Pratyaksa-ânumânâ-agamâh pramânâni
प्रत्यक्षानुमानागमाः प्रमाणानि
Patanjali erläutert die Vrittis. Das korrekte Wissen bzw. die Mittel zu dessen Erkenntnis: Pramana. Das hört sich zunächst harmlos an, doch auch korrektes Wissen wird auf dem Weg des Yoga zum Hindernis.
1. Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits
Zunächst hier die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Worte, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis variieren kannst:
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Pramana, pramâna, pramânâni = akkurate oder richtige Wahrnehmung, Wahrnehmungen; gültiges, rechtes, zutreffendes oder korrektes Wissen, bezeugte Tatsachen bzw. die Mittel des Geistes dazu; etwas anders: Mittel, um wahres Wissen zu erlangen, richtiges Erkennen; etwa anders: Mittel, wahres Wissen zu erlangen, richtige Auffassung, Wahrnehmung von etwas real Vorhandenem, Wahrnehmung von Gegenständlichem.
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Pratyaksha = direkte Kenntnis, vor den Augen, unmittelbar sehen, spontane Wahrnehmung, Wahrnehmung über die fünf Sinne, Empfindung, Input, direktes Erleben; auch: gegenständliche Wahrnehmung.
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Anumana, anumâna = Folgerung bzw. Schlussfolgerung, auf Berechnung basierend, über den Intellekt (mana) erfolgend, Reflexion, Erdachtes.
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Agama, âgama = was immer galt, per Zeugnis, Wahrheiten von glaubwürdigen Meistern oder anderen Quellen (Schriften), was angenommen werden darf, Überlieferung (Erkenntnis, die auf der Autorität heiliger Schriften beruht), manchmal auch nur als "heilige Schriften" übersetzt, Zeugenaussage eines Lehrers oder eines traditionellen Textes, Schriftwissen, was von den Vorfahren weitergegeben wird.
Zu den Quellen
Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:
Bücher
- Mircea Eliade: Yoga – Unsterblichkeit und Freiheit
- Iyengar: Der Urquell des Yoga
- Deshpande/Bäumer: Die Wurzeln des Yoga
- Geraldine Coster: Yoga und Tiefenpsychologie
- R. Sriram: Von der Erkenntnis zur Befreiung – Das YogaSutra
- Govindan: Die Kriya Yoga Sutras des Patanjali
- Mallinson/Singleton: Roots of Yoga
- R. Palm: Der Yogaleitfaden des Patañjali
- T.K.V. Desikachar: Über Freiheit und Meditation | Das Yoga Sutra von Patanajali
- Feuerstein, Georg: Die Yoga Tradition (Amazon)
- Skuban, Ralph: Patanjalis Yogasutra (Amazon)
- Sri Swami Satchidananda: The Yoga Sutras of Patanjali (Amazon)
Internetseiten
- Internet-Übersetzung des Yogasutras auf Yoga-Vidya.de
- Zu den Sutras auf ashtangayoga.info
- Zu den Sutras auf 12koerebe.de
- Zu den Sutras auf vedanta-yoga.de
- Openland.de (mittlerweile offline)
- Zu www.bodhi.sofiatopia.org (buddhistische Kommentare zum Yogasutra nur noch als Buch)
- sanskrit-sanscrito.com (Sutras anscheinend entfernt)
- Zur Übersetzung von Chip Hartranft (PDF)
- Die Übersetzung von Hariharananda Aranya, I. K. Taimni, Vasa Houston, Barbara Miller, Swami Satchidananda, Swami Prabhavananda, Swami Vivekananda finden sich auf dieser Seite.
- Übersetzung von James Haughton Woods
- Rainbowbody.com (ausführliche und eigene Kommentierung)
Dein Übersetzungsvorschlag
Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.
Hast du einen eigenen Übersetzungsvorschlag?
Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)
3. Deutung
Man beachte, dass Patanjali nicht sagt, dass jede direkte Wahrnehmung oder jede heilige Schrift zur Wahrheit führt. Offenkundig sind immer Fehlbeobachtungen möglich und heilige Schriften widersprechen sich häufig.
Ein schönes Beispiel hierfür zeigt folgendes Bild:
Nebenbei bemerkt: Viele Menschen bilden sich heutzutage eine Meinung aus dem Lesen von Zeitungen. Dies würde Patanjali wohl nicht als "heilige Schriften" bezeichnen :-) Analoges gilt für Videobilder, welche sich stets auf Teilaspekte einer Wirklichkeit konzentrieren und von daher das Gesamtbild unvollständig wiedergeben, ganz abgesehen von möglichen Manipulationen. Vielleicht deutet Patanjali hier an, dass du dir immer nur selbst ein Bild machen kannst und zum Rest besser schweigen soltest.
4. Sinne und Intuition
Das zutreffende Wissen kann also durch unmittelbare Wahrnehmung erfolgen. Gemeint sind zumeist Wahrnehmungen über die Sinnesorgane. Andere sehen auch Intuition und warnende Gefühle als unmittelbare Wahrnehmungen und so potentiell zu korrekten Erkenntnis führend.
Andere Kommentatoren ergänzen eine "überbewusste Intuition", die aus dem wahren Selbst stammt. Diese Form intuitiven Wissens soll – wenn es authentisch ist und nicht einer Verrücktheit entstammt - stets mit einem Gefühl von Ausdehnung einhergehen, mit Liebe, mit Wonnegefühl, etwas Unendlichem. Daran könne man die höhere Intuition erkennen.
Siehe hierfür auch Sutra III-34 und III-37:
Yoga Sutra III-37: Von Samyama auf Purusha entstehen intuitives Hören, Sehen, Schmecken und Riechen
Tataḥ prātibhaśrāvaṇavedanādarśāsvādavārtā jāyante
ततः प्रातिभश्रावणवेदनादर्शास्वादवार्ता जायन्ते
Yoga Sutra III-34: Intuition führt zu Wissen von allem
Prâtibhâd vâ sarvam
प्रातिभाद्वा सर्वम्
Manche interpretieren in diese Sutras, dass Patanjali nur die unmittelbare Wahrnehmung aus der höheren Intuition , ohne Sinneseinwirkung, als die eigentliche, korrekte direkte Wahrnehmung anerkennt.
5. Folgerichtige Schlußfolgerung
Wahre Quellen (ursprünglich gemeint: von einer Autorität, einer heiligen Schrift) bilden heutzutage den größten Anteil unseres Wissens, oder hast du schon einmal dein Herz schlagen gesehen? Nein, du hast es irgendwo gelesen oder gehört und glaubst an die Bilder von Herzquerschnitten.
Sukadev empfiehlt von daher, bei allen Wahrnehmungen Viveka, die Unterscheidungskraft, anzuwenden, um wahres vom Falschen zu trennen.
6. Pramana – ein Vorteil?
Desphande bewertet Pramana als die angesehenste Vritti im menschlichen Leben. Sie ist neben der Inspiration verantwortlich für alle Fortschritte in der Wissenschaft. Deshpande stuft dennoch die Relevanz von Pramana für die üblichen Handlungen der Menschen als gering ein. Vernunft? Wie langweilig ... Zudem beschränke sich der Erkenntnisgewinn von Pramana auf die physische Natur.
Ist Pramana - korrekte Erkenntnis - nun etwas Gutes im Hinblick auf das Ziel im Yoga? Letzten Endes nicht, da auch dieses wahrhafte Wissen ein Vritti erzeugt und uns somit die Sicht auf den Purusha trübt. Kleines Beispiel: Ein Motorengeräusch während der Meditation - hereingeströmt durch das offene Fenster - ist zwar eine direkte Wahrnehmung, lenkt aber in der Meditation ab und somit ist eine direkte Wahrnehmung als Vritti ein Hindernis bei der Beruhigung der Bewegungen im Geist ...
Die unbeeinflusste, absichtslose Wahrnehmung kann zum Beispiel beim voll konzentrierten Beobachten einer Kerze oder Blüte geübt werden.
7. Weisheit in der Dualität
Iyengar weist darauf hin, dass es Weisheit nicht in der Dualität geben kann. Weisheit sieht alles als Einheit. Patanjali spricht in III-55 von erhabener Intelligenz:
târakaä sarva-viæayaä sarvathâ-viæayam akramam ceti vivekajaä jõânam
तारकं सर्वविषयं सर्वथाविषयमक्रमं चेति विवेकजं ज्ञानम्
Kleiner Nachteil: Diese Weisheit sei seiner (Iyengars) Meinung nach untauglich zum Lösen von Herausforderungen des normalen Lebens in einer dualistischen Welt, da diese erhabene Intelligenz von der Natur (Prakrti) unberührt sei. Die Verfeinerung dieser Intelligenz sei jedoch für die Suche nach Freiheit essentiell, da sie dann nach innen zum wahren Selbst hingezogen wird. Siehe:
Yoga Sutra IV-26: Dann wird die Unterscheidungskraft erlangt und der Geist strebt zur Befreiung
Tadā viveka-nimnaṁ kaivalya-prāg-bhāraṁ cittam
तदा विवेकनिम्नङ्कैवल्यप्राग्भारञ्चित्तम्
Iyengars Einwand erinnert an das Höhlengleichnis aus Sutra I-4: Der aus der Höhle Befreite würde, zurück in der Höhle, mit seinen neuen Erkenntnissen in der Unterwelt nichts anfangen können. Im Gegenteil: Seine Augen müssten sich erst einmal wieder an das Schattendasein im Höhlendunkel gewöhnen, um sich überhaupt grob orientieren zu können.
8. Fazit
Trau, schau, wem. Die Sutra 1.7 kann man auch als Aufforderung verstehen, die eigenen Meinungen einmal kritisch unter die Lupe zu nehmen, um sich der Unvollkommenheit unserer Sinne und unseres Verstandes bewusst zu werden.
8.1. Dein Feedback / deine offene Frage an den Text
Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?
Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:
9. Übung zu Yoga Sutra I-7
Übungsvorschlag für die kommende Woche: Forsche diese Woche in deinen Überzeugungen. Welche davon beruht auf Pramana im Sinne Patanjalis? Mache dir zudem bewusst, inwiefern diese auf Pramana beruhende Überzeugung dennoch als Vritti die Ruhe deines Geistes stört.
10. Videos zur siebten Sutra
Erläuterung zur siebten Sutra auf Deutsch:
{tab Englische Erläuterung}
{tab Englisch 2}
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11.1. Alte Schriften auf Yoga-Welten.de
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- Die Hatha-Yoga-Pradipika – kapitelweise zusammengefasst
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