wellenringe

Yogash citta–vritti–nirodhah 
योगश्चित्तवृत्तिनिरोधः

Wenn ich festlegen müsste, welche Sutra die Bedeutsamste ist, dann würde ich diese wählen. Hier wird der Yogaweg in einem Satz zusammengefasst. Alle weiteren Sutras erläutern den Weg.

Auslegung und Deutung dieser Sutra erfolgt unterschiedlich. Lies hier, welche Prioritäten du gemäß der Sutras-Deuter bei deiner täglichen Praxis setzen solltest.

Inhalt: Yogasutra Kapitel 1, Vers 2

1. Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits

Hier sind zunächst die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Wörter, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis anpassen kannst:

  • Yogash = Yoga ist.

  • Citta (Chitta) = Geist, Bewusstsein, Verstand, oder auch meinendes Selbst, Geistfeld, steht zwischen Seher und Wahrnehmung, ein Schleier. -> Citta  

  • Vritti = Welle, seelisch-geistige Vorgänge, Gedanken(wellen), Gefühlsaufwallungen etc., auch: Bewusstseinszustand, Strukturen, Geistesbewegungen, dazu gehören auch Prägungen, Neigungen, Impulse, Glaubenssätze, Vorurteile, das Wesen des Menschen, Vritti verändert wie eine Fehleinschätzung die Wahrnehmung, Wellen auf der Wasseroberfläche, die den Blick ins Wasser trüben oder verzerren. -> Vritti  
    Citta-Vritti = Schwankungen/Bewegungen im Geist, auch Gefühle etc., alternativ: Tätigkeiten, durch die das Citta sich ausdrückt und die dessen Aufgaben bilden.

  • Nirodha (Nirdodhah) = kontrolliert, gehalten, Zur–Ruhe–Bringen, Aufhören, Beendigung, Einschränkung. -> Nirodha;

2. Übersetzungsvarianten und -hinweise (Quellen)

Hervorhebungen weisen auf Besonderheiten der jeweiligen Übersetzung hin. Übertragungen aus dem Englischen sind Eigenübersetzungen.

Yoga ist ...

  • ... das Zur-Ruhe-Bringen der Gedanken.
  • ... Zustand, ... die seelisch-geistigen Regungen zur Ruhe kommen.
  • ... das Zuruhekommen aller Bewegungen im Geist.
  • ... Bewusstseinszustand,... die Bewegungen des meinenden Selbst in die Stille kommen.
  • ... vollkommene Beherrschung des Denkens und Fühlens ....
  • ... Strukturierung des Bewusstseins zu beruhigen.
  • ... Bewusstseins-Regungs-Stillung.
  • ... Unterdrückung der Modifikationen des Geistes.
  • ... Hemmung der Modifikationen des Geistes.
  • ... Prozess der Beendigung der Vrittis des Feldes des Bewusstseins.
  • ... Hemmung der Modifikationen des Geist-Zeugs ...
  • ... die Kontrolle der Gedanken-Wellen ...
  • ... die Hemmung des Geistes vor der Einnahme verschiedener Formen.
  • ... Beruhigen der Gedankenwellen.
  • ... Unterdrückung der Änderung des Geistes.
  • ... Auflösen aller Trübungen im Wandelbaren des Menschen.
  • .... Beschränkung der Fluktuationen des Bewusstseins.
  • Deshpande/Bäumer: „... jener innere Zustand ... die seelisch-geistigen Vorgeänge zur Ruhe kommen.“
  • Coster: „... vollkommene Beherrschung des Denkens und Fühlens ...“
  • Feuerstein: „... der Fluktuationen im Bewusstsein“
  • R. Palm: „... Stillstehen der Bewusstseinsbewegung[en].“
  • R. Sriram: „Yoga ist ... Bewegungen des Citta ... in eine dynamische Stille übergehen.“
  • Govindan: „Yoga ist das Aufhören der [Identifizierung mit den] Fluktuationen ...“
  • Iyengar: „... Aufhören alle Bewegungen im Bewusstsein.“
  • R. Skuban: „... der dauernd sich verändernden mentalen Muster.“
  • T.K.V. Desikachar: „Yoga ist die Fähigkeit, sich ausschließlich auf einen Gegenstand ... Frage ... Inhalt auszurichten, ... ohne Ablenkung zu verweilen.“
  • Swami Satchidananda: "... Beherrschung der Veränderungen des Geistes ..."
Zu den Quellen

Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:

Bücher

Internetseiten

Dein Übersetzungsvorschlag

Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.

Hast du einen eigenen Übersetzungsvorschlag?

Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)

 

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Hier die bisherigen Antworten anschauen ⇓

Antwort 1
Yoga ist das Kultivieren der Leere im Geist

Antwort 2
Yoga ist das Erfahren der Leere im Geist

Antwort 3
Yoga ist das Anhalten des bewussten und unbewussten Karussells der Gefühle und Gedanken.

Antwort 4
Yoga ist Ruhe in allen Bewegungen.

Antwort 5
Yoga ist das Beenden des Denkens bei voller Bewußtheit.

Antwort 6
Yoga heißt, sich auf die Stille einlassen

Antwort 7
Yoga ist das zur-Ruhe-bringen der Gedankenwellen im Geist

Antwort 8
Leitfaden

Antwort 9
Yoga ist, die Bewegungen des Geistes unter Kontrolle zu haben.

Antwort 10
EINHEIT? Das Ich-Gefühl. [mit all seinen] Mätzchen und Schwingungen zur Ruhe bringen.

Antwort 11
Ich lasse vollkommen los und bringe all meine inneren Stimmen und Gedanken zur Ruhe

Antwort 12
Beherrschung des Unterbewußtseins

Antwort 13
Yoga ist das zur Ruhe kommen der Geistig (Denken) - Seelischen (Gefühle und Emotionen) (Gemüts) Bewegungen. Also auch aller subtilen unterbewussten geistig-seelischen Bewegungen. Ein vollständiges Zur Ruhe Kommen. Das geht nur im Augenblick/Moment.

Antwort 14
Yoga ist das zur Ruhe bringen der Gedanken im Geist

Antwort 15
Yoga ist die Einigung des Herzens durch Lösung der Geisteshemmungen (Verlangen nach Sinneseindrücken, Übelwollen, Sich-treiben-lassen, Unruhe und Zweifelei)

Antwort 16
Yoga ist das Stillen der Turbulenzen des Geistes.

Antwort 17
Yoga ist das stille Bewusstsein.

Culadasa, ein buddhistischer Meditationsmeister, spricht von "Unbewegtes Stillsein des Geistes"

3. Deutung: Die große Stille

Yoga ist also - das ist eine grundlegende Definition und von großer Bedeutung im Yoga - das zur Ruhe-Kommen und/oder das Unterdrücken (je nach Auslegung der Lehren) der Bewegungen im Geist/Bewusstsein. Eliade (S. 44) sieht daraus die Notwendigkeit, sich aus eigener Erfahrung Kenntnis über alle möglichen Bewusstseinszustände zu verschaffen, die einen normalen, "profanen", nichterleuchteten Geist (Bewusstsein) im täglichen Leben in Wallung bringt.

Dies schafft die Voraussetzung für die "Vernichtung" dieser profanen Bewusstseinszustände. (Eliade S. 45) "... die Gruppen, Arten und Varietäten von Bewusstseinszuständen - citta-vritti - zu vernichten". Dies gelinge aber nur, wenn man diese vorher erkannt hat.

"Aus dieser fundamentalen Definition von Yoga", so R. Palm auf Seite 10 zu dieser Sutra, "wird der ganze Leitfaden (Sutra heißt wörtlich Faden) entwickelt."

Wenn der Yoga erlangt sei, so Coster auf Seite 94, "beruhige sich das persönliche Bewusstsein wie die Lampe an einem windlosen Ort."

Diese "Vernichtung der Bewusstseinszustände" ist ein Gedanke, der dem Samkhya gemäß Eliade noch fremd ist. Dort wird die Freiheit (einfach ;-) ) durch die metaphysische Erkenntnis erlangt.

3.1. Nebulös

Citta, Vritti und Nirodha - keines dieser Worte wird von Patanjali laut Deshpande im Yogasutra konkret erläutert. Demzufolge ergeben sich die vielfältigen Interpretationsmöglichkeiten. Er meint, dass die Wurzelbedeutung dieser Worte als Grundlage der Interpretation dienen sollten.

Iyengar schreibt (S. 84): "Diese zentrale Sutra definiert, was Yoga ist: die Beherrschung und Einschränkung der Bewusstseinsbewegungen bis hin zu ihrem völligen Aufhören." Yoga sei dabei "... sowohl das Mittel als auch das Ziel".

3.2. Nicht-Wählen

Deshpande/Bäumer sehen (Seite 25) in dieser Sutra auch die Forderung an den Yogin:

"Höre auf zu wählen und sie, was geschieht."

So käme das "mentale Rad" allmählich zur Ruhe. Nicht-Wählen sei die einzige (gedankliche) Handlung, die in der Welt keine Gegenreaktion bzw. Gegenansicht provoziert.

4. Zum Citta

4.1. Schwer zu fassen

Yogalehrer und Sanskrit-Gelehrte zaubern für Citta stets neue Übersetzungen hervor. Meines Erachtens werden nicht alle Interpretationen der weiten Bedeutung von Citta gerecht. Für mich ist es zum Beispiel klarer, von "Bewusstseinszuständen" als nur von "Gedanken" zu sprechen, da mit Vritti auch alle Gefühle, und sonstigen emotionalen Aufwallungen gemeint sind. Ich habe mich für "Citta = Geist" entschieden.

4.2. Manifestationen des Citta

Wie Eliade auf Seite 45 weiterhin schildert, klassifiziert Vyasa (übrigens erster Kommentator des Yogasutras im 5. Jhd. n. Chr.) in seinem Kommentar zu Yoga Sutra I-2, dass jedes normale menschliche Bewusstsein (Citta) sich auf drei Arten manifestiert. Je nachdem, welches Guna bei ihm vorherrscht. Siehe Gunas

  • Herrscht Sattva (Reinheit, Erleuchtung über Begreifen) vor, manifestiert sich Prakhya, Lebhaftigkeit, Heiterkeit, innere Helle.
  • Herrscht Tamas (Finsternis, Trägheit, Schwere) vor, ist das Bewusstsein Sthiti: Träge und Erstarrung ist die Folge.
  • Herrscht Rajas vor (Energie), ist das Bewusstsein Pravritti: Aktiv, gespannt, eigenwillig, energievoll.

5. Modalitäten des Citta

Die Modalitäten des Bewusstseins nach Vyasa lauten gemäß Eliade, siehe dazu auch Vyasas Kommentar bei Sutra I-1:

  1. unstet - Ksipta
    (bei jedem nicht-erleuchteten Menschen vorhanden), der zerstreute Zustand. Man macht vieles gleichzeitig oder eines und ist mit dem Gedanken bei etwas anderem.
  2. wirr, dunkel - Mudha
    (bei jedem nicht-erleuchteten Menschen vorhanden).
  3. stetig und unstet - Viksipta
    Gelegentliche Stetigkeit wird durch Aufmerksamkeit auf ein Problem oder eine Gedächtnisübung erreicht. Man bemüht sich um Konzentration. Doch auch Viksipta ist noch wertlos in Bezug auf das Erlangen der Freiheit, da "nicht durch den Yoga erlangt". Dies gilt erst für die folgenden beiden Zustände:
  4. auf einen Punkt konzentriert/fixiert - Ekagrata
    Flow-Erfahrung, Einpünktigkeit, man ist mitten drin, es geschieht einfach.
  5. vollkommen gezügelt - Nirodha
    Hier gibt es gar keine Gedanken mehr.

Schon die Kenntnis über diese Modularitäten des Bewusstseins liefert die Grundlage zu deren Vernichtung.

Übrigens: Zur persönlichen Weiterentwicklung solltest du gemäß vieler Yogalehrer die Aufenthalte in Ksipta und Mudha möglichst kurz halten, stattdessen über Viksipta immer öfter in Ekagrata gleiten, auch und vor allem im täglichen Tun.

5.1. Einteilung

Eliade selbst ordnet die Bewusstseinszustände, deren Zahl unbegrenzt sei, in drei Kategorien ein:

  1. Irrtümer und Täuschungen
    Träume, Falschwahrnehmungen, Halluzinationen, Verwechselungen usw.
  2. Die Gesamtheit aller "normalen" geistigen Erfahrungen
    Dazu später mehr. Hier gehören alle Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen, die nicht durch Yoga-Technik verfeinert sind, hinein. Diese seien zwar real, beruhen aber auf Unkenntnis des Purusha und sind somit aus Sicht eines wirklich freien Geistes "falsch".
  3. Durch Yoga-Technik ausgelöste parapsychologische (transzendente) Erfahrungen
    Diese gehen dem Samadhi voran und sind Schritte auf dem Weg zur Freiheit.

Der Yoga von Patanjali, so Eliade weiter, will die ersten beiden Bewusstseinszustände abschaffen und durch diese speziellen Yoga-Erfahrungen zu ersetzen. Überwindet man auch diese, gelangt man zum Samadhi und gelangt damit in die ersehnte totale Freiheit.

Iyengar unterteilt auf Seite 83 die Funktionen des Bewusstseins in 

  • Erkenntnis,
  • Willenskraft und
  • Bewegung.

6. Zu den Geistesbewegungen Vritti - dem Schleier

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6.1. Der Schleier

Wenn dieses Citta in Bewegung gerät - durch Emotionen, Gedanken etc. - spricht Patanjali von Vritti. Ich übersetze es mit "Bewegungen im Geist (Citta)". Populär ist es auch, von "Wellen im Geist" zu sprechen, beispielsweise als Gedankenwellen oder "emotionalen Aufwallungen". Vrittis sind auch:

  • Denken
  • Urteilen
  • Erinnern
  • Wollen, Wünsche
  • Etwas nicht mögen
  • Ängste, Sorgen
  • Alle Gefühle wie Freude, Ärger, Zorn

Alle diese Vrittis sorgen dafür, dass wir uns mit unserem Körper, unseren Gedanken, unseren Gefühlen usw. identifzieren. Der Yoga hat zum Ziel, all dies zur Ruhe zu bringen, um die leidbringende Unwissenheit zu beseitigen und zur Freiheit zu gelangen. Wir erfahren innere Stille und erkennen Purusha, unser "inneres Licht", unser "Wahres Selbst".

Im Tao-Te-King,  Vers16 (Rückkehr zur Wurzel) heißt es:

„Erschaffe in dir Leere bis zum Höchsten!
Wahre innere Stille bis zum Völligsten!
Alle Dinge mögen sich dann zugleich vor dir erheben.
..."

Manche übersetzen Vritti mit "der Geist wählt". Deshpande verweist darauf, dass das normale Wählen bei einem unterleuchteten Menschen gemäß Patanjali nicht aus einem Zustand der Freiheit erfolgt, sondern aus der Identifikation des Wählenden mit dem Gewählten.

Wählen findet, so verstanden, nicht wirklich in Freiheit statt, sondern "gefesselt" von den eigenen Zuneigungen und Abneigungen: Ich will dies haben und jenes meiden. Das sei - obwohl auf der ganzen Welt als "normal" angesehen - gemäß Deshpande und vielen anderen Yogis keine wirkliche Freiheit. Freiheit entsteht (erst) aus der Fähigkeit, nicht zu wählen.

Yoga hier also verstanden als Aufruf zu: "Höre auf zu wählen, und schaue, was dann passiert." Und was soll passieren? Wenn du aufhörst zu wählen, kommt dein Geist zur Ruhe. Erst verlangsamt er sich, dann kommt er irgendwann zum Stillstand - mit all den damit versprochenen Segnungen.

6.2. Parallelen im Buddhismus

Mit den Vrittis sind wir bei den berühmten Affen des Geistes - eine Metapher aus dem Buddhismus, der Monkeymind. Die Affen kreischen und verlangen unsere Aufmerksamkeit. Yoga bringt diese Herde zur Ruhe.

7. Nirodha - die klare Sicht

7.1. Segnung des Schleierentzugs

Diese Segnung liegt zum einen darin, dass wir das, was ist, klar erkennen, nicht mehr getrübt, verfärbt oder verfälscht durch die Vrittis. Zum anderen darin, und hier unterscheiden sich Yoga und Buddhismus ein wenig, dass der so befreite Yogi Purusha, das eigene Selbst, die eigene Seele, erkennt. Dazu mehr in der nächsten Sutra (I-3). Ruhe und Glückseligkeit sollen mit diesem Erkennen einhergehen (Sat, Chit, Ananda).

Anders ausgedrückt: Wenn man die Vrittis mit einem Schleier vor dem Gesicht einer Frau vergleicht, hängt ihre Wahrnehmung von der Farbe des Schleiers ab. Sie könnte auch jeden Tag eine andere Farbe tragen und so jeden Tag die Welt anders wahrnehmen.

Das Perfide: Wenn wir uns durch die Vrittis täuschen lassen, die Welt also "falsch" wahrnehmen, wird diese Täuschung durch alles bestätigt, was wir sehen. Die Welt erscheint so, wie wir meinen, dass sie ist.

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7.2. Der Geist als See

Sukadev und andere verwenden das Bild von den verschiedenen Bewusstseinszuständen in Form eines Sees, der verschmutzt ist. In Mudha ist das Wasser des Sees voller Schmutzpartikel - Gedanken, Gefühle etc. - welche die klare Sicht verhindern. Dabei wartet dort auf dem Boden des Sees ein Schatz in Form des Purushas.

Noch ein wenig anders ausgedrückt: Ein Sadhaka (Schüler) des Yogas strebt danach, seinen Geist(see) rein und klar zu machen. Dies gelingt über die Beruhigung der Wellen (Vrittis) im Geist(see). Willenskraft spielt hierbei eine Rolle, aber die Vrittis sollen nicht unterdrückt werden, sondern über die Techniken des Yogas und die ethischen Lebensregeln zur Ruhe kommen. Yoga als Mittel zur Zügelung, Beruhigung und (final) Unterdrückung. Wenn der Sadhaka alle inneren Bewegungen angehalten hat, ist das Ziel des Yogas erreicht. Beim Yoga ist damit der Weg auch das Ziel.

7.3. Laotse und die Sutra I-2

Aus dem Tao te king. Abschnitt 16 Übersetzung von Richard Wilhelm:

Schaffe Leere bis zum Höchsten!
Wahre die Stille bis zum Völligsten!
Alle Dinge mögen sich dann zugleich erheben.
Ich schaue, wie sie sich wenden.

Die Dinge in all ihrer Menge,
ein jedes kehrt zurück zu seiner Wurzel.
Rückkehr zur Wurzel heißt Stille.
Stille heißt Wendung zum Schicksal.

Wendung zum Schicksal heißt Ewigkeit.
Erkenntnis der Ewigkeit heißt Klarheit.
Erkennt man das Ewige nicht,
so kommt man in Wirrnis und Sünde.

Erkennt man das Ewige,
so wird man duldsam.
Duldsamkeit führt zur Gerechtigkeit.
Gerechtigkeit führt zur Herrschaft.

Herrschaft führt zum Himmel.
Himmel führt zum Sinn.
Sinn führt zur Dauer.
Sein Leben lang kommt man nicht in Gefahr.

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8. Der Weg zur Klarheit

Wofür steht Nirodha: Unterdrücken oder locker lassen?

"Vernichtung", "Beherrschung" - diese Übersetzungen klingen nach krampfhafter Ruhigstellung der Vrittis. Aber Deshpande und andere beteuern, dass mit Nirodha nicht das zwanghafte Zur-Ruhe-Bringung des Geistes gemeint sei. Dies wäre ein "Akt des Wählens" und damit eine aus der Ego-Zentrierung hervorgegangene Tätigkeit, die zur weiteren "Konditionierung des Geistes" führe und nicht in die ersehnte Freiheit.

Nirodha meint, wie oben erläutert, laut Deshpande (S. 10) vielmehr "Nicht-Wählen". Es stehe hier nicht für eine Unterdrückung der Denktätigkeit, sondern deren langsames Zur-Ruhe-Kommen. Yoga sei keine Sache der egozentrischen Bemühung, der Anstrengung und Unterdrückung. Dazu gelte es, die eigene wahre Identität zu finden, Samadhi sei das Gegenteil bewusster Unterdrückung.

Ähnlich äußert sich Desikachar (Über Freiheit und Meditation), der eine Beruhigung des Geistes durch "strömenlassen" oder "lenken" favorisiert. Dazu muss der Geist aber die Fähigkeit trainiert bekommen, seine Aufmerksamkeit ganz auf ein Objekt strömen zu lassen:

Desikachar: Yoga ist die Fähigkeit, sich ausschließlich auf einen Gegenstand, eine Frage, oder einen anderen Inhalt auszurichten und in dieser Ausrichtung ohne Ablenkung zu verweilen.

Sriram: Einheit findet statt, wenn alle Gefühle und Gedanken zueinandergefunden haben.

Iyengar: Wenn Yoga erlangt ist, beruhigt sich der Geist wie "die Lampe an einem windlosen Ort".

9. Kommentar von Vyasa zu Sutra 1.2

Erläuterungen zu Vyasa

Vyasa war ein indischer Philosoph des 5. bzw. 6. Jahrhunderts nach Christi, der den ältesten überlieferten Kommentar zum Yogasutra des Patanjali schrieb. Der Text wird Yogabhashya (wörtlich "Kommentar (Bhashya) zur Yogaphilosophie") genannt und um 600 nach Christi datiert. Vyasas Kommentare zu den Sutras sind oftmals recht kurz.
Dieses Yogabhashya wurde im 8./9. Jh. von Shankara (788–820 n. Chr, indischer Gelehrter, Vedanta-Philosoph, Begründer der Advaitavedānta-Tradition) kommentiert. Sein Kommentar nennt sich Yogabhashyavivarana, Vivarana ist ein Unterkommentar. Auch Vachaspati Mishra hat einen frühen, berühmten Kommentar zum Yogasutra geschrieben. (Meine Quellen für diese Kommentare waren unterschiedliche Bücher und Webseiten, zum Beispiel Legget (siehe Literatur) und wisdomlib.org/hinduism/book/yoga-sutras-with-commentaries/). Ich gebe hier diese Kommentare in für mich relevanten Auszügen in Worten wieder, die für mich den Sinn in heutigen Worten am besten wiedergeben. Dies ist explizit kein Bemühen, die Originalkommentare wortgetreu wiederzugeben. Fehlinterpretationen sind natürlich in meiner Verantwortung.

Du siehst etwas anders, hast einen Fehler gefunden oder möchtest etwas ergänzen? Bitte schreibe dies unten bei "Ergänzungen von dir".

Die Kommentare von Vyasa, Mishra und Shankara sind oft wörtlich übersetzt worden, zum Beispiel bei den oben angegebenen Quellen.

Patanjali möchte hier eine Definition des Yoga vornehmen:

„Yoga ist die Beherrschung geistiger Veränderungen."

Da Patanjali das Wort "alles" nicht vor "geistigen Veränderungen" setzt, werden auch die ersten Stufen der höheren Meditation (erste Stufen von Samadhi) als Yoga bezeichnet.

Vyasa greift dann dem Yogasutra vorweg und erläutert:

Zunächst zu den Gunas: Der Geist besitzt die "drei Qualitäten", die die Natur der Aufhellung, Aktivität und Trägheit zeigen. Mit zunehmender Entwicklung und Reinigung befreit sich der yogische Geist von den störenden Energien (Rajas) und der Trägheit (Tamas). Er nähert sich "der Tugend, dem Wissen, der Wunschlosigkeit und der Meisterhaftigkeit".

So erkennt er immer mehr den Unterschied zwischen der Welt und dem Purusha, dem wahren Selbst. So nähert er sich dem Zustand der Erleuchtung, der "Wolke der Tugend" (dharma-megha) genannt wird. Dies ist einer der Namen für den höchsten Samadhi-Zustand, dem samenlosen Samadhi, Erleuchtung oder Freiheit (Kaivalya).

10. Fazit

Nirodha ist also eher ein Prozess, weniger eine Aufgabe an sich, weniger Kampf, sondern ein allmähliches Verblassen, das durch die Übungen des Yogas irgendwann von selbst eintritt. Den Vrittis wird sozusagen über unsere Selbstbeherrschung Energie entzogen, die Affen des Geistes werden nicht mehr gefüttert, so dass sie sich ermattet niederlegen.

Wofür steht dann dabei das Üben der Meditation? Vielleicht kann man eine Parallele aus dem Sport heranziehen: Die Meditation ist die Nirodha-Trainingsstunde, das tägliche Leben hingegen das Punktspiel, in dem das Training zur Anwendung kommt.

11. Hintergrundbild zur Sutra

Diese Sutra gibt es auch als Wallpaper/Hintergrundbild für deinen Rechner, Tablett oder dein Smartphone:

11.1.

 gb sutre i 2 564

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12. Ähnliche Sutras

licht erstrahlt himmel 250Yogângânushthânâd ashuddhi-kshaye jnâna-dîptir â viveka-khyâteh
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Hier startet der Ashtanga Yoga im Yoga Sutra. Die zweite große Möglichkeit neben (oder ergänzend zu) dem Weg des Kriya Yoga; hin zum großen Ziel: der Erleuchtung. Ashtanga Yoga, so heißt es, sei gut geeignet für alle Menschen, die keine besonderen spirituellen Veranlagungen aufwiesen und darum den Weg des Übens gehen müssen. ;-)

Wichtig dabei: Alles Üben sollte auf eine ganz bestimmte Art und Weise erfolgen ...

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wasser tropfen 250

Virâma–pratyayâ-abhyâsa–pûrvah samskâra–seso nyah
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Sutras über Citta
Sutras über Vritti
Sutras über Nirodha

13. Übungsvorschlag zu Sutra I-2

Achte in dieser Woche darauf, wie du wählst. Anders ausgedrückt: Beobachte in dieser Woche dein Citta. Woraus besteht dein Geist alles?

Kannst du erkennen, was Vrittis sind? Was bewegt den Geist bei dir am meisten: Gedanken, Wünsche, Freude, Ängste, Alltagssorgen, Zeitstress ...?

Meine Erkenntnisse/Erfahrungen bei/mit dieser Übung

 

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14. Ergänzungen und Fragen von dir

Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?

Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:

 

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15. Videos zur zweiten Sutra:

15.1. Ausführliche Erklärung

17 minütige Erläuterung zur zweiten Sutra auf Deutsch:

Youtube-Video

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15.2. Englische Besprechung

Eine Stunde Gespräch auf Englisch über die 2. Sutra:

Youtube-Video

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Punkt 14

16. Beliebt & gut bewertet: Bücher zum Yogasutra


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16.1. Alte Schriften auf Yoga-Welten.de

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Weitere oft aufgerufene alte Schriften

Geschrieben von

Peter Bödeker
Peter Bödeker

Peter hat Volkswirtschaftslehre studiert und arbeitet seit seinem Berufseinstieg im Bereich Internet und Publizistik. Nach seiner Tätigkeit im Agenturbereich und im Finanzsektor ist er seit 2002 selbständig als Autor und Betreiber von Internetseiten. Als Vater von drei Kindern treibt er in seiner Freizeit gerne Sport, meditiert und geht seiner Leidenschaft für spannende Bücher und ebensolche Filme nach. Zum Yoga hat in seiner Studienzeit in Hamburg gefunden, seine ersten Lehrer waren Hubi und Clive Sheridan.

https://www.yoga-welten.de

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