frau lauscht hand ohr 250Tataḥ prātibhaśrāvaṇavedanādarśāsvādavārtā jāyante
ततः प्रातिभश्रावणवेदनादर्शास्वादवार्ता जायन्ते

Die Ausrichtung der Konzentration auf die Wünsche des wahren/höheren Selbst wie in der Sutra III-36 zuvor beschrieben bringt weitere Früchte. Wenn wir uns ganz in diesem Sinne ausrichten und verhalten, werden wir feinsinniger und empfänglicher, so Patanjali hier.

Wer mit echter Neugier und einem Hauch Demut auf die Wünsche des wahren Selbst lauscht, der findet hier nicht nur philosophische Weisheit, sondern auch konkrete Werkzeuge, um seine Wahrnehmung zu verfeinern. In diesem Artikel erwarten dich klare Erklärungen verschiedener Kommentatoren zu dieser Sutra, praktische Anleitungen und interessante Brücken zwischen uraltem Yogawissen und moderner Neurowissenschaft.

Inhalt: Yogasutra Kapitel 3, Vers bzw. Sutra 37

Kurz zusammengefasst

  • Samyama als Schlüsseltechnik
    Die Kombination aus Konzentration (Dharana), Meditation (Dhyana) und Versenkung (Samadhi) – gemeinsam als Samyama bezeichnet – öffnet das Tor zu subtilen Bewusstseinsebenen.
  • Entstehung der Siddhis
    Aus der inneren Ausrichtung auf das wahre Selbst (Purusha) entstehen verfeinerte Sinneswahrnehmungen: inneres Hören, Sehen, Fühlen, Riechen und Schmecken – sogenannte Siddhis.
  • Traditionelle Auslegung nach Vyasa & Co.
    Klassische Kommentatoren wie Vyasa oder Hariharananda Aranya sehen diese Fähigkeiten als natürliche Nebenprodukte tiefgreifender Meditation – nicht als Ziel, sondern als Begleiterscheinung geistiger Klarheit.
  • Moderne Stimmen & Warnungen
    Lehrer wie Iyengar, Satchidananda oder Taimni warnen vor einer Fixierung auf Siddhis. Entscheidend bleibt die Nicht-Anhaftung (Vairagya) und das Unterscheidungsvermögen (Viveka).
  • Praktische Anwendung im Alltag
    Der Artikel liefert konkrete Alltagstipps, um Samyama zu üben – z. B. durch einfache Fokusübungen, Pranayama, Yoga Nidra oder stille Innenschau.
  • Interaktive Tools & Visualisierungen
    Mit Zeitleiste, Übungsgenerator und Infografik wird der Weg zu Samyama greifbar und individualisierbar – für Einsteiger wie Fortgeschrittene.
  • Neurowissenschaftliche Brücke
    Studien von Richard Davidson oder Judson Brewer zeigen: Meditation verändert nachweislich die Hirnaktivität und kann intuitive Prozesse fördern – eine moderne Bestätigung der Sutra-Inhalte.

Details und Erläuterungen zu allen Punkten im weiteren Artikel.

Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits

Hier sind zunächst die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Wörter, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis anpassen kannst:

  • Tatah = daher; davon; daraus;
  • Pratibha, prâtibha = intuitiv; höheres Wissen; göttlich; ein Aufblitzen der inneren Weisheit; das Licht/die Essenz in jedem Wesen;
  • Shravana, śrāvaṇa = Gehör; Hören; Ohr; übersinnliches Hören;
  • Vedana = Gefühls-...; fühlen; empfinden; übersinnliches Fühlen;
  • Adarsha, âdarsha = sehen; übersinnliches Sehen;
  • Asvada, âsvâda = Geschmacks...; schmecken; übersinnliches Schmecken;
  • Varta, vârtâ = Geruchs-...; riechen; übersinnliches Riechen;
  • Jayante, jâyante = erzeugt; geht hervor; geboren; entsteht; gebären;

Übersetzungsvarianten und -hinweise (Quellen)

Hervorhebungen weisen auf Besonderheiten der jeweiligen Übersetzung hin. Übertragungen aus dem Englischen sind Eigenübersetzungen.

  • Roots: „Als Ergebnis [der Übung aus der Vorsutra] entstehen leuchtende Wahrnehmung und [göttliches] Hören, Empfinden, Sehen, Schmecken und Riechen.“
  • Sukadev: „... intuitives Hören ... Sehen ... und Riechen.“
  • Deshpande/Bäumer: „Daraus (aus der Erkenntnis des purusa) entsteht blitzartige Erleuchtung …“
  • Dr. R. Steiner: „Daraus entstehen intuitives Hören, Fühlen ...“
  • Coster: „-“
  • Feuerstein: „Daraus ergeben sich … spontane höhere Wahrnehmungen …“
  • Paul Deussen (1908): „Daraus entstehen intuitive Wahrnehmungen von [übernatürlichem] Hören, Fühlen, Sehen und Schmecken."
  • R. Palm: „Daraus entspringen intuitives Hören, Fühlen …“
  • R. Sriram: „Daraus entstehen die subtilsten Wahrnehmungen über die Sinne …“
  • Govindan: „So entstehen plötzliche intuitive Wahrnehmungen …“
  • Iyengar: „Aus dieser (Erkenntnis des Purusa) entsteht blitzartige Erleuchtung und daraus wiederum …“
  • Chip Hartranft: „Dieser Einsicht folgend, können die Sinne - Hören, Fühlen, Sehen, Schmecken, Riechen - plötzlich verstärkt werden.“
  • R. Skuban: „So … übersinnliche Wahrnehmung.“
  • T.K.V. Desikachar: „Dadurch erlangt der Mensch außergewöhnliche Fähigkeiten …“
  • G. Pradīpaka: „Davon (Saṁyama über Puruṣa) (tatas), Prātibha --eine Art von intuitivem Wissen-- (prātibha), Śrāvaṇa ... übernatürliche Kraft des Hörens ... übernatürliche Kraft der Berührung ... des Sehens ... des Schmeckens ... des Riechens ...“
  • 12koerbe.de (dort: 36): „... Einsicht, Hören,    Empfindung, Innenschau und Wohlgeschmack ...“
  • Hariharananda Aranya: „Daraus (aus dem Wissen von Parusa) entsteht Pratibha (Wissen), Sravna (übernatürliche Kraft des Hörens) ... Asvada (übernatürliche Kraft des Geschmacks) und ... übernatürliche Kraft des Geruchs ...“
  • I. K. Taimni: „Daraus ... intuitives Hören, Tasten, Schmecken und Riechen.“
  • Vyasa Houston: „Daraus ... Pratibha - der Blitz der Erleuchtung, das übersinnliche Hören, Fühlen ... und die Intelligenz.“
  • Barbara Miller: „Aus diesem Wissen entstehen die intuitiven Formen des Hörens ...“
  • Swami Satchidananda: „Aus diesem Wissen entsteht überphysisches Hören, Fühlen, ... durch spontane Intuition.“
  • Swami Prabhavananda: „So erlangt man das Wissen durch spontane Erleuchtung und erlangt übernatürliche Kräfte des Hörens, Tastens, Sehens, Schmeckens und Riechens.“
  • Swami Vivekananda: „Daraus ergibt sich das Wissen des Hörens, Berührens, Sehens ... das zu Pratibha gehört.“
  • Wim van den Dungen (buddhistischer Kommentar zum Yogasutra): „Daher ein Aufflammen des Hörens, Fühlens, Sehens ...“
  • Rainbowbody: „Da das Wissen um die Unwissenheit das Gegenmittel für die Unwissenheit ist, … dann die angeborenen selbstleuchtenden Blitze des psychischen oder transzendentalen Hörens (sravana), Fühlen (vedana), Sehen (adarsa) ... frei von den normalen verunreinigenden Verzerrungen, Begrenzungen und Ablenkungen (Perversionen), die die Produkte der Unwissenheit sind ..."
    Alternativübersetzung von Rainbowbody: "Daher (tatah) entsteht (jayante) spontan eine entwickelte natürliche und intuitive nicht-duale und trans-personale (pratibha) Form des Hörens, Fühlens ...”

Zu den Quellen

Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:

Bücher

Internetseiten

Weitere Quellen, z. B. zu aktuellen Studien, sind direkt im Text verlinkt.

Dein Übersetzungsvorschlag

Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.

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Einordnung dieser Sutra im Yogasutra

Samyama ist die Schlüsselübung im dritten Kapitel des Yogasutra zum Erreichen der geistigen Kräfte. In den Sutras III-1 bis III-7 erläutert Patanjali zunächst, was Samyama ist: die Kombination aus

  • Dharana (Konzentration),
  • Dhyana (Meditation) und
  • Samadhi (Überbewusstsein).

In Sutra III-8 ergänzt er dann, dass der Yogi zur Erlangung der Erleuchtung über Samyama hinausgehen muss.

In den Sutras III-9 bis III-15 geht es weiter mit Erläuterungen, welche Wandlung der Geist (Chitta) vollziehen muss, um Samyama bis zur Perfektion ausüben zu können. Aufeinander aufbauend sind das die Stadien

  1. Nirodha-Parinama (Wandel durch Sammlung, einfache Konzentration),
  2. Samadhi-Parinama (Wandlung durch länger andauernde Konzentration) und
  3. Ekagrata-Parinama (Wandel/Transformation durch vollkommene Versenkung auf einen Punkt/ein Thema). 

Der notwendige Wandel des Geistes erfolgt nach und nach, ist keine sprunghafte Entwicklung.

In den Sutras III-16 bis III-49 macht Patanjali eine ganze Reihe von Vorschlägen, worauf man Samyama lenken könnte und welche Folgen (Siddhis = Kräfte, besondere Erkenntnisse) sich jeweils daraus ergeben.

In der Sutra III-36 zuvor ging es darum, sich auf die Wissen über Purusha zu erhalten, unser wahres Selbst wahrzunehmen. Hieraus sollen dann auch gemäß Patanjali von den meisten Kommentatoren als übersinnliche Fähigkeiten des Hörens, Riechens, Schmeckens etc. entstehen. Oft als blitzartig auftretende, intuitive Einsichten beschrieben.

Besondere Kräfte (Siddhis) mit Samyama erlangen

Besondere Kräfte (Siddhis) mit Samyama erlangen

Patanjalis Anleitungen zur Erlangung der Siddhis lauten generell, dass der Praktizierende Samyama gezielt auf ein Meditationsobjekt anwendet. Samyama ist die Verbindung aus anhaltender Konzentration, Meditation und schlussendlich Samadhi (Überbewusstsein) auf ein Objekt der Meditation. Skuban sieht den Vorgang von Samyama als “mentales Eindringen in ein Objekt, das den Übenden schließlich zu den feinstofflichsten Bereichen des Seins führt.” Dadurch werden die drei Eigenschaften (siehe Sutra III-13) eines Objektes voll erkannt. So wird das Objekt voll verstanden und über die Gunas auch beherrschbar. Alle Objekte sind nämlich laut Yogalehre Erscheinungsformen der drei Gunas, auch das Bewusstsein des Menschen. Der Yogi diszipliniert sein Bewusstsein und kann über bzw. in Samyama die Gunas auch außerhalb seines Bewusstseins beeinflussen oder verändern. So erklären sich gemäß Yogalehre die Siddhis. 

Vibhutis, der andere Name für die Siddhis, bedeutet wörtlich weg (vi) von den Elementen (bhutas) und steht damit laut einiger Kommentatoren auch für die Abwendung von der Identifikation mit den materiellen Grundlagen unseres Lebens, yogisch: Prakriti. Hin zur Erkenntnis unserer wahren Natur: Purusha.

Die Sutras III-16 bis III-49  nennen die Objekte, auf die ein Yogi seine Samyama-Konzentration legen sollte, um besondere Kräfte zu entfalten. Iyengar betont jedoch, dass diese Siddhis sich erst bei weit fortgeschrittenen Yoga-SchülerInnen zeigen.

Ergänzend: Lange Pranayama-Praxis soll spontane Siddhis triggern können. Gerade Wechselatmung über Monate hinweg wird in manchen Berichten als „geistöffnend“ beschrieben – mit plötzlichen Hörerlebnissen oder Visionen.

Was ist Samyama?

Was ist Samyama?

Samyama besteht aus drei Stufen: Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (Überbewusstsein). Nur die erste Stufe von Samyama, die Konzentration auf ein Objekt, lässt sich willentlich steuern. Die darauf aufbauenden Geisteszustände Dhyana (Meditation) und Samadhi (Überbewusstsein) müssen sich laut der meisten Kommentatoren des Yogasutras von alleine einstellen und werden durch lang anhaltende Konzentration und Beseitigung der Geisteshindernisse erlangt. Feuerstein bezeichnet Samyama als 'Bündelung' von Konzentration, Meditation und Samadhi. Du findest Samyama ausführlicher in den ersten Sutras des dritten Kapitels des Yogasutra hier auf yoga-welten.de besprochen. Siehe vor allem:

Yoga Sutra III-4: Die drei (Dhahrana, Dhyana, Samadhi) zusammen auf ein Objekt oder einen Ort angewendet wird Samyama genannt

Zur Sutra


Yoga Sutra III-5: Aus der Meisterung von Samyama entsteht vollkommenes Wissen über das Wahrgenommene

Zur Sutra


Yoga Sutra III-6: Der Fortschritt im Samyama erfolgt in Stufen

Zur Sutra


Voraussetzungen und Umgang mit den Siddhis

Empfehlungen zu Voraussetzungen und zum Umgang mit den Siddhis

Viele Kommentatoren empfehlen, mit den Siddhis sehr bewusst umzugehen. Folgendes wird oft geraten:

Wer sich den Siddhis zuwendet, sollte die Yamas und Niyamas in seinem Leben verwirklicht haben. Diese sind:

Die Yamas – Selbstkontrolle

  • Ahimsa – Gewaltlosigkeit
  • Satya – Wahrhaftigkeit
  • Asteya – Nicht-Stehlen
  • Brahmacharya – Wandel in Brahma / Selbstbeherrschung / Enthaltsamkeit
  • Aparigraha – Nicht-Greifen, Verzicht auf Gier

Niyamas – Verhaltensregeln

  • Saucha – Reinheit
  • Santosha – Zufriedenheit
  • Tapas – Selbstzucht
  • Svadhyaya – Selbststudium (Studium)
  • Ishvarapranidhana – Verehrung des Göttlichen

Siehe dazu die Erläuterungen in "Yamas und Niyamas im täglichen Leben".

Siddhis sollten nicht zum Vergnügen, zur Selbsterhöhung oder anderen ungünstigen, egoistischen Zielen angewendet werden. Vielmehr zeigen die Siddhis (so Iyengar und andere), dass die Yogapraxis “richtig angelegt” sei.

Selbstverständlich sollte man Siddhis auch nicht dazu nutzen, um jemand anderen damit zu schaden.

Stattdessen wird eher ein “Nicht-Beachten” der Siddhis angeraten, wenn diese sich denn zeigen sollten. Iyengar schreibt, (S. 244), die Übungen bei Auftreten der Siddhis mit Glauben und Begeisterung weiterzuentwickeln, die Siddhis aber mit völligem Gleichmut zu betrachten.

Dem Yogi wird also geraten, sich nicht auf die Siddhis einzulassen, sich nicht von ihnen “mitreissen zu lassen”, um sie nicht für eigenen selbstsüchtige Bedürfnisse zu verwenden, woraus späteres Leiden folgen würde. Stattdessen solle er/sie weiter auf dem Pfad der Befreiung zu wandeln und die Siddhis eher als Prüfung ansehen, ob man nicht doch noch - trotz fortgeschrittener yogischer Entwicklung - den Verlockungen der Dualität und des Ego-Daseins nachgibt.

Swami Sivananda sagt über Siddhis:

„Yoga ist nicht dazu da, Siddhis, Kräfte, zu erlangen. Wenn ein Yogaschüler die Versuchung verspürt, Siddhis zu erlangen, wird sein weiterer Fortschritt ernsthaft verzögert. Er hat den Weg verloren. Ein Yogi, der darauf konzentriert ist, höchsten Samadhi zu erreichen, muss Siddhis zurückweisen, wo auch immer sie auftauchen. Siddhis sind Einladungen von Devatas. Nur wenn man diese Siddhis zurückweisen kann, kann man Erfolg im Yoga erlangen.“

Im tibetischen Buddhismus werden vergleichbare Fähigkeiten „Shes-rab“ genannt. Auch dort: klare Intuition, inneres Sehen, spontane Einsicht – aber nie als Ziel, sondern als Prüfstein für Demut.

Missverständnisse rund um Siddhis

Die Aussicht auf übernatürliche Kräfte fasziniert viele – und genau darin liegen einige häufige Missverständnisse begründet. Ein Irrglaube besteht darin, dass Yoga hauptsächlich dazu diene, solche Siddhis zu erlangen. Tatsächlich betont die Tradition jedoch, dass Siddhis eher Nebenprodukte auf dem spirituellen Weg sind, nicht sein Zweck. Patanjali selbst stellt im unmittelbar folgenden Sutra klar, dass diese Fähigkeiten für einen im Samadhi befindlichen Geist Upasarga – also Störungen oder Ablenkungen – darstellen, auch wenn sie in einem nach außen gewandten Bewusstseinszustand als außergewöhnliche Errungenschaften erscheinen mögen. Yogameister wie Vyasa und später Vivekananda haben daher immer wieder gemahnt, die Siddhis nicht zu überschätzen: Sie seien wie Blüten am Wegesrand – schön und bemerkenswert, aber man sollte nicht vom Weg abkommen, um nur noch Blumen zu pflücken.

Ein weiteres Missverständnis liegt darin, jede ungewöhnliche innere Wahrnehmung sofort für eine echte siddhische Fähigkeit zu halten. Insbesondere wenn Übende beginnen, sich intensiv mit Meditation zu beschäftigen, können imaginäre Bilder, Lichterscheinungen oder akustische Phänomene auftauchen. Die Yoga-Tradition fordert hier Viveka, das unterscheidende Erkenntnisvermögen: Handelt es sich wirklich um eine valide intuitive Einsicht (Pratibha) oder nur um eine Wunschprojektion des Geistes? Echte spirituelle Intuition wird traditionell durch bestimmte Qualitäten kenntlich gemacht – sie geht einher mit tiefer innerer Stille, Klarheit und Gewissheit, ohne Aufregung oder Ego-Stolz. Hingegen sind halluzinatorische Erlebnisse oder irrige „Eingebungen“ oft dramatisch, emotional aufgeladen oder selbstbezogen. Es ist ein bekanntes Risiko, dass ein Yogi, der sich zu früh auf Siddhis fokussiert, Opfer von Täuschungen werden kann. Beispielsweise könnte man glauben, die Gedanken anderer lesen zu können, während man in Wirklichkeit eigenen Fantasien nachhängt.

Schließlich gibt es das Missverständnis, Siddhis seien ein Zeichen von Erleuchtung oder spiritueller Vollendung. Historische Berichte zeigen jedoch, dass auch wenig ethische oder unreife Personen zeitweise paranormale Fähigkeiten aufweisen konnten – was nicht mit wahrer Heiligkeit gleichzusetzen ist. Im Yoga wird daher gelehrt, die Siddhis weder zu verteufeln noch zu vergötzen. Sie dürfen auftauchen, doch der richtige Umgang ist entscheidend: Ein reifer Yogi nimmt sie wahr, schenkt ihnen aber wenig Bedeutung und bleibt dem höheren Ziel, Kaivalya (der völligen Befreiung), verpflichtet. Missverständnisse klären sich letztlich durch Erfahrung und Anleitung: In der traditionellen Guru-Schüler-Beziehung wurden auftauchende Siddhi-Erlebnisse vertraulich besprochen, um sicherzustellen, dass der Schüler nicht in Fallen wie Egoismus oder Ablenkung tappt. So soll auch der moderne Übende verstehen, dass Wunder im Yoga-Kontext Prüfsteine der Haltung sind – sie verlangen nach noch mehr Demut, Vairagya und Konzentration auf den eigentlichen Weg.

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Siddhi: Übersinnliches Hören, Fühlen, Sehen, Schmecken und Riechen

“Deshalb, Oh Arjuna, erfährt der Mensch fortdauernde Erkenntnis, dessen Sinne völlig von den Sinnesobjekten losgelöst sind.”

Bhagavad Gita, Kapitel 2, Vers 68

Im Yoga-Sutra 3.37 beschreibt Patanjali, dass aus dem Licht höherer Erkenntnis – konkret aus der Erkenntnis des Purusha (des reinen Bewusstseins) – eine Reihe verfeinerter Sinneswahrnehmungen entsteht. Diese manifestieren sich als außergewöhnliche Fähigkeiten des Hörens, Fühlens, Sehens, Schmeckens und Riechens jenseits der üblichen Sinne. Die üblichen Grenzen der Sinne werden eingerissen. Wer stets nach den Wünschen/Interessen des Purushas spürt (und vermutlich auch danach handeln sollte), wird in der Folge mit dieser Erweiterung der Sinne belohnt. Der Yogi könne mittels Samyama auf das Wahre Selbst (Purusha) und ggf. dem Erkennen desselben (wie in Sutra III-36 besprochen) dann auch “... unmittelbar wahrnehmen, unabhängig von den äußeren Sinnen. Entfernung spielt für dieses Wahrnehmungsvermögen keine Rolle mehr” (Iyengar, S. 258). 

In der Yoga-Tradition gelten solche verfeinerten Wahrnehmungen als Siddhis, also besondere geistige Kräfte oder „Vollkommenheiten“. Sie treten laut Patanjali auf, wenn ein Yogi die meditative Vertiefung namens Samyama meistert – die nahtlose Verbindung von Konzentration (Dharana), Meditation (Dhyana) und völliger Versenkung (Samadhi) auf ein Objekt oder Prinzip. Sutra 3.37 steht im Vibhuti Pada, dem dritten Kapitel der Yoga-Sutras, welches sich den sogenannten übernatürlichen Kräften widmet. Patanjali zählt hier die Pratibha-Erkenntnis (intuitives „Aufleuchten“ von Wissen) und die daraus entstehenden übersinnlichen Sinnesfähigkeiten auf. Diese werden jedoch nicht als endgültiges Ziel dargestellt, sondern eher als Nebenprodukt fortgeschrittener Meditation.

Rainbowbody schwärmt von diesen Fähigkeiten: „Tatah (also) aus, übersinnliches intuitives Wissen, übersinnliches Hören (wie z.B. das Hören des göttlichen Klanges, der göttlichen Rhapsodie, Klänge in der Ferne, Wissen um andere Sprachen. usw.), göttlicher Anblick (wie Fähigkeit, Astralwesen, die siddhas, die Götter, göttliche Wesen zu sehen, und Darshan von den Heiligen zu gewinnen), göttliches Gefühl (wie ekstatische Zustände des Seins), göttlicher Geschmack (wie das Schmecken des amrita (göttlicher Nektar) oder soma Weines, das Riechen des göttlichen Ambrosia (die Fähigkeit, subtile Düfte und göttliches Parfüm zu unterscheiden), und dergleichen werden leicht zugänglich (jayante).”

Einige Zeilen später zitiert Rainbowbody die Worte von Yogiraj Shyamacharan Lahiri. Dieser kommentiert diese Sutra wie folgt:

„Indem man den oben beschriebenen Samyama ausführt, wird das Wissen um die sechs übersinnlichen Wahrnehmungen entwickelt:

  1. Pratibha = Hellsichtigkeit;
  2. Shravan = übersinnliche Hörfähigkeit, um göttliche Klänge zu hören;
  3. Vedana = übersinnlicher Tastsinn;
  4. Adarsha = Fähigkeit, die göttlichen Wesen zu sehen;
  5. Asvada = Fähigkeit, subtile Geschmäcker wahrzunehmen;
  6. Varta = supersinnliche Fähigkeit, göttliche Düfte zu riechen.

Indem man den obigen Samyama macht, werden alle diese Sinneswahrnehmungen zu Nitya (dauerhaft). [als nitya-lila]” (Zitatende)

Pratibha offenbart sich aus sich selbst heraus

Swami Satchidananda etwa beschreibt die verfeinerten Sinne als „überphysische“ Wahrnehmungsfähigkeiten, die dem fortgeschrittenen Übenden quasi automatisch durch spontane Intuition zufließen. Er betont, dass ein Yogi, der die innere Reinheit und Sammlung erreicht hat, diese Eindrücke erhält, ohne gezielt nach sogenannten Wundern zu streben – Pratibha offenbart sich aus sich selbst heraus.

I. K. Taimni charakterisiert die in diesem Sutra erwähnten Phänomene ebenfalls als intuitiv entstehende Sinneseindrücke auf einer höheren Bewusstseinsebene. In seinem Werk The Science of Yoga erklärt Taimni, der Geist des Yogis könne in einem solchen Zustand Objekte wahrnehmen, die normalerweise zu fein, zu fern oder verborgen wären, da die Wahrnehmung nicht länger auf die physischen Sinnesorgane beschränkt ist. Es handelt sich um eine Art „Erweiterung“ der Sinne: Der Yogi richtet das innere Licht der Aufmerksamkeit auf ein Objekt und erlangt unmittelbares Wissen darüber – eine Fähigkeit, die durch jahrelange Meditation kultiviert wird.

T.K.V. Desikachar, der das Yogasutra aus der Tradition seines Vaters T. Krishnamacharya weitergab, formuliert die Inhalte dieses Verses besonders zurückhaltend. In seiner Übersetzung heißt es sinngemäß, man beginne „außergewöhnliche Fähigkeiten der Wahrnehmung“ zu erlangen – Details wie Hellhören oder Hellsehen werden bewusst nicht ausgeschmückt. Desikachar betont, dass ein ernsthafter Übender solche Ergebnisse als Nebenprodukte betrachten sollte. Seine Auslegung unterstreicht, dass das eigentliche Ziel des Yoga ein anhaltender Zustand von innerer Ruhe und Klarheit ist, durchdrungen von Viveka (unterscheidender Einsicht). Siddhis mögen dabei auftreten, doch der Yogi lässt sich davon nicht ablenken, sondern bleibt auf die innere Freiheit ausgerichtet.

Hast du schon einmal feinstoffliche Wahrnehmung erlebt?

 

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Wie genau vorgehen, um über Samyama diese übersinnlichen Fähigkeiten zu erhalten?

Voraussetzungen und Vorbereitungen für Samyama und Siddhis

Voraussetzungen für Samyama und Siddhis

Um Samyama – die kombinierte Praxis von Konzentration, Meditation und Versenkung – erfolgreich üben zu können, müssen bestimmte psychologische und spirituelle Voraussetzungen erfüllt sein. Einig sind sich die traditionellen wie modernen Lehrer, dass der Geist des Übenden ausreichend gereinigt und gesammelt sein muss. Das bedeutet: innere Stabilität, relative Gedankenstille und Freiheit von starken emotionalen Aufwallungen als Grundlage. Es bedarf eines Maßes an Konzentrationskraft, Achtsamkeit und Gelassenheit gegenüber Sinnesreizen, damit die Aufmerksamkeit vollständig nach innen gelenkt werden kann. Besonders hervorgehoben wird die Haltung der Nicht-Verhaftung (Vairagya): Der Yogi soll nicht mehr an gewöhnlichen Sinnesfreuden oder Erfolgserlebnissen hängen, sondern eine innere Unabhängigkeit davon kultiviert haben.

Darüber hinaus betont der yogische Weg, dass die grundlegenden Stufen des Achtgliedrigen Pfades gefestigt sein sollen, bevor man sich höheren Techniken wie Samyama widmet. Konkret bedeutet dies: Yama und Niyama – die ethischen Prinzipien und Selbstdisziplinen – sollten im Leben des Übenden verankert sein, um mentale Unruhe und konflikthafte Begierden zu minimieren. Die Praxis von Asana (Körperübungen) und Pranayama (Atemlenkung) baut Spannungen und Rastlosigkeit ab und stabilisiert Körper und Nerven, was indirekt dem Geist zugutekommt. Pratyahara, das systematische Zurückziehen der Sinne, ist ebenfalls eine entscheidende Vorstufe: Erst wenn die Aufmerksamkeit nicht mehr unwillkürlich von äußeren Eindrücken gesteuert wird, kann echte Konzentration nach innen entstehen. Diese Vorarbeiten schaffen den Nährboden, auf dem Samyama gedeihen kann. Ein Yogi, der Schritt für Schritt diesen Pfad gegangen ist, entwickelt die geistige Stärke und Reinheit, die nötig sind, um tiefe Versenkung zu erreichen – und in deren Folge können Siddhis überhaupt erst auftauchen.

Die Rolle von Entsagung und Ethik (Vairagya, Yama, Niyama)

Entsagung/Nichtanhaftung im Yoga, auf Sanskrit Vairagya, und die ethischen Richtlinien Yama und Niyama gehören zu den fundamentalsten Anforderungen, insbesondere wenn es um den Umgang mit Siddhis geht. Vairagya bedeutet ein inneres Losgelöstsein: der Übende übt sich darin, Verlangen und Anhaftungen aufzugeben – seien es sinnliche Genüsse, materielle Güter oder auch das Streben nach außergewöhnlichen Fähigkeiten. So kann der Yogi in die Tiefe von Samyama gelangen.

Die Geisteshaltung von Vairagya ist auch hilfreich dabei, dass aufkommende Siddhis den Yogi nicht verführen. Nur wer in Gleichmut gegenüber allen Phänomenen bleibt, kann übernatürliche Wahrnehmungen haben, ohne vom eigentlichen Pfad abzukommen. Patanjali nennt Vairagya nicht umsonst bereits im ersten Kapitel als Schlüssel zur geistigen Stille: Das fortwährende Loslassen verhindert, dass der Geist neue Wellen von Begierde und Ego-Stolz bildet.

Ergänzend dazu bilden Yama und Niyama das moralische Fundament. Die fünf Yamas – etwa Gewaltlosigkeit (Ahimsa), Wahrhaftigkeit (Satya) oder Nicht-Gier (Aparigraha) – und die fünf Niyamas – etwa Reinheit (Shaucha) und Selbststudium (Svadhyaya) – sorgen dafür, dass der Charakter und Lebenswandel des Yogis ethisch ausgerichtet sind. Warum ist das so wichtig in Bezug auf Siddhis? Zum einen reinigt moralisches Verhalten das Herz und mindert egoistische Tendenzen, was die Wahrscheinlichkeit von Missbrauch oder falscher Identifikation mit Kräften reduziert. Zum anderen stabilisieren Yama und Niyama den Geist: Ein Gewissen, das frei von Schuld und Zwiespalt ist, kommt leichter zur Ruhe. Traditionell heißt es, dass Siddhis nur einem Yogi dauerhaft und gefahrlos zufallen, der Tugend und Selbstbeherrschung verkörpert. Andernfalls können Machtgefühle, Hochmut oder unethische Versuchungen die Folge sein. Daher lehren die Yogameister, dass jede Erweiterung der Fähigkeiten mit entsprechender Demut und Verantwortungsbewusstsein einhergehen muss – Qualitäten, die durch die Befolgung von Yama und Niyama kultiviert werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Vairagya und die ethische Praxis sind Förderer und Schutzmechanismus auf dem Weg zur höheren Erkenntnis. Sie erleichtern das Eindringen in lang anhaltende innere Stille bei voller Bewusstheit und bewahren den Übenden davor, die Richtung zu verlieren, wenn Siddhis auftauchen. Ein Yogi, der Entsagung übt und ethisch gefestigt ist, wird die verfeinerten Sinneswahrnehmungen zwar registrieren, aber weder missbrauchen noch für wichtiger halten als das letztendliche Ziel – die Erkenntnis des wahren Selbst (Purusha) und die Befreiung.

Vorbereitende Techniken für Samyama und verfeinerte Wahrnehmung

Um den Geist auf Samyama und mögliche subtile Wahrnehmungen vorzubereiten, empfehlen Yogalehrer seit jeher verschiedene unterstützende Techniken. Insbesondere folgende Ansätze haben sich als hilfreich erwiesen:

  • Yama und Niyama hatten wir schon, empfohlen wird auch eine stabile und bequeme Sitzhaltung (Asana).
  • Pratyahara (Zurückziehen der Sinne): In dieser fünften Stufe des Raja Yoga lernt der Übende, die Aufmerksamkeit von äußeren Sinnesobjekten abzuziehen. Praktisch wird Pratyahara z.B. geübt, indem man sich in Entspannung auf innere Wahrnehmungen konzentriert und äußere Reize ausblendet – etwa durch Augen schließen, in Stille sitzen oder Visualisierungen. Dadurch werden die Sinne „nach innen gezogen“. Ein trainiertes Pratyahara ist die Voraussetzung dafür, dass in Samyama die verfeinerten, inneren Sinneswahrnehmungen auftauchen können. Erst wenn die gewöhnlichen Sinnesreize an Macht verlieren, entsteht Raum für das subtile innere Hören, Sehen etc.
  • Pranayama (Atemkontrolle): Gezielte Atemübungen beruhigen das Nervensystem und sammeln den Geist. Durch Regulierung (Patanjali nennt Verlängerung und Verfeinerung) des Atems – etwa mittels tiefer Bauchatmung, Wechselatmung (Nadi Shodhana) oder einfach nur der Verlängerung der Ausatmung – wird der Geist fokussiert und der Energiefluss harmonisiert. Patanjali selbst führt Pranayama als wichtige Vorstufe zu Dharana (Konzentration) an. Ein gleichmäßiger, feiner Atem fördert eine introvertierte Aufmerksamkeit und kann latente Energien (Prana) wecken. Insbesondere fortgeschrittene Pranayamas, die mit Konzentration auf Energiezentren (Chakras) verbunden sind, schulen die Wahrnehmung des inneren Raums. Dadurch wird der Yogi empfänglicher für subtile Empfindungen – eine essenzielle Vorbereitung, um in tiefere Meditation vorzudringen, wo sich Siddhis zeigen könnten.
  • Optional: Yoga Nidra (Yogischer Tiefenentspannungszustand): Yoga Nidra ist eine geführte Meditation, die den Körper in vollständige Entspannung versetzt, während der Geist hellwach bleibt. In diesem Schwebezustand zwischen Wachen und Schlaf treten Gehirnwellen auf, die für Aufnahmefähigkeit und Intuition förderlich sind. Die Praxis von Yoga Nidra hilft, unbewusste Verspannungen und mentale Blockaden abzubauen. Sie schult außerdem die Fähigkeit, bewusst ins Unterbewusstsein hineinzulauschen, ohne einzuschlafen. Diese Fertigkeit – entspannt und zugleich aufmerksam nach innen zu schauen – ist eine direkte Vorbereitung auf Samyama. Ein Yogi, der Yoga Nidra meistert, kann seine Aufmerksamkeit lange nach innen richten, was die Kontinuität von Dharana/Dhyana fördert. Zugleich fördert Yoga Nidra einen Zeuge-Geist („Sakshi-Bhava“), der Phänomene beobachten kann, ohne sich damit zu identifizieren – hilfreich, um etwaige Siddhi-Erfahrungen nüchtern zu betrachten. Hier findest du die konkrete Übungsanleitung.
  • Optional: Japa (Mantra-Wiederholung): Die Rezitation oder mentale Wiederholung eines Mantras gilt als eine der wirkungsvollsten Konzentrationshilfen. Durch Japa wird der rastlose Geist schrittweise beruhigt und auf einen Klang oder eine heilige Silbe ausgerichtet. Das kontinuierliche Wiederholen – ob laut, leise oder innerlich – bündelt die Gedankenströme und führt zu tiefer Meditation. In vielen Yoga-Traditionen heißt es, ein Mantra reinige den Geist und öffne das Herz. Praktisch bewirkt Japa, dass störende Gedanken in den Hintergrund treten und eine spirituelle Schwingung den Vordergrund einnimmt. Dies bereitet auf Samyama vor, indem das Mantra wie ein Anker für Dharana dient und nahtlos in Dhyana übergehen kann. Zudem kann intensives Mantra-Japa dazu führen, dass der Übende das Mantra schließlich innerlich „hört“, ohne aktives Tun – eine Form von subtiler Wahrnehmung, die als Siddhi betrachtet werden könnte (z.B. Nada-Anubhava, das innere Klang-Erlebnis). Selbst wenn solche Phänomene nicht explizit gesucht werden, stärkt Japa in jedem Fall die Konzentration, Hingabe und Vairagya. Diese Qualitäten schützen und begleiten den Yogi, falls sich verfeinerte Sinneswahrnehmungen einstellen.

Zusammengefasst dienen Pratyahara, Pranayama, Yoga Nidra und Japa als (nicht unbedingt notwendige aber) hilfreiche Bausteine in der Vorbereitung auf Samyama. Sie entwickeln die nötige geistige Disziplin, Sammlung und Reinheit, um die im Yoga-Sutra beschriebenen Fähigkeiten zu ermöglichen (garantieren aber deren Auftreten nicht). Gleichzeitig fördern sie die Haltung von Losgelöstheit und innerer Ruhe, sodass der Yogi bereit ist, Siddhis weder zu erzwingen noch zu fürchten, sondern sie im richtigen Geist zu integrieren. Jede dieser Techniken ist für sich schon eine wertvolle Übung; im Zusammenspiel ebnen sie den Weg zu den tieferen Erfahrungen des Yoga – bis hin zur Pratibha, dem aufblitzenden inneren Wissen, und darüber hinaus zum endgültigen Ziel des Yoga, der Verwirklichung des Selbst.

🌀 Samyama-Reife-Check

Samyama – die Kombination aus Konzentration, Meditation und tiefer Versenkung – ist eine hochentwickelte Praxis im Yoga. Doch ist sie für jeden und zu jeder Zeit sinnvoll? Mit diesem kurzen Selbsttest kannst du einschätzen, ob dein Geist bereit ist, sich auf diese subtile Form des inneren Forschens einzulassen.

So geht's: Beantworte die Fragen ehrlich und spontan. Am Ende erhältst du eine Einschätzung und eine Empfehlung für deinen nächsten Schritt.

1. Wie leicht fällt es dir, Gedanken im Geist kommen und gehen zu lassen, ohne ihnen zu folgen?





2. Wie sieht deine Meditationspraxis aktuell aus?





3. Wie reagierst du auf innere Unruhe oder Reizüberflutung?





4. Kannst du dich länger auf ein inneres Objekt (z. B. Atem, Mantra, Lichtpunkt) konzentrieren?





5. Wie gehst du mit spirituellen Erfahrungen um?





6. Hast du das Gefühl, dass deine spirituelle Praxis dich transformiert?





7. Wie reagierst du auf Stille?





R. Palm (S. 174) schreibt zu dieser Sutra: “Aus der Gesamtausrichtung [gemeint ist Samyama] auf die vollkommene Verschiedenheit von Materie und Geist …”

Samyama, der Dreiklang aus Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (Überbewusstsein) auf ein Meditationsobjekt ist das Mittel der Wahl für den Yogi, um die in Kapitel III des Yogasutra besprochenen Siddhis auszuüben. In diesem Fall richten wir Samyama auf die Interessen unseres Höheren Selbst, wie auch schon in der Sutra zuvor.

Üblicherweise gelingt tiefe Versenkung bei voller Bewusstheit am besten mit tiefer Meditation. Es soll auch mit Yoga Nidra funktionieren, wenn du die darin enthaltenen Schritte mit Konzentration ohne einzuschlafen durchführen kannst. Zu beiden Techniken findest du Anleitung (& Downloads) auf Yoga-Welten.de:

Beitrag: Meditation lernen

Meditation lernen

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Meditation lernen – die grundlegende Anleitung aus dem Buddhismus

Der Begriff Meditation hat viele Facetten. Das Spektrum reicht vom Nachsinnen über ein Thema (vornehmliche Betrachtungsweise der Philosophen) bis zur völligen Gedankenstille. Im Folgenden findest du eine konkrete Anleitung der Schritte, welcher der Buddha himself seinen Schülern zum Lernen einer tiefen Meditation gegeben hat. Sicherlich nicht die schlechteste Herangehensweise, wenn du persönliche Entwicklung oder gar Erleuchtung zum Ziel deiner Meditationsreise auserkoren hast.

Am Ende findest du eine Merkkarte zum Ausdruck – z. B. für das Portemonnaie.

Hier weiterlesen: Meditation lernen

Beitrag: Yoga Nidra

Yoga Nidra

Einzelner Baum im Feld, tiefe Wolken

Yoga Nidra | Anleitung, MP3, Text und Variationen

Willkommen zu der Entspannungstechnik des Yogas: Yoga Nidra. Die yogische Tiefenentspannung, auch "yogischer Schlaf" genannt, ist eine Tiefenentspannungsübung der tantrischen Yoga-Lehre. Ihr Ursprung liegt in weit entfernten Zeiten.

Yoga Nidra führt in tiefe Entspannungszustände, die mit einiger Übung bei vollem Bewusstsein erfahren werden können. Zusätzlich besteht über einen sogenannten Sankalpa die Möglichkeit, Persönlichkeitsentwicklung tief ins Unbewusste einzuprägen.

Hier findest du Yoga Nidra erläutert und dazu eine einfache Anleitung, einen Gratis-MP3-Download, den Text zum Ausdrucken und viele Varianten für fortgeschrittenes Üben, auch als Videos.

Hier weiterlesen: Yoga Nidra

Sukadev verweist bei der Besprechung dieser Sutra noch auf den Hinweis von Swami Vishnu zum “Gesetz der Entsagung”. Dieses kosmische Gesetz besage, dass, wenn wir einer Sache wirklich entsagen, nicht aus egoistischen Motiven heraus oder nur für kurze Zeit, sondern weil wir von ganzem Herzen den Interessen eines Höheren folgen wollen, dann käme “alles im Überfluß auf uns zu”. Dinge, die wir brauchen, Siddhis, Intuition usw.

Doch Vorsicht: Auch dieses intuitive Gespür, das feinstoffliche Wahrnehmungsvermögen, kann täuschen. Darum gelte es weiterhin, stets auch das Licht der Unterscheidungskraft (Viveka) auf diese Sinneswahrnehmungen zu richten.

Interaktive Zeitleiste: Pfad zu Samyama und den Siddhis

Diese Zeitleiste zeigt dir die Stufen des Yogawegs, die nötig sind, um in den Zustand von Samyama zu kommen – und wie daraus Siddhis (verfeinerte Sinneswahrnehmungen) spontan entstehen können.

🪷 Yama & Niyama

Ethische Grundlagen & Selbstdisziplin: z. B. Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Reinheit. Sie bereiten deinen Geist auf Tiefe und Klarheit vor.

🧘 Asana

Stabiler, bequemer Sitz. Der Körper wird still, der Atem ruhig – beides ist nötig für längere innere Versenkung.

🌬️ Pranayama

Atemkontrolle als Brücke zur inneren Wahrnehmung, Pantanjali empfiehlt, Ausatmung und Einatmung und Anhalten zu verlängern und zu verfeinern. Dieses Pranayama beruhigt das Nervensystem und bereitet den Geist auf Fokus vor.

👁️ Pratyahara

Zurückziehen der Sinne. Der Blick geht nach innen. Die Außenwelt verliert an Bedeutung. Jetzt beginnt echte Sammlung.

🎯 Dharana

Konzentration auf ein Objekt (z. B. Licht, Atem, Mantra). Der Geist bleibt bei einem Punkt – erste Form von Meditation.

🧘‍♀️ Dhyana

Meditation. Der Fokus wird fließend, mühelos. Es gibt keine Unterbrechungen mehr – reines Verweilen im Beobachteten.

🌌 Samadhi

Verschmelzen mit dem Objekt. Kein „Ich meditiere“ mehr – nur noch reines Sein. Dies ist der Eingang in tiefe Einsicht.

✨ Übergang zu Samyama

Wenn Dharana, Dhyana und Samadhi auf dasselbe Objekt gerichtet sind – ohne Unterbrechung –, kann daraus Samyama entstehen. Dann ist der Geist hochfokussiert, durchlässig und empfänglich für tiefe, intuitive Erkenntnis.

🌟 Was entsteht daraus?

Spontan kann es geschehen, dass sich ein Siddhi zeigt, du z. B. feiner hörst, spürst, siehst – nicht mit den Sinnen, sondern von innen heraus. Denke immer daran: Siddhis sind kein Ziel, aber ein möglicher Meilenstein auf deinem Weg.

Wie du Yoga-Sutra 3.37 im Alltag leben kannst

Vielleicht hast du beim Lesen der Sutra gedacht: Klingt spannend – intuitives Hören, inneres Sehen, göttlicher Geschmack?! Aber wie bitte soll man das im Alltag üben, ohne gleich in eine Höhle zu ziehen oder sich von allem zurückzuziehen? Die gute Nachricht ist: Du kannst Samyama und die feinstoffliche Wahrnehmung auch im modernen Alltag kultivieren – Schritt für Schritt, ehrlich und bodenständig.

Hier sind konkrete Wege, wie das geht:

Richte deine Aufmerksamkeit auf dein „inneres Selbst“ – immer wieder

Das Herzstück dieser Sutra ist die Ausrichtung auf dein wahres Selbst – also auf das in dir, was unabhängig ist von Stress, Rollen, Gedanken oder Erwartungen. Das kannst du bewusst trainieren, und zwar z. B. so:

Alltagstipp: Wenn du einen Moment Ruhe hast (z. B. in der U-Bahn, im Park, morgens im Bett), richte deine Aufmerksamkeit nach innen. Frag dich:
„Was will gerade mein Innerstes?“
Nicht dein Verstand, nicht dein Bauch – sondern dieses stille, weite Etwas dahinter. Du wirst merken: Da kommt oft nicht gleich eine Antwort. Aber du wirst feiner im Spüren. Das ist der Anfang von Pratibha, dem intuitiven Erkennen.

Übe bewusste Sinnes-Zurücknahme (Pratyahara light)

Unsere Sinne sind ständig im Außen. Diese Sutra lädt ein, die Wahrnehmung nach innen zu wenden, um die subtileren Ebenen zu erfassen.

Alltagstipp: Mach mal kleine „Sinnes-Detox-Momente“.

  • Iss z. B. ein Stück Obst in absoluter Stille. Kein Handy, kein Podcast, keine Gespräche. Nur du und der Geschmack.
  • Oder setz dich am Abend mal 5 Minuten mit geschlossenen Augen hin und lausche – nicht auf Geräusche, sondern auf das, was in dir klingt. Vielleicht hörst du das Rauschen deines Atems, dein Herz oder sogar etwas, das nicht ganz „von außen“ kommt. Genau das ist der Raum, den die Sutra meint.

Mach Samyama im Kleinen – mit Fokus, Tiefe und Hingabe

Klar, Samyama klingt erstmal groß. Aber du kannst es auch im Alltag „üben“, indem du drei Dinge miteinander verbindest:

  • Dharana (Konzentration) – du wählst bewusst ein Thema oder inneres Bild
  • Dhyana (Meditation) – du bleibst ruhig und vertieft bei diesem Thema
  • Samadhi (Verschmelzung) – du gehst ganz darin auf, lässt das „Ich will was erreichen“-Denken los

Alltagstipp: Stell dir z. B. vor dem Einschlafen dein Herz als leuchtende Kugel vor. Konzentriere dich nur darauf (Dharana), bleib ein paar Minuten liebevoll bei dem Bild (Dhyana), und irgendwann merkst du: Du bist dieses Licht. Das ist Samadhi – kurz, aber echt.

Wenn du das regelmäßig übst – auch nur 5 Minuten am Tag – kann daraus Samyama auf das Selbst entstehen. Und das ist der Schlüssel zu den subtileren Wahrnehmungen, die in der Sutra beschrieben werden.

Spüre dem „feinen Sinn“ im Alltag nach

Die Sutra spricht von feinstofflichem Hören, Fühlen, Sehen etc. – also Wahrnehmung jenseits der fünf Sinne. Aber du musst nicht auf übersinnliche Visionen warten. Die Vorstufe davon begegnet dir schon im Kleinen:

Alltagstipp:

  • Wenn du einen Raum betrittst – spür mal, wie es sich anfühlt, nicht nur, was du siehst.
  • Wenn jemand mit dir spricht – achte auf das, was „zwischen den Worten“ liegt. Wie klingt die Stimme? Was nimmst du im Herzen wahr?
  • Wenn du meditierst – nimmst du manchmal einen subtilen Duft oder Klang wahr, der nicht erklärbar ist? Notier dir solche Momente, ganz ohne zu werten.

Das sind kleine Öffnungen, die zeigen: Dein inneres Wahrnehmungsfeld wird feiner. Das ist genau das, was durch Samyama gefördert wird.

Entsagung im Alltag = Auswahl statt Verzicht

Patanjali betont: Wer auf die Wünsche des wahren Selbst hört, lässt automatisch andere (oberflächlichere) Reize los. Das ist Entsagung – nicht aus Zwang, sondern aus Klarheit.

Alltagstipp:

  • Überleg beim Scrollen, ob das, was du gerade konsumierst, wirklich deinem inneren Frieden dient.
  • Sag öfter mal Nein zu Dingen, die dich ablenken, und Ja zu dem, was dich innerlich nährt – ein Spaziergang statt Netflix, Stille statt Smalltalk.
  • Gib Raum für das, was du im Innersten spürst, nicht nur für das, was „man“ halt so macht.

So entwickelst du Vairagya, diese stille Stärke, die dir hilft, dich innerlich auszurichten – ohne Druck, sondern mit Würde.

Fazit: Kleine Praxis – große Wirkung

Yoga-Sutra 3.37 musst du nicht mit Räucherstäbchen und Stille-Kloster feiern. Du kannst es jetzt schon leben, im Alltag, in kleinen, achtsamen Momenten.
Was es braucht, ist:

  • Neugier auf deine innere Welt
  • ein bisschen Disziplin, um regelmäßig nach innen zu gehen
  • und die Bereitschaft, feiner zu hören, zu fühlen, zu sehen – nicht mit den Augen, sondern mit dem Herzen.

Dann wirst du merken: Diese Sutra ist kein ferner Mythos. Sie ist eine Einladung, wieder ganz du selbst zu werden – wach, verbunden und voller Tiefe.

Vyasa über die verfeinerten Wahrnehmungen durch Pratibha

Erläuterungen zu Vyasa

Vyasa war ein indischer Philosoph des 5. bzw. 6. Jahrhunderts nach Christi, der den ältesten überlieferten Kommentar zum Yogasutra des Patanjali schrieb. Der Text wird Yogabhashya (wörtlich "Kommentar (Bhashya) zur Yogaphilosophie") genannt und um 600 nach Christi datiert. Vyasas Kommentare zu den Sutras sind oftmals recht kurz.

Ohne Vyasas Kommentar wären viele Sutras heute fast unverständlich. Manche Gelehrte sagen, der Text ist erst durch den Kommentar wirklich „lesbar“.

Vyāsa war vielleicht/wahrscheinlich kein einzelner Autor, sondern ein Titel, der mehrere Kommentatoren der indischen Tradition umfasst. Die Stimme, die wir im Yogasutra-Kommentar hören, ist also vielleicht ein Chor.

Vyasas Yogabhashya wurde im 8./9. Jh. von Shankara (788–820 n. Chr, indischer Gelehrter, Vedanta-Philosoph, Begründer der Advaitavedānta-Tradition) kommentiert. Sein Kommentar nennt sich Yogabhashyavivarana, Vivarana ist ein Unterkommentar.

Auch Vachaspati Mishra hat einen frühen, berühmten Kommentar zum Yogasutra geschrieben. (Meine Quellen für diese Kommentare waren unterschiedliche Bücher und Webseiten, zum Beispiel Legget (siehe Literatur) und wisdomlib.org/hinduism/book/yoga-sutras-with-commentaries/). Ich gebe hier diese Kommentare in für mich relevanten Auszügen in Worten wieder, die für mich den Sinn in heutigen Worten am besten wiedergeben. Dies ist explizit kein Bemühen, die Originalkommentare wortgetreu wiederzugeben. Fehlinterpretationen sind natürlich in meiner Verantwortung.

Du siehst etwas anders, hast einen Fehler gefunden oder möchtest etwas ergänzen? Bitte schreibe dies unten bei "Ergänzungen von dir".

Die Kommentare von Vyasa, Mishra und Shankara sind oft wörtlich übersetzt worden, zum Beispiel bei den oben angegebenen Quellen.

Vyasa, einer der bedeutendsten Kommentatoren der Yoga-Sutras, beschreibt in seiner Erläuterung zu Sutra III.37, welche inneren Wahrnehmungsfähigkeiten aus dem Zustand von Pratibha – einem intuitiven, überweltlichen Wissen – hervorgehen können. Die folgende Beschreibung wurde sinngemäß und in zeitgemäßer Sprache neu formuliert, um die tiefere Bedeutung seiner Aussagen besser verständlich zu machen.

🌟 Was ist Pratibha?

Pratibha wird in der Yogatradition als eine Form der inneren Erleuchtung verstanden – ein spontanes, intuitives Erkennen, das über das gewöhnliche Denken hinausgeht. Man könnte sagen: ein plötzliches Aufleuchten von Wissen, das nicht durch Nachdenken oder Analysieren entsteht, sondern aus der Tiefe des Seins hervorkommt.

Vyasa nennt dieses Wissen „überweltlich“, also nicht aus der materiellen Welt stammend, sondern aus einer tieferen, spirituellen Quelle des Bewusstseins.

🧠 Was zeigt sich durch Pratibha?

Vyasa erklärt, dass durch diese intuitive Erkenntnis besondere Wahrnehmungen entstehen können, die über das normale sinnliche Erleben hinausgehen. Er nennt diese Fähigkeiten:

Erkenntnisse über:

  • das Feinstoffliche – also subtile, nicht-materielle Ebenen der Wirklichkeit
  • das Abgefangene – möglicherweise verborgene oder innerlich aufgenommene Informationen
  • das Entfernte – also Dinge, die räumlich nicht anwesend sind
  • die Vergangenheit und Zukunft – Einsichten, die über den gegenwärtigen Moment hinausreichen

Diese Art des Wissens ist nicht spekulativ oder intellektuell, sondern kommt direkt aus der inneren Erfahrung.

👁️ Die verfeinerten Sinneswahrnehmungen laut Vyasa

Vyasa beschreibt auch, wie sich diese innere Erkenntniskraft konkret durch die fünf Sinne ausdrücken kann – allerdings nicht auf der körperlichen, sondern auf einer feinstofflichen, spirituellen Ebene. Es handelt sich also um Sinneserfahrungen ohne Beteiligung der physischen Sinnesorgane:

  • Hören: Das Wahrnehmen von göttlichen Klängen – z. B. innerlich vernommene, sehr subtile Laute oder Schwingungen (Nada)
  • Fühlen: Das Erspüren göttlicher Berührung – ein inneres Gefühl von Präsenz, Nähe oder Berührung ohne physischen Kontakt
  • Sehen: Das Erkennen himmlischer Farben oder Lichtphänomene, die nicht mit den Augen gesehen werden, sondern im inneren Bewusstsein erscheinen
  • Riechen: Das Wahrnehmen subtiler Düfte, wie z. B. ein plötzlich auftretender, angenehmer Geruch ohne erkennbare äußere Quelle
  • Schmecken: Das Erfahren göttlicher Geschmäcker, etwa ein Empfinden von Süße oder Nektar im Mund ohne tatsächliche Nahrungsaufnahme

Diese Wahrnehmungen treten – laut Vyasa – nicht einmalig auf, sondern können wiederholt oder sogar fortlaufend entstehen, wenn der Geist entsprechend verfeinert und gereinigt ist.

Auch andere Kommentatoren des Yogasutra betonen: Wenn du regelmäßig meditierst, deine Sinne nach innen lenkst und lernst, deinen Geist zu stabilisieren, können sich nach und nach feinere Wahrnehmungen einstellen – ganz ohne, dass du aktiv danach suchst. Wichtig dabei ist eine Haltung von offenem Gewahrsein und Nicht-Anhaftung: Diese Erfahrungen sind kein Ziel, sondern eher ein Zeichen dafür, dass sich dein Bewusstsein tiefer entfaltet.

Dabei gilt:

Je klarer, ruhiger und losgelöster dein Geist wird, desto eher kann sich dieses innere Licht – Pratibha – zeigen. 

Vacaspati Mishra, der Vyasa’s Kommentar im 9. Jahrhundert in seinem Werk Tattva-Vaiśāradī erläuterte, betont ebenfalls, dass diese Sinnesfähigkeiten spontan auftreten, sobald der Geist durch Samyama vollständig geklärt ist. In der traditionellen Auslegung handelt es sich bei den genannten Siddhis nicht um gewöhnliche Sinnesreize, sondern um direkte Wahrnehmungen des Geistes, die möglich werden, wenn das Bewusstsein unbegrenzt und nach innen gewandt ist.

Auch spätere Kommentatoren der prämodernen Zeit griffen dieses Thema auf. So beschreibt Hariharananda Aranya (ein Mönch und Gelehrter des 20. Jh.) in seinem Kommentar Yoga Philosophy of Patanjali, dass solche verfeinerten Wahrnehmungen erscheinen, „wenn die Ursache der mentalen Gebundenheit geschwächt ist und das innere Licht des Bewusstseins aufleuchtet“. Aranya interpretiert die Aufzählung der fünf Sinnes-Siddhis als Zeichen dafür, dass die Sinne des Yogis nun auf subtilerer Ebene funktionieren. Allerdings gibt er – ganz im Sinne Patanjalis – zu bedenken, dass diese Fähigkeiten nur in einem gewöhnlichen Bewusstseinszustand als Gewinn gelten. In tiefster Versenkung (Samadhi) selbst sind sie eher Ablenkungen. Dieser doppelte Aspekt taucht bereits im klassischen Kanon auf: Die alten Meister erkannten die Siddhis einerseits als Meilensteine der meditativen Entwicklung, warnten aber andererseits davor, auf ihnen hängenzubleiben.

🧘‍♂️ Praktische Hinweise zur Erlangung dieser Fähigkeiten

1. Entwicklung von Samyama:
Swami Hariharananda Aranya legt großen Wert auf die schrittweise Entwicklung von Samyama, das wie geschildert aus Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (tiefe Versenkung) besteht. Er empfiehlt, diese Zustände systematisch zu üben, um die geistige Klarheit und Stabilität zu fördern, die notwendig sind, um subtile Wahrnehmungen zu entwickeln.

2. Unterscheidungskraft (Viveka):
Ein zentrales Thema in seinen Lehren ist die Entwicklung von Viveka, der Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen dem Selbst (Purusha) und dem Nicht-Selbst (Prakriti). Durch diese Unterscheidung kann der Praktizierende erkennen, dass die Siddhis lediglich Phänomene der materiellen Welt sind und nicht mit dem wahren Selbst verwechselt werden sollten.

3. Nicht-Anhaftung (Vairagya):
Swami Hariharananda Aranya warnt davor, sich an die entstehenden Siddhis zu klammern oder sie als Ziel der Praxis zu betrachten. Er betont die Bedeutung von Vairagya, der Nicht-Anhaftung, um nicht vom Weg zur endgültigen Befreiung abgelenkt zu werden.

4. Kontinuierliche Praxis (Abhyasa):
Er unterstreicht die Notwendigkeit einer kontinuierlichen und disziplinierten Praxis, um Fortschritte auf dem spirituellen Weg zu machen. Nur durch regelmäßiges Üben können die tiefen Zustände des Bewusstseins erreicht werden, die zur Entfaltung der Siddhis führen.

Für eine vertiefte Auseinandersetzung mit den Lehren von Swami Hariharananda Aranya empfiehlt sich sein Werk "Yoga Philosophy of Patanjali", das eine umfassende Kommentierung der Yoga-Sutras bietet.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Swami Hariharananda Aranya die Siddhis als natürliche, aber nebensächliche Ergebnisse einer tiefen meditativen Praxis betrachtet. Er ermutigt Praktizierende, sich nicht von diesen Phänomenen ablenken zu lassen, sondern den Fokus auf die letztendliche Befreiung und das Erkennen des wahren Selbst zu richten.

Der Samyama-Übungsgenerator (ein Übungsvorschlag zu Sutra III-37)

Was ist das?
Der Samyama-Übungsgenerator hilft dir, deine tägliche Praxis auf ein konkretes Thema auszurichten – z. B. Intuition, inneres Hören oder das wahre Selbst (Purusha). Du erhältst konkrete Vorschläge, wie du mit Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (Loslassen) üben kannst – jeweils mit vorbereitenden Übungen wie Pranayama, Mantra oder Tratak.

So nutzt du das Tool: Beantworte ein paar Fragen, um eine individuelle Praxisempfehlung für Samyama zu erhalten – inklusive Vorbereitung, Meditationstext und Fokus.











Meine Erkenntnisse/Erfahrungen bei/mit dieser Übung

... oder kannst du eine andere Übung zum besseren Verständnis bzw. zum Erfahren dieser Sutra ergänzen?

 

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🔬Neurowissenschaftliche Perspektiven auf Meditation und Wahrnehmung

Die Verbindung zwischen den traditionellen yogischen Siddhis – wie sie in Patanjalis Yoga-Sutra III.37 beschrieben werden – und modernen neurowissenschaftlichen Erkenntnissen ist faszinierend. Während Siddhis als subtile, intuitive Fähigkeiten gelten, zeigen aktuelle Studien, dass intensive Meditationspraxis tatsächlich zu messbaren Veränderungen in der Gehirnaktivität und -struktur führen kann.

  • Dr. Richard Davidson, Neurowissenschaftler an der University of Wisconsin-Madison, hat in seinen Forschungen festgestellt, dass langjährige Meditationspraxis die Aktivität in bestimmten Hirnregionen verändert, die mit Aufmerksamkeit und Entscheidungsfindung in Verbindung stehen. Diese Veränderungen könnten die Grundlage für die Entwicklung von Fähigkeiten wie intuitivem Hören oder Sehen sein, wie sie in den Siddhis beschrieben werden. Davidsons Forschung mit buddhistischen Mönchen ergab zudem, dass intensive Meditation zu einer erhöhten Gamma-Aktivität im Gehirn führt, die mit Zuständen tiefer Konzentration und Mitgefühl verbunden ist.
  • Prof. Judson Brewer von der Yale University untersuchte die Auswirkungen von Meditation auf das sogenannte Default Mode Network (DMN) des Gehirns, das mit selbstbezogenem Denken und Gedankenschweifen assoziiert ist. Er stellte fest, dass erfahrene Meditierende eine reduzierte Aktivität in diesem Netzwerk aufweisen, was zu einer erhöhten Präsenz und einem tieferen Bewusstsein führen kann – Zustände, die den Siddhis ähneln könnten. Eine Studie von Brewer et al. (2011) zeigte, dass erfahrene Meditierende eine veränderte Aktivität und Konnektivität im Default Mode Network aufweisen, was mit einer reduzierten Selbstbezogenheit und einem erhöhten Bewusstsein für den gegenwärtigen Moment einhergeht.

Diese neurowissenschaftlichen Erkenntnisse bieten eine moderne Perspektive auf die traditionellen Konzepte der Siddhis. Sie zeigen, dass durch regelmäßige und intensive Meditationspraxis tatsächlich tiefgreifende Veränderungen im Gehirn stattfinden können, die zu erweiterten Wahrnehmungen und einem tieferen Verständnis des Selbst führen – ganz im Sinne von Patanjalis Beschreibungen.

Siehe auch folgende Sutras

Yoga Sutra I-18: Ein weiterer Zustand des Samadhi - Virama Pratyaya - ist nach intensiver Übung erreicht, wenn alle geistigen Aktivitäten aufhören und nur (ein Rest) unmanifestierter Eindrücke im Geist (eine Form der Leere) verbleiben

Hier weiterlesen


Yoga Sutra II-54: Pratyahara ist das Zurückziehen der Sinne auf das Innere, auf das Eigenwesen des Geistes, weg von den äußeren Objekten

Hier weiterlesen


Yoga Sutra II-55: Dadurch wird die Beherrschung der Sinne gemeistert

Hier weiterlesen


Yoga Sutra III-14: Frühere (śānta), momentane (udita) und zukünftige (avyapadeśya) Eigenheiten bzw. Beschaffenheiten (dharma) eines Objektes basieren auf einem grundlegenden Eigenschaftsträger (dharmin)

Hier weiterlesen


Yoga Sutra III-50: Durch tiefgehendes Erkennen des Unterschiedes zwischen Sattwa (reine und lichtvolle Geist) und Purusha (dem wahren Selbst) erlangt der Yogi Allmacht (Oberhoheit über alle Wesen) und Allwissenheit

Hier weiterlesen


Yoga Sutra III-56: Wenn der Geist so rein (Sattva) wird wie das wahre Selbst (Seele, Purusha), erreicht der Yogi Befreiung (Kaivalya, Vollendung im Yoga)

Hier weiterlesen


Auch ähnliche Thematik:

Yoga Sutra III-26: Samyama auf die Quelle des inneren Lichts führt zu Wissen über Subtiles, Verborgenes und Fernes

Hier weiterlesen


Yoga Sutra III-34: Intuition führt zu Wissen von allem und jedem

Hier weiterlesen


Ergänzungen und Fragen von dir zur Sutra

Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?

Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:

 

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Videos zu Sutra III-37

Hellhören, Hellfühlen, Hellsehen, Hellschmecken, Hellriechen – Kommentar von Sukadev zu Yoga Sutra - Kap. 3, Vers 37

Länge: 9 Minuten

Youtube-Video

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Anvita Dixit: Ihr Kommentar zu dieser Sutra (bei ihr Sutra 3.36): Die Auswirkungen von Wissen über Purusha

Länge: 9 Minuten

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Video von Ahnand Krishna zur Sutra

Kräfte von Samyama, Class 59: Asha Nayaswami zu Sutra 3:37-39

Länge: 75 Minuten

Youtube-Video

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Geschrieben von

Peter Bödeker
Peter Bödeker

Peter hat Volkswirtschaftslehre studiert und arbeitet seit seinem Berufseinstieg im Bereich Internet und Publizistik. Nach seiner Tätigkeit im Agenturbereich und im Finanzsektor ist er seit 2002 selbständig als Autor und Betreiber von Internetseiten. Als Vater von drei Kindern treibt er in seiner Freizeit gerne Sport, meditiert und geht seiner Leidenschaft für spannende Bücher und ebensolche Filme nach. Zum Yoga hat in seiner Studienzeit in Hamburg gefunden, seine ersten Lehrer waren Hubi und Clive Sheridan.

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