sieht Dharma als das Wesen des Menschen an, das zur Erfüllung geführt werden muss. Das Dharma einer Rose sei es, aufzublühen. Das des Menschen sei die Selbst-Verwirklichung.

Auch an anderen Stellen wird dieser Begriff verwendet:

„Deshalb nennen die Adepten im Yoga diese höchste Erleuchtung ‚die Wolke von Dharma‘.“

Paingala Upanishade 3.5

„[Dharma-Meghah-Samamadhi ist] …jener Zustand, in dem der Geist den Begriff des Meditierenden und der Meditation allmählich aufgibt, und im Objekt der Meditation verschmolzen ist“.

Panchadasi des Vidyaranya im Advaita Vedanta, Vers 1.60

Technisch gesehen, so R. Palm (Seite 227), ist Dharma-Meghah-Samadhi der “Zwischenschritt von der Unterscheidungsschau (viveka) zur vollkommenen Unabhängigkeit (kaivalya)”. Als poetische Metapher könne man diese Stufe als “letzte Eintrübung vor dem großen Aufklären” betrachten.

Die einzige Samadhi-Wolke

In Patanjalis Yoga-Sutra ist Dharma-Megha-Samadhi die einzige Samadhi-Stufe mit einem metaphorischen Namen. Alle anderen Samadhis werden technisch beschrieben (z.B. Savitarka, Nirvikalpa), doch hier greift Patanjali zur Poesie. Die „Wolke der Tugend“ deutet an, wie außergewöhnlich dieser Zustand ist – als müsste man zu Bildern greifen, um das Unbeschreibliche anzudeuten. Dieses Sutra sticht aus dem nüchternen Stil heraus, was darauf hindeutet, dass am Ende der Yogareise etwas passiert, das jenseits gewöhnlicher Worte liegt.

„Die erhabensten Kenner des Yoga nennen dies Samadhi „Dharma-Megha“, weil es regnet, in Tausenden von Schauern des Nektars des Dharma.“

Adhyatma Upanishade, Vers 38

Auch in den Mâhâyana-Sûtras Dharma-Meghah als Zustand direkt vor der Buddhaschaft bezeichnet. Ähnlich äußert sich Feuerstein, der “Dharma” in Anlehnung an den Buddhismus als “ursprüngliche, wichtigste Realität” interpretieren würde. Auch er sieht die Ekstase von “Dharma-Meghah” als Übergangsstufe an, als letzte Stufe vor der Befreiung, in der beim Yogin noch „alle spirituelle Unwissenheit und all deren schicksalhafte Auswirkungen” gelöscht werden.

Taimnis alternative Deutung

Nicht alle Kommentatoren folgen der gängigen Erklärung der „Tugend-Wolke“. Der Indologe I. K. Taimni (20. Jh.) etwa schlägt eine andere Übersetzung vor: Für ihn bedeutet Dharma hier nicht „Tugend“, sondern „Eigenschaft/Ordnung“. Megha beschreibt er als einen nebelförmigen Zustand des Bewusstseins. Folglich sei Dharma-Megha-Samadhi der finale Samadhi, in dem der Yogi alle Eigenschaften (Dharmas) der materiellen Natur wie eine Wolke abschüttelt, die zuvor die Realität verschleiert haben. Sobald diese „Nebelwand“ durchschritten ist, erkennt der Yogi das Selbst in völliger Klarheit. Diese Interpretation ist ungewöhnlich, macht aber deutlich: Es geht in jeder Lesart darum, das Letzte Hindernis auf dem Weg zur Wahrheit zu überwinden – sei es ein Schauer von Tugend oder das Durchdringen eines Nebels von Eigenschaften.

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Gibt es grundlegend unterschiedliche Deutungen zu dieser Sutra?

Im Großen und Ganzen sind sich traditionelle und moderne Interpretationen einig über den Kern:

Man muss selbst das Höchste loslassen, um das Allerhöchste zu erlangen.

Keine der bekannten Übersetzungen widerspricht dieser Essenz. Allerdings setzen verschiedene Kommentatoren unterschiedliche Akzente:

  • Moralisch vs. metaphysisch: Manche legen dharma stark als moralische Tugend aus – sie sprechen vom „Regen der Tugenden“, als würden ethische Qualitäten wie Güte, Wahrhaftigkeit, Liebe in den Yogi einströmen und aus ihm herausfließen. Andere verstehen dharma eher ontologisch: Als Wesensqualität des Purusha, die nun ungehindert scheint. Dann ist die „Dharma-Wolke“ weniger eine moralische Auszeichnung, sondern eine Metapher dafür, dass die eigentliche Natur des Bewusstseins sich zeigt (Sattva, Klarheit, Licht). Diese Deutung betont, dass der Yogi nun in seinem Svarūpa (wahren Wesen) ruht und dieses von selbst sämtliche positiven Eigenschaften mit sich bringt. Beide Sichtweisen schließen einander nicht aus – sie beleuchten nur unterschiedliche Facetten desselben Phänomens.
  • Frei von Wünschen allgemein oder sich "vom Wunsch nach Erleuchtung" befreien: Manche übersetzen so, dass die Yogini bzw. der Yogi auch im Zustand tiefster Meditation von allen Wünschen frei bleiben muss, andere übersetzen so, dass dann sogar noch der Wunsch nach Erleuchtung/Kaivalya aufgegeben werden muss.
  • Höchste Erkenntnis vs. höchster Lohn: In prasaṁkhyāna sehen einige Übersetzer vor allem das Konzept von Allwissenheit oder vollständiger Erkenntnis über alle Kategorien der Existenz. So heißt es etwa in einer englischen Version: „Für jemanden, der nicht einmal an Allwissenheit interessiert ist, folgt durch Unterscheidungsvermögen das Samadhi, das als Dharma-Wolke bezeichnet wird.“ Hier wird deutlich: Es geht darum, selbst an Allwissenheit kein Interesse mehr zu haben.
    Andere übertragen prasaṁkhyāna allgemein als „höchste meditative Versenkung“ oder „höchstes Licht“, was dem Sinn nach ähnlich ist – denn dieses höchste Licht ist ja gleichbedeutend mit umfassendem Wissen. Wieder andere (wie die obige deutsche Übersetzung Turnaus) sprechen simplifizierend von „Meditation“ anstatt von prasaṁkhyāna. Das klingt zunächst weit weniger spektakulär, trifft aber den Kern: Gemeint ist der meditative Zustand kurz vor dem Durchbruch, gleich welchen Wissensertrag er beinhaltet. Ein grundlegender Unterschied in der Deutung ergibt sich daraus aber nicht, eher in der Sprache.
  • Benennung des Samadhi: Dharma-Megha-Samadhi selbst wird in verschiedenen Übersetzungen auch mal umschrieben: Etwa als „Einheitswahrnehmung“, „Überbewusstsein“ oder „vollkommene Unterscheidung“. Solche Begriffe versuchen, dem metaphorischen Wolken-Bild eine erklärende Note zu geben. Sie heben hervor, dass der Yogi hier eine allesdurchdringende Erkenntnis erfährt, in der Subjekt und Objekt verschmelzen. Dennoch behalten viele Autoren das Bild bei – denn es besitzt Kraft: Eine Wolke, gefüllt mit dem Kondensat aller spirituellen Praxis, die nun in einem Guss abregnet. Das ist unverkennbar und regt die Vorstellung an.

Unterm Strich unterscheiden sich die Übersetzungen also in Nuancen, nicht in Widersprüchen.

Alle Deutungsarten erkennen Dharma-Megha-Samadhi als außergewöhnlichen Zustand an, der nach der letzten Loslösung eintritt und vor der endgültigen Freiheit steht.

Man könnte sagen: Während normale Wolken Regen bringen, der den Boden nässt, bringt die Dharma-Wolke einen Regen, der die Seele reinwäscht und fruchtbar macht. Ob man diesen Regen nun als ethische Tugend, als Wissen oder als Wesensleuchten beschreibt, ist letztlich Geschmackssache – alles fließt in diesem Bild zusammen.

Übrigens:  Dharma-Megha-Samadhi ist so rar, dass selbst die alten Texte kaum Beispiele konkreter Yogis nennen, die ihn erreicht haben – es ist quasi der exklusivste Club der Welt, mit Aufnahmebedingung Ego-freiheit. 😉 Einige moderne Lehrer spekulieren, dass große Weise wie z. B. Ramana Maharshi oder Lahiri Mahasaya diesen Zustand erlangt haben könnten. Doch wer immer ihn erreicht, der scheint kein Bedürfnis mehr zu verspüren, darüber zu sprechen ...

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Klassische Kommentare und Interpretationen

Patanjalis knappe Sutras wurden über Jahrhunderte von namhaften Gelehrten kommentiert. Gerade Yoga Sutra 4.29 – dieser einzigartige Zustand der Dharma-Wolke – hat die Klassiker zu ausführlichen Erläuterungen inspiriert. Werfen wir einen Blick auf einige klassische Kommentare und wie sie die Aussage dieses Sutras auslegen:

  • Vyāsa (Yoga-Bhāṣya, ca. 5. Jh.) – Als frühester und wichtigster Kommentator legt Vyāsa den Grundstein für das Verständnis. In seinem Kommentar zu 4.29 schreibt er, der Yogi (wörtlich nennt er ihn hier „der Brahmana“, der Strebsame) habe kein Interesse mehr selbst am „höchsten Erkenntnislicht“. „Nicht einmal daran haftet er noch“, betont Vyāsa. Weil diese unvergleichliche Einsicht (praśankhyāna) nun ständig präsent ist, werden die Samen weiterer mentaler Bewegungen verbrannt – keine neuen Gedanken sprossen mehr. In diesem Zustand erlangt er den Samadhi namens ‘Wolke der Tugend’. Vyāsa sieht also Dharma-Megha-Samadhi als Frucht der lückenlosen Unterscheidungskraft: Sobald der Yogi wirklich nichts mehr vom „höchsten Wissen“ will, weil er vollkommen darin ruht, fällt wie von selbst der letzte Schleier. Er vergleicht prasaṁkhyāna und viveka-khyāti miteinander und sagt, die dauerhafte Unterscheidungserkenntnis (viveka) sei letztlich das Resultat des vollkommenen Erkenntnisprozesses (praśankhyāna). Ist diese Frucht gereift, folgt die „Wolke der Tugend“ fast zwangsläufig. Vyāsa spielt auch auf die Etymologie an und sagt: Diese Megha (Wolke) „schüttet alle Tugenden aus“, denn das Wort megh stamme von “mih – bewässern“. Interessanterweise schildert Vyāsa Dharma-Megha-Samadhi als Zustand, in dem die bisherigen Bemühungen enden und etwas Neues „Positives“ beginnt. Man könnte seine Worte so deuten: Das Ego (Asmitā) verschwindet, und an seine Stelle tritt die volle Strahlkraft des Purusha. Für Vyāsa ist dies der Gipfel der Yogapraxis – nach all der Negation des Unwesentlichen nun die Manifestation des Wesentlichen.
  • Vācaspati Miśra (Tattva-Vaiśāradī, 9. Jh.) – Der polyglotte Gelehrte Vācaspati geht ins Detail und bestätigt Vyāsas Gedankengang. Solange noch irgendwelche „nach außen gerichteten Aktivitäten“ im Geist stattfinden, schreibt er, kann die dauerhafte diskriminative Erkenntnis nicht voll durchbrechen. Erst wenn wirklich alle anderen Gedankenwellen verebben, wird die ununterbrochene Unterscheidung (nirantara viveka) etabliert. Dann tritt spontan der Samadhi namens „Wolke der Tugend“ ein. Vācaspati erläutert ausführlich die Wortherkunft: „Megha“ (Wolke) stammt vom Verb *meh/*mih (beregnen) – die Wolke „überströmt“ also, was sie enthält; und „Dharma“ von der Wurzel dhṛ (tragen, erhalten) – es bezeichnet hier all die verdienstvollen Eigenschaften, die der Yogi erlangt. Daher sein Schluss: „Diese Wolke regnet alle Dharma-Werte auf einmal herab.“ Die Vorstellung ist, dass der Yogi nun mit Tugenden überschüttet wird, so wie ein trockener Boden vom Monsunregen. Eine weitere Feinheit bei Vācaspati: Er spricht davon, dass der Brahmana (also der Yogi) so lange noch nicht den ständigen viveka-Zustand erreicht, wie sein Geist sich nach außen in Handlungsimpulsen ergeht. Erst wenn diese Neigungen erlöschen, ist der Geist leergesogen – bereit, sich mit dem Nektar der Unterscheidung vollzusaugen. In Vācaspatis Bild ist Dharma-Megha-Samadhi also wie der allerletzte Tropfen, der das Gefäß zum Überlaufen bringt – oder eben die Wolke, die nach langer Dürre nun alles benetzt. Am Ende unterstreicht er: Dies ist die höchste Form von samprajñāta-Samadhi, die höchste kognitive Versenkung, in der es eigentlich nichts mehr zu erkennen gibt außer der Erkenntnis selbst.
  • Vijñāna Bhikṣu (Yoga-Vārttika, 16. Jh.) – Ein anderer maßgeblicher Kommentator, Vijñāna Bhikṣu, liefert eine sehr systematische Analyse. Er setzt praśankhyāna und viveka-khyāti nahezu gleich: Für ihn bedeuten beide Begriffe schlicht die lückenlose unterscheidende Erkenntnis. Mit Verweis auf das nächste Sutra (IV.30) definiert er Dharma-Megha-Samadhi so: „Es ist jener Samadhi, der durch vollständiges Ausreißen der Kleshas und Karmas mit Stumpf und Stiel den Dharma im Überfluss regnen lässt.“. Hier klingt es fast technisch: Ist die Wurzel von Unwissenheit, Egoismus, Anhaftung, Aversion und Lebensgier herausgezogen, und sind alle Taten – ob weiß (gut), schwarz (schlecht) oder grau – zum Erliegen gekommen, dann befreit sich der Weise schon zu Lebzeiten von allem Leiden. Vijñāna Bhikṣu spricht explizit an, dass der in Dharma-Megha verweilende Yogi ein Jīvanmukta ist – ein „Befreiter noch im Leben“. Er muss nicht erst sterben, um Erlösung (Apavarga/Kaivalya) zu finden; sie ist bereits Wirklichkeit, sobald die Wolke niedergeht. Weiter erklärt Vijñāna Bhikṣu die Begriffe „Dharma“ und „Megha“ in diesem Kontext: Dharma bedeute hier die „höchste Handlung“ (parama dharma) jenseits aller Kausalität – eine Tätigkeit, die weder weiße (gute) noch schwarze (schlechte) Spuren hinterlässt. Mit anderen Worten: Es ist Handeln in vollkommener Reinheit, ohne karmische Färbung. Weil dieser Samadhi eben solche reinste Dharma-Aktivität „regnen“ lässt, nennt man ihn Wolke (Megha). Der Yogi in Dharma-Megha ist nämlich auch frei von subtilem Stolz auf die beiden höchsten „Nebenprodukte“ seiner Erkenntnis: Zum einen sarvabhauma adhiṣṭhātṛtva – die Meisterschaft über alle Daseinsbereiche, und zum anderen sarvajñātṛtva – die Allwissenheit. Diese beiden gelten in der Yoga-Philosophie als mögliche Verlockungen, die durch intensive Unterscheidung entstehen können (vgl. Yoga Sutra III.50). Doch Vijñāna Bhikṣu betont: Ein Yogi auf dem Sprung zur Dharma-Wolke lässt selbst diese Verlockungen los – sie interessieren ihn nicht mehr, sie sind nur Ablenkungen. Indem er auch den subtilsten Wunsch nach Macht oder Allwissenheit aufgibt, „regnet“ schließlich dieser andauernde Strom der Unterscheidungsfähigkeit herab und führt ihn zum höchsten Samadhi. Vijñāna Bhikṣus Kommentar ist also besonders klar darin, Wunschlosigkeit und Unterscheidung als doppelten Schlüssel zu benennen. Er verwendet ein anschauliches Bild: Die Dharma-Wolke sei wie eine Regenwolke voller Verdienst (puṇya), die keinen Unterschied mehr kennt zwischen rein oder unrein – sie überschüttet den Yogi mit einem Verdienst, das alle Dualität von gut/schlecht übersteigt. Und die Frucht davon ist endgültige Befreiung (Kaivalya). Man merkt: Für Vijñāna Bhikṣu ist Dharma-Megha-Samadhi der heilige Moment, wo die letzte Hülle fällt.
  • Bhoja Rāja (Rāja mārtaṇḍa, ca. 11. Jh.) – Der König und Gelehrte Bhoja gibt in seinem Kommentar kurze, prägnante Definitionen der Schlüsselbegriffe. Prasaṁkhyāna erklärt er als „gründliches Nachsinnen über die Natur und Besonderheiten aller Kategorien der Wirklichkeit in korrekter Reihenfolge“. Man erkennt hier den klassischen Sāṁkhya-Hintergrund: Der Yogi meditiert systematisch über alle Tattvas (Elemente der Existenz) – vom Grobstofflichen bis zum Feinstofflichen – bis er alles durchschaut hat. Akusīda definiert Bhoja schlicht als „Nicht-Interessiert(er)“, d.h. einer, „der keinen Wunsch hegt“. Er leitet es von kusīda (Interesse, Begierde) mit Verneinungspartikel a- ab – es gibt keine versteckte Bedeutung, es heißt einfach Wunschlosigkeit. Dann fasst Bhoja den Inhalt des Sutra zusammen: „Durch das Aufkommen ununterbrochener Unterscheidung – nachdem alle fremden Gedankenwellen im Geist zur Ruhe gekommen sind – entsteht der Samadhi namens Wolke der Tugend.“. Dieser Satz zeigt schön die Abfolge: zuerst Stille aller sonstigen Vrittis, dann lückenloser Viveka, und daraus dharma-meghaḥ samādhiḥ. Bhoja fügt noch einen weiteren Kommentar an, indem er einen Bogen zu den Karma-Farben schlägt (ein Konzept aus YS II.14 und IV.7): „Bezüglich der Handlungen heißt es: ‚Die Karma(s) eines Yogi sind weder weiß noch schwarz.‘ Dharma-Megha heißt, was den Dharma bewässert, der weder schwarz noch weiß ist.“. Hier zitiert er Patanjali Yoga Sutra IV.7, wo steht, dass das Karma eines Befreiten farblos (akr̥ṣṇa asukla) ist, während das der Unbefreiten dreifarbig (weiß, schwarz, grau) ist. Bhojas Punkt: Dharma-Megha-Samadhi bringt genau diesen farblosen Dharma-Regen – also Handeln ohne karmische Konsequenz, rein um seiner selbst willen. In diesem Sinne bereitet Bhoja auf das vor, was nach 4.29 in den Sutras 4.30ff. folgt: nämlich die Beschreibung, dass alle Kleshas verschwinden und keine neuen Karmaspuren mehr angelegt werden (weil die Taten „farblos“ sind). Zusammengefasst zeichnet Bhoja ein konsistentes Bild: Der Yogi gelangt durch völlige Gedankenstille und Unterscheidung an einen Punkt, wo all sein Tun frei von Anhaftung ist – ein segensreicher Platzregen des Dharmas, der alles bisher Gewachsene auf dem spirituellen Acker befruchtet.
  • Adi Śaṅkara (Yoga-Vivaraṇa, ca. 8. Jh.) – Ein Kommentar, der Śaṅkara zugeschrieben wird, bietet eine leicht abweichende Nuance. Śaṅkara stimmt zwar im Wesentlichen überein, doch er interpretiert „akusīda“ eigen: Er sagt, es bedeute hier „avṛttika“ – jemand, der ohne mentalen Umschwung ist. Das kann man verstehen als einer, der keinen neuen Gedankenimpuls mehr hat, dessen Geist völlig bewegungslos in sich ruht. Anstatt „nicht gierig“ zu sagen, rückt Śaṅkara also den Aspekt der vollständigen inneren Ruhe in den Vordergrund. Für ihn ist der Yogi akusīda, weil er in absoluter geistiger Unerschütterlichkeit verweilt – nichts treibt ihn mehr um. Śaṅkara erläutert weiter: Der Yogi habe die Unterscheidung von Purusha und Prakriti vollzogen und sogar alle daraus resultierenden Siddhis (Errungenschaften) losgelassen. Dadurch generiere sich ein „konstanter, dauerhafter Fluss der unterscheidenden Erkenntnis“, der eben jene höchste Tugend ausschüttet und zu Kaivalya (Alleinheit, Befreiung) führt. Er untermauert dies mit einem Zitat: „Kaivalya ist das höchste Dharma, das ergossen wird – daher der Name Dharma-Megha.“. Das ist interessant, denn Śaṅkara definiert Dharma-Megha damit quasi als Wolke, die Kaivalya regnen lässt. Alle bisherigen Kommentatoren sprachen von Tugenden, Wissen oder Dharma im Allgemeinen – bei Śaṅkara ist es direkt die Befreiung selbst, die aus dieser Wolke strömt. Natürlich sind Tugend und Befreiung hier eng verknüpft; es zeigt aber Śaṅkaras Advaita-Perspektive: In Kaivalya fallen Dharma (kosmisches Gesetz, Tugend) und Moksha (Befreiung) letztlich zusammen. Die Befreiung ist höchster Dharma. Insgesamt verleiht Śaṅkaras Kommentar der Sutra eine endgültige Note: Sobald Dharma-Megha-Samadhi einsetzt, ist das Spiel gewonnen – der Regen ist gleichsam die Gnade der Erlösung, die sich über den Yogi ergießt.
  • Weitere indische Kommentatoren – Neben den Genannten haben auch andere Klassiker ihre Sicht beigetragen.
    Bhāvāgaṇeśa (Yoga-dīpikā, 17. Jh.) stimmt im Tenor überein, betont aber die Hindernislosigkeit dieses Zustands: Der Geist ist nun völlig licht und rein, frei von allen Hüllen, so dass kaum mehr etwas zu erkennen übrig bleibt – alles Wissen ist bereits da. Er nennt Dharma-Megha den „höchsten kognitiven Samadhi“ und poetisch „den vom Yoga geborenen höchsten Regen“, der alles mit Wissen überflutet.
    Śrī Rāmānanda Sarasvatī (Yoga-mañjarībhāṣya/Yoga-mañiprabha, ca. 17. Jh.) erläutert sehr systematisch in drei Punkten:
    (1) prasaṁkhyāna sei die Unterscheidung von Prakriti und Purusha durch Kontemplation aller 25 Prinzipien – mit zufälligen Früchten wie der Herrschaft über alles und Allwissenheit.
    (2) akusīda sei jemand, der frei ist von Anhaftung – besonders an die Nebenfrüchte der Erkenntnis.
    (3) Dharma-Megha nenne man diesen Samadhi, „weil er das Verdienst regnen lässt, das weder rein noch unrein ist und Befreiung zur Frucht hat“. Sobald also der Yogi keinerlei Interesse an den Beigaben seiner Praxis hat, ergießt sich dieser jenseits von Dualität stehende Verdienstregen – und durch die Loslösung selbst vom Erleuchtungszustand entsteht der suprakonitive Samadhi, der sogar das vorherige prasaṁkhyāna noch übertifft.
    Nārāyaṇa Tīrtha (Yoga-sūtrārthabhodhinī, ca. 18. Jh.) hat dem nicht viel hinzuzufügen und stimmt praktisch überein: Er formuliert lediglich, dass mit der Zerstörung aller Kleshas der Yogi den Zustand der Befreiung im Leben erfährt.
    Nāgojī Bhaṭṭa (Pātañjala-Yoga-sūtravṛtti, 18. Jh.) wiederum schreibt fast wortgleich zu Bhāvāgaṇeśa – so sehr, dass die Zeilen übereinstimmen. Das zeigt, wie stabil die traditionelle Interpretation über die Jahrhunderte geblieben ist.
  • Swami Hariharānanda Āraṇya (Bhāsvatī, 20. Jh.) – Ein moderner Klassiker aus dem 20. Jahrhundert, Swami Hariharananda, hat in seinem Werk „Yoga Philosophy of Patañjali“ dieses Sutra ebenfalls beleuchtet. Er bringt ein schönes Gleichnis: Dharma-Megha-Samadhi sei wie ein See, der sich mühelos mit Regen füllt. Der Sadhaka (Übende) brauche nichts mehr zu tun – wie ein See, der sich von selbst füllt, ohne dass er Wasser „anpumpen“ müsste. Genauso werde der Yogi ohne weiteres Zutun von der Gnade der Befreiung erfüllt. Hariharananda sagt, dieses Samadhi heiße Regenwolke der Tugend, „weil wie durch Regen der See ohne Mühe voll wird, in ähnlicher Weise der Suchende durch die Befreiung geduscht wird.“. Interessanterweise verzichtet er darauf, die beiden oben erwähnten Siddhis (Allwissenheit, Allmacht) namentlich zu erwähnen – er spricht nur allgemein von „Errungenschaften“, die der Yogi hinter sich lässt. Im Übrigen gleicht seine Beschreibung den alten Kommentaren. Das zeigt: Selbst modernere indische Kommentatoren halten an der traditionellen Deutung fest, reichern sie aber gerne mit frischen Bildern an, um das Verständnis zu erleichtern.

Fazit der klassischen Sicht: All diese Kommentare – ob Sanskrit-Scholien aus dem 5. Jahrhundert oder bengalische Kommentare des 20. – kommen übereinstimmend zu dem Schluss, dass Dharma-Megha-Samadhi ein einmaliger Höhepunkt auf dem Yogaweg ist. Drei Hauptaspekte werden immer wieder hervorgehoben:

  1. Es ist der höchste samprajñāta-Samadhi, ein Bewusstseinszustand von makelloser Klarheit, der zugleich die Schwelle zur endgültigen Transzendenz (asamprajñāta Samadhi bzw. Kaivalya) darstellt. Man könnte sagen: Dharma-Megha ist das Tor zum Absoluten, noch innerhalb der Wahrnehmung – und dahinter wartet die völlige Überstiegeheit allen Wahrnehmens.
  2. Ein Yogi in Dharma-Megha hat alle Kleshas & karmischen Prägungen ausgetilgt. Nichts trübt mehr seinen Geist, kein Leid, keine Unruhe. Er handelt, falls überhaupt, spontan und ohne egoistische Motive – seine Taten hinterlassen keine Spuren mehr. Er gilt daher als lebendig befreit (jīvanmukta), denn Leid und Karma haben keine Macht mehr über ihn.
  3. Diese Wolke trägt ihren Namen, weil sie Dharma im Überfluss schenkt. Was ist damit gemeint? Alle guten Qualitäten – ob man es Tugend, Wissen, Reinheit oder göttliche Gnade nennt – durchdringen nun den Yogi. „Alle Eigenschaften des Dharma sind ihm offenbart“, heißt es, und er verweilt in seinem wahren Selbst (svarūpa). Dieses Selbst ist nichts Statisches; im Gegenteil, es ist „angefüllt mit höchster Wirksamkeit“. Die klassischen Lehrer sind sich einig: Wenn der Yogi in seiner Wesensnatur ruht, ist das kein leeres Nichts, sondern ein Zustand intensivsten Seins – „angefüllt mit höchster Aktivität“, wie es im Fazit heißt. Hiermit ist keine äußere Geschäftigkeit gemeint, sondern die dynamische Potenz des reinen Bewusstseins selbst. Es ist voll lebendiger Kraft, die aber ohne Egoimpuls wirkt. Dharma-Megha bedeutet also auch: Purusha tritt in Aktion, so paradox das klingt. Die Seele regnet ihr Licht auf sich selbst und die Welt.

All diese Nuancen der klassischen Kommentare verleihen Patanjalis knappen Worten Substanz. Sie malen ein Bild davon, wie es ist, diesen Zustand zu erreichen: Der Himmel des Geistes zieht sich zu mit einer dunklen, schweren Wolke – aber anstatt Furcht zu bringen, spendet diese Wolke Labsal. Sie löscht das Feuer der Sehnsüchte, das so lange brannte, und befeuchtet den Boden des Geistes mit bleibender Frische und Fruchtbarkeit. Alte Lehrer wie Vyāsa oder Vācaspati beschrieben es ehrfürchtig, moderne wie Hariharananda mit einfachen Vergleichen – doch alle scheinen zu sagen:

Hier endet der Pfad und beginnt der Segen.

Moderne Auslegungen und wissenschaftliche Einblicke

Auch zeitgenössische Yogalehrer und Wissenschaftler haben ihre Sicht auf diesen außergewöhnlichen Zustand – oft bestätigen sie auf erstaunliche Weise das, was die Alten überliefert haben.

Yogalehrer und aktuelle Kommentatoren

Viele moderne Gurus betonen den paradoxen Charakter von Dharma-Megha-Samadhi. Swami Satchidananda z. B. erläutert, man gelange erst dann in diesen Samadhi, „wenn sogar das Verlangen, hoch hinauszukommen, verschwunden ist.“ Solange noch ein Wunsch nach Erleuchtung besteht, sei man eben nicht erleuchtet – „und wenn du wirklich high bist, verschwindet der Wunsch danach.“ sagt er augenzwinkernd. Mit „high“ meint er hier den erhöhten Bewusstseinszustand. Es klingt fast wie ein Zen-Kōan: Höre auf, nach Gott zu verlangen, und Gott wird sich zeigen. Satchidananda zitiert einen Heiligen (Thirumoolar): „Selbst zu Gott – sei ohne Verlangen.“ Denn jedes Begehren ist letztlich ein Band. Sogar der Wunsch nach Gott müsse schließlich gehen – und genau in dem Moment, wo er geht, offenbart sich Gott. Es ist, wie er sagt, ein „tricky thing“: Die Erfüllung dieses letzten Wunsches und das Wunschlos-Sein passieren gleichzeitig. Mit anderen Worten: Sobald du hast, was du immer wolltest, hört das Wollen schlagartig auf. Das bestätigt exakt Patanjalis Aussage – nur in moderner Sprache. Viele Lehrer nutzen solche Beispiele, um Schülern zu verdeutlichen, warum Loslassen auch von hehren Zielen nötig ist. Es geht nicht darum, dass Erleuchtung unwichtig wäre, sondern darum, dass das Begehren danach einen subtil in der Dualität hält (einer begehrt, etwas wird begehrt). Erst wenn dieses letzte Spannungsfeld aufgegeben wird, kann sich Einheit einstellen.

Ein weiteres Moment, das moderne Lehrer hervorheben, ist die Mühelosigkeit des Dharma-Megha-Zustands. Während der Weg dorthin Jahre strenger Disziplin verlangen mag, tritt dieser Samadhi selbst ohne willentliche Anstrengung ein. Swami Satchidananda bemerkt: „Dharmamegha Samadhi kann nicht durch Anstrengung erzwungen werden. Man übt und übt – bis zu einem gewissen Punkt. Aber wenn du wirklich dort anlangst, lässt sogar die Anstrengung nach und alles geschieht mühelos.“. Jede weitere Anstrengung, sagt er, würde einen eher blockieren. Genau das spiegelt Hariharanandas See-Metapher wider: Der Regen fällt ganz natürlich, man kann ihn nicht „ziehen“. Dieses Prinzip der Wu-Wei (Nicht-Eingreifens) findet sich interessanterweise in vielen spirituellen Traditionen – auch Patanjali formulierte in gewissem Sinne bereits in einem früheren Sutra (II.45) ähnlich:

Yoga Sutra II-45: Die Hingabe an Ishwara führt zur Vollkommenheit in Samadhi.

Zur Sutra


Hingabe (Īśvara-praṇidhāna) impliziert Loslassen, Fließenlassen. Die Dharma-Wolke könnte man somit als Gnade interpretieren: Sie zieht auf, wann immer der Yogi reif ist, aber nicht, weil er sie packt, sondern weil er sich ihr ergibt.

Manche moderne Autoren stellen Verbindungen zu Buddhistischen Konzepten her. Interessanterweise gibt es im Mahāyāna-Buddhismus tatsächlich einen Begriff „Dharma-Megha“: Er bezeichnet die höchste Stufe eines Bodhisattva, bevor er zum Buddha wird – die sogenannte „Wolke des Dharma“-Erleuchtungsstufe. Dort bedeutet es, dass der Bodhisattva wie eine Wolke den Regen des Dharma (der Lehre) auf alle Wesen niederregnen lässt. Die buddhistische Diskussion um diesen Begriff ist komplex und teils kontrovers, aber das Motiv ist ähnlich: Auf dem allerhöchsten Level der Entwicklung regnet es Weisheit und Segen für alle. Der Yogaschüler mag damit persönlich nichts anfangen, doch es ist spannend zu sehen, dass diese Bildsprache kulturübergreifend auftaucht. Es spricht dafür, dass Mystiker verschiedener Traditionen versucht haben, eine ähnlich transzendente Erfahrung in Worte zu fassen – und offenbar unabhängig voneinander die Wolke als Symbol gefunden haben. Vielleicht, weil Wolken etwas Unfassbares, Himmlisches an sich haben, das sich entleert und damit Fruchtbarkeit spendet. So oder so: Yoga ist zwar kein Buddhistischer Pfad, aber wer hier Parallelen spürt (z. B. zum Nirvana, wo alle Begierde erloschen ist), der liegt nicht falsch. Patanjalis Aussage „wenn selbst das Streben nach Erleuchtung verschwindet, kommt sie“ klingt wie ein Echo der buddhistischen Vier Edlen Wahrheiten, wo es heißt, das Erlöschen des Begehrens sei das Ende des Leidens.

Neurowissenschaftliche Perspektive

Die Weisheit der alten Yogis findet heute erstaunliche Bestätigung durch die Wissenschaft vom Geist. Neurowissenschaftler haben in den letzten Jahren intensiv untersucht, was im Gehirn erfahrener Meditierender vorgeht. Eines der spannendsten Ergebnisse betrifft das sogenannte Default Mode Network (DMN) – ein Netzwerk im Gehirn, das mit Ich-Bezug und spontanen Gedankengängen (Mind-Wandering) zu tun hat. Studien zeigen, dass bei geübten Meditierenden die Aktivität dieses Netzwerkes deutlich verringert ist. In einer Untersuchung mit langjährig Praktizierenden (durchschnittlich 10.000 Stunden Meditationserfahrung) fand man zum Beispiel eine signifikante Reduktion der DMN-Aktivität, insbesondere im posterioren cingulären Cortex – einer Region, die stark mit selbstbezogenen Grübeleien verknüpft ist. Vereinfacht gesagt: Wer tief meditiert, hat weniger „Ich, mir, meins“-Aktivität im Kopf. Genau das deckt sich mit Patanjalis Forderung, allen Wunsch und Ego-Drang loszulassen.

In Dharma-Megha-Samadhi, so könnten Neurowissenschaftler vermuten, wäre das DMN praktisch komplett abgeschaltet, weil keinerlei selbstreferentielles Denken mehr auftritt. Stattdessen dominieren wahrscheinlich Netzwerke, die mit Aufmerksamkeit und Gegenwartsbewusstsein zu tun haben. Man könnte spekulieren, dass im Gehirn eines Yogi in diesem Zustand ein ungewöhnliches Muster herrscht: höchste Kohärenz und Synchronisierung verschiedener Hirnareale, verbunden mit ausgeschalteter „Tagtraum“-Funktion. Tatsächlich wurden bei Meditationsmeistern extrem hohe Gamma-Wellen gemessen, die auf ungewöhnliche Bewusstseinskohärenz schließen lassen – ein möglicher Hinweis auf anhaltende viveka-khyāti (ununterbrochene Klarheit). Zwar steht die genaue Erforschung solcher nirvāṇischer Zustände noch am Anfang, doch erste Ergebnisse stimmen mit den alten Beschreibungen überein: Weniger Anhaftung, weniger Ich-Aktivität im Gehirn, dafür mehr Verbindung von Arealen für Aufmerksamkeit, Empathie und Glücksempfinden. So berichten erfahrene Meditierende oft, dass in tiefen Zuständen ein Gefühl großer Weite, Einssein und bedingungsloser Wohlwollens entsteht – etwas, das man durchaus als „Rain of Virtue“ im subjektiven Erleben bezeichnen kann. Und die Neurowissenschaft sieht Parallelen: z. B. erhöhte Aktivität in Regionen für Mitgefühl bei langjährig Übenden.

Auch die Psychologie interessiert sich dafür. Der amerikanische Psychologe Abraham Maslow beschrieb sogenannte Gipfelerlebnisse (peak experiences): Momente intensiver Einheit, Freude und Bedeutsamkeit, in denen Menschen das Gefühl haben, alles ist genau richtig und nichts fehlt. Solche Momente gehen laut Maslow mit einem Verlust des Zeitgefühls, des Ego-Gefühls und einer Überflutung von positiven Empfindungen einher – quasi Mini-Erleuchtungen. Viele halten Maslows Peak-Experience-Konzept für verwandt mit meditativen Samadhi-Erfahrungen. In der Tat klingt ein tiefer Flow-Zustand (wie es später auch Mihály Csíkszentmihályi nannte) ein wenig wie ein kleiner Vorgeschmack von Dharma-Megha: Handeln ohne zu wollen, vollkommen im Moment aufgehen, der Welt als beseelt und sinnvoll begegnen, und danach eine nachhaltige Bereicherung an Einsicht und Charakter verspüren. Zwar ist Flow gewöhnlich auf eine Tätigkeit bezogen und nicht so transzendent wie Samadhi, doch die Psychologie zeigt hier eine Tendenz: Je weniger das Ego im Weg steht, desto erfüllter kann ein Zustand erlebt werden.

Man könnte fast sagen, moderne Wissenschaft beschreibt die Vorgewitter-Luft vor Dharma-Megha. Der große Knall selbst – das finale Herabregnen – entzieht sich vielleicht den objektiven Messmöglichkeiten, denn er betrifft einen inneren Zustand absoluter Subjektivität (oder absoluten Objekt-Seins, wie man will). Doch all die Indizien aus Hirnforschung und Psychologie stützen Patanjalis altes Versprechen: Wenn der Geist zur Ruhe kommt, kommt Tugend und Wissen von selbst. Oder wie es ein Meditierender ausdrückte, nachdem er von den aktuellen Studien erfuhr: „Es ist schön, bestätigt zu bekommen, dass das Gefühl, das ich beim Meditieren erlebe, wissenschaftlich untermauert ist.“.

Wie fühlt sich das an?

Für uns Normalsterbliche mögen diese Höhenzustände jenseitig klingen. Doch Yoga wäre nicht Yoga, wenn wir nicht im Kleinen etwas davon schmecken könnten. Auch wenn Dharma-Megha-Samadhi ein fernes Ziel sein mag – Elemente davon zeigen sich vielleicht schon auf dem Weg dorthin. Stellen wir uns vor, du sitzt in stiller Meditation. Stunde um Stunde verfeinerst du deine Aufmerksamkeit, löst dich von jedem aufsteigenden Wunsch, selbst vom Wunsch nach einem Ergebnis dieser Meditation. Irgendwann erlebst du einen kostbaren Moment völliger Gleichmütigkeit: Du bist einfach, ohne zu wollen, ohne zu werden. In diesem Augenblick spürst du vielleicht ein unerwartetes Gefühl von Frieden und Erfüllung, das dich durchströmt – als wäre eine schwere Last abgefallen. Du öffnest die Augen und bemerkst, dass du die Welt um dich herum mit sanfter Wertschätzung betrachtest: Jede Kleinigkeit hat ihren Platz, nichts muss anders sein. Solche Erfahrungen – mögen sie nur Sekunden dauern – zeigen, wie „Regen von Tugenden“ sich anfühlen könnte. Man empfindet plötzlich Dankbarkeit, Mitgefühl, Klarheit, ohne dass es einen äußeren Anlass gab. Es regnet von innen heraus Güte und Verständnis.

Natürlich ist das noch nicht die dauerhafte Wolke, sondern eher ein vorüberziehendes Wölkchen. Doch es macht Mut. Die alten Texte sprechen etwas in uns an – eine Ahnung, wie es sein kann, völlig frei und doch zutiefst verbunden zu sein. Die Sprache der Wolke hilft uns, es uns vorzustellen: So wie ein Wanderer an einem heißen Tag die erste kühle Regentropfen auf der Haut spürt und weiß „Gleich wird es richtig regnen“, so spürt ein fortgeschrittener Yogi vielleicht: Etwas in mir zieht sich zusammen, es baut sich was auf – wenn ich jetzt loslasse, kommt der Schauer. Und dieser Schauer wäscht alles Mühsal weg.

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Übungsvorschläge zu Sutra IV-29

Wie stark ist dein Wunsch nach Befreiung? Die meisten von uns dürften vom Zustand in dieser Sutra noch weit entfernt sein. Darum gilt bei uns noch: Stärke zunächst deinen Wunsch nach Erleuchtung! Bevor du ihn dann irgendwann auch noch aufgibst ...

Wie kannst du das in der Meditation üben?

Das Herz dieser Sutra ist: Du gibst sogar den Wunsch auf, erleuchtet zu sein. Klingt verrückt, oder? Du übst jahrelang, sitzt still, atmest achtsam – und dann sollst du auch das noch loslassen?

Ja. Genau das.

Setz dich hin. Spür, wie du atmest. Du bist nicht auf der Jagd nach „tiefer“ Meditation. Du versuchst nicht, Gedanken zu „besiegen“. Du willst nichts erreichen. Stattdessen: Lass dich einfach sein. Ohne Ziel. Ohne: „Wenn ich still genug bin, kommt das Licht.“ Nein. Du sitzt da, wie ein Felsen im Strom. Still. Leer. Und manchmal – ganz selten – weht da etwas von innen herauf. Kein Feuerwerk. Eher wie ein milder Sommerregen: Frieden. Weich. Ohne Grund.

Das ist die Praxis dieser Sutra: meditieren, ohne etwas zu wollen. Nicht mal die Erleuchtung.

Meine Erkenntnisse/Erfahrungen bei/mit dieser Übung

... oder kannst du eine andere Übung zum besseren Verständnis bzw. zum Erfahren dieser Sutra ergänzen?

 

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Wie kannst du das im Alltag üben?

Hier wird’s spannend. Denn der Alltag ist ein Stresstest für diese Haltung. Und doch: genau da beginnt der „Regen von Tugenden“, wenn du ihn lässt.

Beispiel 1: Wenn du mal wieder recht hast. Und schweigst.

Stell dir vor, du bist im Gespräch. Du weißt, dass du recht hast. Du könntest mit zwei Sätzen alles zerpflücken. Aber du merkst: Wenn du das jetzt tust, gewinnst du zwar die Diskussion – aber verlierst vielleicht Verbindung. Du atmest. Und sagst… nichts. Oder nur: „Ich versteh deinen Punkt.“ Bämm. Du lässt den Wunsch los, besser zu sein. Du ziehst die Waffe zurück. Was regnet dann? Vielleicht Respekt. Oder Frieden.

Beispiel 2: Wenn du dich beim Meditieren langweilst – und sitzen bleibst

Diese Sutra wirkt, wenn du auch dann auf dem Kissen bleibst, wenn alles in dir sagt: „Bringt doch nix!“ Du bleibst. Nicht, weil du Hoffnung hast. Sondern weil du mit dem bist, was ist. Du streckst dich nicht nach Stille. Du rennst nicht vor Gedanken weg. Du verzichtest auf Kontrolle – und in diesem Verzicht kommt... Klarheit.

Beispiel 3: Wenn du etwas Gutes tun könntest – und nicht erwartest, dass es jemand merkt

Dharma-Megha heißt auch: Du tust das Richtige, ohne dafür beklatscht werden zu wollen. Du räumst Müll weg, den du nicht verursacht hast. Du hilfst jemandem, ohne dass es jemand sieht. Keine Likes. Kein Schulterklopfen. Und doch: Irgendwas in dir wird leichter. Das ist der Moment, wo du Tugend regnen lässt, nicht über andere – sondern über dein eigenes Herz.

Was fühlt sich daran besonders an? Es ist schwer zu erklären, aber wenn du’s tust, merkst du es: Diese Momente tragen eine andere Farbe. Sie sind still, nicht spektakulär. Aber sie leuchten von innen. Wie wenn die Welt für einen Moment die Schultern senkt – und du mit ihr.

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Kommentar von Vyasa über Dharma-Megha-Samādhi – verständlich gemacht

Erläuterungen zu Vyasa

Vyasa war ein indischer Philosoph des 5. bzw. 6. Jahrhunderts nach Christi, der den ältesten überlieferten Kommentar zum Yogasutra des Patanjali schrieb. Der Text wird Yogabhashya (wörtlich "Kommentar (Bhashya) zur Yogaphilosophie") genannt und um 600 nach Christi datiert. Vyasas Kommentare zu den Sutras sind oftmals recht kurz.

Ohne Vyasas Kommentar wären viele Sutras heute fast unverständlich. Manche Gelehrte sagen, der Text ist erst durch den Kommentar wirklich „lesbar“.

Vyāsa war vielleicht/wahrscheinlich kein einzelner Autor, sondern ein Titel, der mehrere Kommentatoren der indischen Tradition umfasst. Die Stimme, die wir im Yogasutra-Kommentar hören, ist also vielleicht ein Chor.

Vyasas Yogabhashya wurde im 8./9. Jh. von Shankara (788–820 n. Chr, indischer Gelehrter, Vedanta-Philosoph, Begründer der Advaitavedānta-Tradition) kommentiert. Sein Kommentar nennt sich Yogabhashyavivarana, Vivarana ist ein Unterkommentar.

Auch Vachaspati Mishra hat einen frühen, berühmten Kommentar zum Yogasutra geschrieben. (Meine Quellen für diese Kommentare waren unterschiedliche Bücher und Webseiten, zum Beispiel Legget (siehe Literatur) und wisdomlib.org/hinduism/book/yoga-sutras-with-commentaries/). Ich gebe hier diese Kommentare in für mich relevanten Auszügen in Worten wieder, die für mich den Sinn in heutigen Worten am besten wiedergeben. Dies ist explizit kein Bemühen, die Originalkommentare wortgetreu wiederzugeben. Fehlinterpretationen sind natürlich in meiner Verantwortung.

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Die Kommentare von Vyasa, Mishra und Shankara sind oft wörtlich übersetzt worden, zum Beispiel bei den oben angegebenen Quellen.

Wenn Vyāsa, der wohl älteste und einflussreichste Kommentator der Yoga-Sutras, über Dharma-Megha-Samādhi schreibt, dann tut er das in einer Sprache, die einerseits kraftvoll ist – andererseits für heutige Leser:innen wie eine alte Schriftrolle in Sanskrit: respektvoll, aber erstmal verschlossen.

Hier eine behutsam modernisierte und erklärende Übertragung seines Kommentars zu Yoga-Sutra 4.29, die Sinn und Tiefe bewahrt – aber dich nicht sprachlich aus dem Sitz bringt.

Wenn ein Yogi – Vyāsa nennt ihn den Brāhmaṇa, den Weisen – nicht einmal mehr an höchster Meditation interessiert ist, wenn also selbst das feinste spirituelle Verlangen versickert, geschieht etwas Unfassbares:

Er bleibt vollständig gegenwärtig im Wissen, das zwischen Wirklichem und Unwirklichem unterscheiden kann – das berühmte viveka-khyāti. Und dieses Wissen ist nicht bloß ein Geistesblitz. Es ist immer da. Kein Aufleuchten und Verlöschen mehr – sondern stilles inneres Licht, das nicht flackert.

In diesem Zustand verlieren selbst die feinsten inneren Neigungen – im Sanskrit: vāsanās, die „Keime“ zukünftiger Gedanken und Wünsche – ihre Kraft. Sie trocknen aus, weil ihnen die Wurzel fehlt: Begehren.

Und dann – erst dann – tritt ein Zustand ein, den Vyāsa poetisch beschreibt als:

„Die Trance, die als die Wolke der Tugend bekannt ist.“

🧘‍♀️ Was bedeutet das für deine Praxis? Das ist kein Zustand für die To-Do-Liste. Du kannst diesen Samādhi nicht „machen“. Er geschieht, wenn sogar der Wunsch nach Befreiung verdunstet ist. Klingt verrückt? Möglicherweise. Aber deshalb ist es so tief.

Vyāsa macht deutlich: Diese höchste Stufe entsteht nicht durch krampfhafte Disziplin, sondern durch ein Loslassen, das so vollkommen ist, dass es sogar das Streben aufgibt. Die Wolke erscheint nicht, weil du sie willst – sondern weil du aufgehört hast, überhaupt nach Himmel zu greifen.

🔍 Ergänzende Gedanken:

  • „Ungebunden an sie“ bei Vyasa meint hier vielleicht: Der Yogi ist nicht einmal mehr an die Meditation gebunden. Sie ist wie ein Floß, das man überquert – und dann nicht mitträgt.

  • „Keine anderen Gedanken werden geboren“ – nicht, weil der Yogi „nichts mehr denkt“, sondern weil es keinen Drang mehr gibt, sich mit dem Denken zu identifizieren.

  • Warum eine Wolke? Sie steht für etwas, das nicht gemacht, sondern empfangen wird. Für Fülle ohne Verhaftung. Für Gnade ohne Verdienst.

✨ Und jetzt? Spür mal rein: Was wäre, wenn du nichts mehr willst – nicht einmal Frieden, nicht einmal Erleuchtung? Nicht als Flucht, sondern als Rückkehr. Vielleicht, nur vielleicht… beginnt es dann zu regnen. Still. Ohne Worte. Ohne Ziel. Tugend tropft ins Herz.


Siehe auch folgende Sutras

Yoga Sutra I-2: Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Bewegungen im Geist

Zur Sutra


Yoga Sutra I-16: Das Nichtbegehren nach den Elementen der Erscheinungswelt führt zur Wahrnehmung des wahren Menschen, des Purushas - die höchste Form der Verhaftungslosigkeit

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Yoga Sutra I-18: Ein weiterer Zustand des Samadhi - Virama Pratyaya - ist nach intensiver Übung erreicht, wenn alle geistigen Aktivitäten aufhören und nur (ein Rest) unmanifestierter Eindrücke im Geist (eine Form der Leere) verbleiben

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Yoga Sutra I-49: Das Wissen aus Nirvichara Samapatti ist von höherer Art als das Wissen, das aus Gehörtem, Gelesenem oder mittels Schlussfolgerung gewonnen wurde

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Yoga Sutra I-50: Dieses neue Wissen aus Nirvichara Sampatti erzeugte neue Eindrücke im Unterbewusstsein, welche die ungünstigen bisherigen Samskaras ersetzen

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Yoga Sutra III-50: Durch tiefgehendes Erkennen des Unterschiedes zwischen Sattwa (reine und lichtvolle Geist) und Purusha (dem wahren Selbst) erlangt der Yogi Allmacht (Oberhoheit über alle Wesen) und Allwissenheit

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Yoga Sutra III-55: Das Wissen der höchsten Unterscheidungskraft befähigt den Yogi, alle Dinge in Raum und Zeit gleichzeitig ganzheitlich in voller Transzendenz zu erfassen

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Yoga Sutra III-56: Wenn der Geist so rein (Sattva) wird wie das wahre Selbst (Seele, Purusha), erreicht der Yogi Befreiung (Kaivalya, Vollendung im Yoga)

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Yoga Sutra IV-8: Aus diesen drei Arten des Handelns (Karma) manifestieren sich [zu einem bestimmten Zeitpunkt] jene Wünsche oder Neigungen, für die günstige Bedingungen vorliegen

Zur Sutra


Siehe auch die Kommentare zu Viveka in Sutra II.15, Sutra II 26, Sutra II. 28, und in den Sutras IV. 8, 15, 21, 26, 27.

Yoga Sutra II-15: Für jemanden mit Unterscheidungsfähigkeit ist alles in dieser Welt leidvoll; das liegt an der Vergänglichkeit, unserem Verlangen, den unbewussten Prägungen und an der Wechselhaftigkeit der Natur

Zur Sutra


Yoga Sutra II-26: Die Entwicklung und ununterbrochene Anwendung einer reinen Unterscheidungskraft beendet die Unwissenheit

Zur Sutra


Yoga Sutra II-28: Indem wir die [acht] Glieder des Yoga praktizieren, verschwinden die Unreinheiten, das Licht des Wissens erstrahlt und führt zur Entwicklung von Unterscheidungskraft

Zur Sutra


Yoga Sutra IV-15: Das gleiche Objekt kann von zwei Menschen unterschiedlich wahrgenommen werden, abhängig von ihrem Bewusstseinszustand

Zur Sutra


Yoga Sutra IV-21: Könnte ein Geist den eines anderen als wahrnehmbares Objekt erkennen, würde das zu einer endlosen Kette der Wahrnehmung einer Wahrnehmung führen und so in einer Vermischung der Erinnerungen enden

Zur Sutra


Yoga Sutra IV-26: Dann neigt sich der Geist zur Unterscheidungskraft und richtet sich von selbst auf das Erreichen der Freiheit (kaivalya) aus

Zur Sutra


Yoga Sutra IV-27: Jedoch kommt es aufgrund noch vorhandener Prägungen (Samskaras) immer wieder zu andersartigen Vorstellungen und damit zu Unterbrechungen (Brüchen – chidreṣu) dieser Unterscheidungskraft

Zur Sutra


wolke yogi strasse orange 1000

Fazit

Zum Abschluss sei daran erinnert: Patanjali hat diesen höchsten Samadhi nicht ohne Grund erwähnt. Es soll uns inspirieren. Yoga-Lehrende können daraus die Lehre ziehen, ihre Schüler stets darauf hinzuweisen, dass Yoga kein endloses Streben nach immer mehr Fähigkeiten ist. Im Gegenteil, am Ende steht ein Loslassen aller Fähigkeiten, ein Sich-Hineinfallenlassen in das, was man wirklich ist. Yoga-Praktizierende wiederum mögen Trost darin finden, dass all die Disziplin letztlich zu einem Zustand führt, der mühelos ist. Ja, Kīrtan singen, Asanas üben, Pranayama und Meditation – all das erfordert Einsatz. Doch am Ziel wartet eine Gnade, die man nicht machen kann. Sie wird einem zuteil, indem man sich hingibt. So paradox es klingt: Erst wenn du nichts mehr erzwingen willst, fällt dir alles zu. Patanjali verspricht uns mit Sutra 4.29 genau das – und die jahrhundertealten Kommentare stimmen mit den neuesten Wissenschaftserkenntnissen darin überein.

Dharma-Megha-Samadhi ist vielleicht nicht gleich um die Ecke. Aber allein die Vorstellung davon kann deinen Unterricht und deine Praxis färben: Sie verleiht ihnen eine Richtung jenseits von reiner Technik, hin zu einer Haltung der Innerlichkeit und Demut. Wenn du weißt, dass am Ende eine Regenwolke wartet, lernst du vielleicht, den trockenen Perioden auf dem Weg mit einem Lächeln zu begegnen. Denn irgendwann wird es regnen – und dann wächst alles, was du so lange geduldig gesät hast, in einem einzigen schöpferischen Schub. Das ist die Magie der Wolke der Tugend: Sie lässt dich im richtigen Moment erblühen, in strahlender Gelassenheit und leuchtender Weisheit.

Ergänzungen und Fragen von dir zur Sutra

Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?

Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:

 

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Videos zu Sutra VI-29

Dharma Megha Samadhi und Kaivalya – Kommentar von Sukadev zu Yoga Sutra – Kap. 4, Vers 29 bis 34

Länge: 13 Minuten

Youtube-Video

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Was ist Dharmamegha-Samadhi? – Kommentar von Anvita Dixit zu Yogasutra 4.29

Länge: 10 Minuten

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Video von Ahnand Krishna zur Sutra

Wer bin ich? Asha Nayaswami (Class 67) zu Sutra 4.24 bis 4.34

Länge: 95 Minuten

Youtube-Video

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Geschrieben von

Peter Bödeker
Peter Bödeker

Peter hat Volkswirtschaftslehre studiert und arbeitet seit seinem Berufseinstieg im Bereich Internet und Publizistik. Nach seiner Tätigkeit im Agenturbereich und im Finanzsektor ist er seit 2002 selbständig als Autor und Betreiber von Internetseiten. Als Vater von drei Kindern treibt er in seiner Freizeit gerne Sport, meditiert und geht seiner Leidenschaft für spannende Bücher und ebensolche Filme nach. Zum Yoga hat in seiner Studienzeit in Hamburg gefunden, seine ersten Lehrer waren Hubi und Clive Sheridan.

https://www.yoga-welten.de

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