hand feder 250tad-vairâgyâd api doæa-bîja-kæaye kaivalyam
तद्वैराग्यादपि दोषबीजक्षये कैवल्यम्

Da hat der Yogi In Yogasutra III-50 Allmacht und Allwissenheit gewonnen ... und muss sich von diesen in Yogasutra III-51 schon wieder lösen. Sonst geht es nicht weiter. 

Was bleibt übrig, wenn selbst das Licht des Geistes losgelassen wird? Dieses Sutra aus Patanjalis drittem Kapitel konfrontiert mit einer unbequemen, stillen Wahrheit: Auch das Gute kann binden. Wer sich ernsthaft mit Yogaphilosophie befasst, steht irgendwann vor genau dieser Schwelle – der letzten, innerlichsten Form von Verstrickung. Der folgende Text untersucht das Thema anhand der klassischen Kommentare und alltagstauglicher Umsetzungsvorschläge.

Kurz zusammengefasst

  • Nichtverhaftetsein (Vairagya):
    Das zentrale Motiv in Sutra III.51 ist das Loslassen – selbst von Tugend, Wissen und spirituellen Kräften. Nur wer wirklich nichts mehr festhält, erreicht Befreiung.
  • Purusha und Sattva:
    Vyasa erklärt: Selbst das edelste Licht (Sattva) ist nicht der Purusha. Wer das durchschaut, erkennt, dass wahres Selbst jenseits aller Eigenschaften liegt.
  • Siddhis als Prüfstein:
    Übernatürliche Fähigkeiten sind kein Zeichen von Befreiung – sondern eine letzte große Versuchung. Wer daran haftet, bleibt gebunden.
  • Der letzte Samen des Leidens (Doṣa-Bīja):
    Nur wenn dieser subtilste Eindruck im Geist vollständig ausbrennt, endet die Wiederkehr des Leidens.
  • Kaivalya (absolute Unabhängigkeit):
    Kaivalya ist nicht nur Befreiung vom Leid – es ist der endgültige Zustand, in dem sich das Bewusstsein von der Natur vollständig löst.
  • Praxisbezug im Alltag:
    Die Sutra lässt sich auch im Alltag üben: etwa durch Selbstbeobachtung bei Lob, Kritik oder spirituellen Erfolgen – und durch bewusste Gelassenheit im Erleben.
  • Samyama in der Meditation:
    Der Dreischritt aus Dharana, Dhyana und Samadhi auf das Thema "Nichtverhaftetsein" führt zur tiefen Einsicht und geistigen Entkopplung.

Details und Erläuterungen zu allen Punkten im weiteren Artikel.

Bedeutung und Übersetzung des verwendeten Sanskrits

Hier sind zunächst die Übersetzungsmöglichkeiten für die einzelnen Wörter, damit du die Übersetzung selbst für ein besseres Verständnis anpassen kannst:

  • Tad = an sie; dies; auf diese Weise; dessen (diese Fähigkeiten);
  • Vairagya, vairāgya = Verhaftungslosigkeit; Gelassenheit; Nichtanhaften; Losgelöstheit; Gleichmut dazu; durch Loslösen;
  • Tad-Vairagyat, Tad–vairâgyât = durch Nichtanhaften (an den in Vers 50 erwähnten Siddhis bzw. sattviges Leben);
  • Api = sogar; auch; erst dann;
  • Dosha, doṣa = Bindung; Unreinheit; Unausgeglichenheit; Dysbalancen; Makel; Behinderung; Nachteil; Fehlen; Mangel; Hindernis;
  • Bija, bîja = Samen; Grundlage; Quelle; Wurzel; Keim;
  • Kshaye, kṣaya = (bei, mit der) Zerstörung; Verlust; Untergang; Rückgang;
  • Kaivalyam, kaivalya = Befreiung; Erleuchtung; Emanzipation; Isolation von reinem Gewahrsein; erhabene Auflösung des Egos; Alleinsein; (absolute) Freiheit; Lösung aus allen Bindungen; All-Eins-Sein; Glückseligkeit; Kaivalya wird von Patanjali in II.25 definiert;
  • Samyama, samyamah, saṁyamā = Ausdruck für die Triade Dharana, Dhyana und Samadhi; Selbstbeherrschung; Abfolge von Dharana, Dhyana und Samadi;
  • Samyamât = durch Übung von Samyama;
  • Jnana, jñāna, jnânam = Wissen; Verständnis; Erkenntnis;

Übersetzungsvarianten und -hinweise (Quellen)

Hervorhebungen weisen auf Besonderheiten der jeweiligen Übersetzung hin. Übertragungen aus dem Englischen sind Eigenübersetzungen.

  • Roots: „Wenn der Keim aller Fehler durch mangelnde Bindung an diese Wahrnehmung zerstört wird ...“
  • Sukadev: „... Nichtanhaftung sogar an ... Allmacht ... Allwissenheit ... erlangt man Befreiung.“
  • Deshpande/Bäumer: „Durch Verzicht selbst auf diese Vollkommenheit werden alle Keime der Unreinheit zerstört ...  völlige Freiheit (kaivalyam).“
  • Dr. R. Steiner: „Durch Verhaftungslosigkeit (Vairagya) sogar an diese Allwissenheit ...“
  • Coster: „-“
  • Feuerstein: „Durch Nichtanhaftung selbst an diese [Souveränität] wird der Same zu jedem Anhaften eliminiert ...“
  • Paul Deussen (1908): „Aus dem Nichtmehrhängen auch an diesen erfolgt, indem der Same der Sünde zunichte geworden ist, Absolutheit."
  • R. Palm: „Aus der Loslösung sogar von diesen [Fähigkeiten] ... entsteht vollkommene Unabhängigkeit.“
  • R. Sriram: „Auch gegenüber diesen Fähigkeiten ist Vairaya [Gleichmut] nötig; ... dann gehen die Kleshas [die störenden Kräfte] so weit zurück ....“
  • Govindan: „Durch Loslösung selbst von [den siddhis der Allwissenheit und Allmacht] erlangt man ...“
  • Iyengar: „Durch den Verzicht selbst auf diese Kräfte wird die Saat des Schlechten zerstört, und es kommt zur ewigen Befreiung.“
  • Chip Hartranft: „... verdorren die Samen des Leidens, und das reine Gewahrsein weiß, dass es allein steht.“
  • R. Skuban: „Löst sich der Yogi auch hiervon noch, … verschwinden … letzten Samen … erlangt Befreiung.“
  • T.K.V. Desikachar: „Wirkliche Freiheit, das höchste Ziel im Yoga, wird nur dann erreicht, wenn ...“
  • G. Pradīpaka: „Durch Entsagung (vairāgyāt) sogar (api) davon ... wenn es Zerstörung (kṣaye) der Samen (vīja) des Bösen (doṣa) gibt, wird Kaivalya ... (erfahren)“
  • 12koerbe.de (dort: 50): „... Entsagung noch bei Sünden-Keim-Tilgung ...“
  • Hariharananda Aranya: „... kommt sogar die Befreiung aufgrund der Zerstörung der Saat des Bösen.“
  • I. K. Taimni: „... auf die Zerstörung der Saat der Knechtschaft, folgt Kaivalya.“
  • Vyasa Houston: „Durch vairagya - Nichtanhaftung sogar an dieses (Erhabenheit und Allwissenheit) ... folgt kaivalya - die Einsamkeit (der Kraft des Sehens - des Sehers).“
  • Barbara Miller: „Aus der Leidenschaftslosigkeit ... entsteht mit der Zerstörung der Samen der Sünde die Freiheit des Geistes.“
  • Swami Satchidananda: „... Der Same der Knechtschaft wird zerstört und so folgt Kailvalya (Unabhängigkeit).“
  • Swami Prabhavananda: „Indem man sogar diese Kräfte aufgibt, wird der Same des Bösen zerstört ...“
  • Swami Vivekananda: „... wird die Saat des Bösen zerstört ...“
  • Wim van den Dungen (buddhistischer Kommentar zum Yogasutra): „... mit dem Schwinden des Samens der Mängel, Einsamkeit.“
  • Rainbowbody: „Durch Nicht-Anhaftung (vairagyat) [an den Unterschied zwischen sattva und purusa] hören dann die Keimursachen (bija) von Krankheiten und Ungleichgewichten (dosa) auf (ksaye) ...”

Zu den Quellen

Buchbesprechungen, Erläuterungen zur Auswahl der Übersetzungsvarianten und allgemeine Hinweise zur Sutraübersetzung findest du im zugehörigen Artikel. Hier nun die Kurzauflistung:

Bücher

Internetseiten

Weitere Quellen, z. B. zu aktuellen Studien, sind direkt im Text verlinkt.

Dein Übersetzungsvorschlag

Du findest die bisherigen LeserInnen-Übersetzungen und -Ergänzungen unten.

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Wie würdest du diese Sutra übersetzen? Manchmal ergeben schon kleine Wortveränderungen ganz neue Aspekte. Trau dich ... :-)

 

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Einordnung dieser Sutra im Yogasutra

Samyama ist die Schlüsselübung im dritten Kapitel des Yogasutra zum Erreichen der geistigen Kräfte. In den Sutras III-1 bis III-7 erläutert Patanjali zunächst, was Samyama ist: die Kombination aus

  • Dharana (Konzentration),
  • Dhyana (Meditation) und
  • Samadhi (Überbewusstsein).

In Sutra III-8 ergänzt er dann, dass der Yogi zur Erlangung der Erleuchtung über Samyama hinausgehen muss.

In den Sutras III-9 bis III-15 geht es weiter mit Erläuterungen, welche Wandlung der Geist (Chitta) vollziehen muss, um Samyama bis zur Perfektion ausüben zu können. Aufeinander aufbauend sind das die Stadien

  1. Nirodha-Parinama (Wandel durch Sammlung, einfache Konzentration),
  2. Samadhi-Parinama (Wandlung durch länger andauernde Konzentration) und
  3. Ekagrata-Parinama (Wandel/Transformation durch vollkommene Versenkung auf einen Punkt/ein Thema). 

Der notwendige Wandel des Geistes erfolgt nach und nach, ist keine sprunghafte Entwicklung.

In den Sutras III-16 bis III-49 macht Patanjali eine ganze Reihe von Vorschlägen, worauf man Samyama lenken könnte und welche Folgen (Siddhis = Kräfte, besondere Erkenntnisse) sich jeweils daraus ergeben.

In Sutra III-50 erläutert Pantajali, wie ein Yogi Oberhoheit über alle Wesen (Allmacht) und Allwissenheit erlangt. Hier in Sutra III-51 fordert er nun vom Yogi, sich nicht an diese Kräfte zu binden, an ihnen nicht anzuhaften, wenn er zur letzten Befreiung (Kaivalya) weiterschreiten möchte.

Besondere Kräfte (Siddhis) mit Samyama erlangen

Besondere Kräfte (Siddhis) mit Samyama erlangen

Patanjalis Anleitungen zur Erlangung der Siddhis lauten generell, dass der Praktizierende Samyama gezielt auf ein Meditationsobjekt anwendet. Samyama ist die Verbindung aus anhaltender Konzentration, Meditation und schlussendlich Samadhi (Überbewusstsein) auf ein Objekt der Meditation. Skuban sieht den Vorgang von Samyama als “mentales Eindringen in ein Objekt, das den Übenden schließlich zu den feinstofflichsten Bereichen des Seins führt.” Dadurch werden die drei Eigenschaften (siehe Sutra III-13) eines Objektes voll erkannt. So wird das Objekt voll verstanden und über die Gunas auch beherrschbar. Alle Objekte sind nämlich laut Yogalehre Erscheinungsformen der drei Gunas, auch das Bewusstsein des Menschen. Der Yogi diszipliniert sein Bewusstsein und kann über bzw. in Samyama die Gunas auch außerhalb seines Bewusstseins beeinflussen oder verändern. So erklären sich gemäß Yogalehre die Siddhis. 

Vibhutis, der andere Name für die Siddhis, bedeutet wörtlich weg (vi) von den Elementen (bhutas) und steht damit laut einiger Kommentatoren auch für die Abwendung von der Identifikation mit den materiellen Grundlagen unseres Lebens, yogisch: Prakriti. Hin zur Erkenntnis unserer wahren Natur: Purusha.

Die Sutras III-16 bis III-49  nennen die Objekte, auf die ein Yogi seine Samyama-Konzentration legen sollte, um besondere Kräfte zu entfalten. Iyengar betont jedoch, dass diese Siddhis sich erst bei weit fortgeschrittenen Yoga-SchülerInnen zeigen.

Ergänzend: Lange Pranayama-Praxis soll spontane Siddhis triggern können. Gerade Wechselatmung über Monate hinweg wird in manchen Berichten als „geistöffnend“ beschrieben – mit plötzlichen Hörerlebnissen oder Visionen.

Was ist Samyama?

Was ist Samyama?

Samyama besteht aus drei Stufen: Dharana (Konzentration), Dhyana (Meditation) und Samadhi (Überbewusstsein). Nur die erste Stufe von Samyama, die Konzentration auf ein Objekt, lässt sich willentlich steuern. Die darauf aufbauenden Geisteszustände Dhyana (Meditation) und Samadhi (Überbewusstsein) müssen sich laut der meisten Kommentatoren des Yogasutras von alleine einstellen und werden durch lang anhaltende Konzentration und Beseitigung der Geisteshindernisse erlangt. Feuerstein bezeichnet Samyama als 'Bündelung' von Konzentration, Meditation und Samadhi. Du findest Samyama ausführlicher in den ersten Sutras des dritten Kapitels des Yogasutra hier auf yoga-welten.de besprochen. Siehe vor allem:

Yoga Sutra III-4: Die drei (Dhahrana, Dhyana, Samadhi) zusammen auf ein Objekt oder einen Ort angewendet wird Samyama genannt

Zur Sutra


Yoga Sutra III-5: Aus der Meisterung von Samyama entsteht vollkommenes Wissen über das Wahrgenommene

Zur Sutra


Yoga Sutra III-6: Der Fortschritt im Samyama erfolgt in Stufen

Zur Sutra


Voraussetzungen und Umgang mit den Siddhis

Empfehlungen zu Voraussetzungen und zum Umgang mit den Siddhis

Viele Kommentatoren empfehlen, mit den Siddhis sehr bewusst umzugehen. Folgendes wird oft geraten:

Wer sich den Siddhis zuwendet, sollte die Yamas und Niyamas in seinem Leben verwirklicht haben. Diese sind:

Die Yamas – Selbstkontrolle

  • Ahimsa – Gewaltlosigkeit
  • Satya – Wahrhaftigkeit
  • Asteya – Nicht-Stehlen
  • Brahmacharya – Wandel in Brahma / Selbstbeherrschung / Enthaltsamkeit
  • Aparigraha – Nicht-Greifen, Verzicht auf Gier

Niyamas – Verhaltensregeln

  • Saucha – Reinheit
  • Santosha – Zufriedenheit
  • Tapas – Selbstzucht
  • Svadhyaya – Selbststudium (Studium)
  • Ishvarapranidhana – Verehrung des Göttlichen

Siehe dazu die Erläuterungen in "Yamas und Niyamas im täglichen Leben".

Siddhis sollten nicht zum Vergnügen, zur Selbsterhöhung oder anderen ungünstigen, egoistischen Zielen angewendet werden. Vielmehr zeigen die Siddhis (so Iyengar und andere), dass die Yogapraxis “richtig angelegt” sei.

Selbstverständlich sollte man Siddhis auch nicht dazu nutzen, um jemand anderen damit zu schaden.

Stattdessen wird eher ein “Nicht-Beachten” der Siddhis angeraten, wenn diese sich denn zeigen sollten. Iyengar schreibt, (S. 244), die Übungen bei Auftreten der Siddhis mit Glauben und Begeisterung weiterzuentwickeln, die Siddhis aber mit völligem Gleichmut zu betrachten.

Dem Yogi wird also geraten, sich nicht auf die Siddhis einzulassen, sich nicht von ihnen “mitreissen zu lassen”, um sie nicht für eigenen selbstsüchtige Bedürfnisse zu verwenden, woraus späteres Leiden folgen würde. Stattdessen solle er/sie weiter auf dem Pfad der Befreiung zu wandeln und die Siddhis eher als Prüfung ansehen, ob man nicht doch noch - trotz fortgeschrittener yogischer Entwicklung - den Verlockungen der Dualität und des Ego-Daseins nachgibt.

Swami Sivananda sagt über Siddhis:

„Yoga ist nicht dazu da, Siddhis, Kräfte, zu erlangen. Wenn ein Yogaschüler die Versuchung verspürt, Siddhis zu erlangen, wird sein weiterer Fortschritt ernsthaft verzögert. Er hat den Weg verloren. Ein Yogi, der darauf konzentriert ist, höchsten Samadhi zu erreichen, muss Siddhis zurückweisen, wo auch immer sie auftauchen. Siddhis sind Einladungen von Devatas. Nur wenn man diese Siddhis zurückweisen kann, kann man Erfolg im Yoga erlangen.“

Im tibetischen Buddhismus werden vergleichbare Fähigkeiten „Shes-rab“ genannt. Auch dort: klare Intuition, inneres Sehen, spontane Einsicht – aber nie als Ziel, sondern als Prüfstein für Demut.

Missverständnisse rund um Siddhis

Die Aussicht auf übernatürliche Kräfte fasziniert viele – und genau darin liegen einige häufige Missverständnisse begründet. Ein Irrglaube besteht darin, dass Yoga hauptsächlich dazu diene, solche Siddhis zu erlangen. Tatsächlich betont die Tradition jedoch, dass Siddhis eher Nebenprodukte auf dem spirituellen Weg sind, nicht sein Zweck. Patanjali selbst stellt im unmittelbar folgenden Sutra klar, dass diese Fähigkeiten für einen im Samadhi befindlichen Geist Upasarga – also Störungen oder Ablenkungen – darstellen, auch wenn sie in einem nach außen gewandten Bewusstseinszustand als außergewöhnliche Errungenschaften erscheinen mögen. Yogameister wie Vyasa und später Vivekananda haben daher immer wieder gemahnt, die Siddhis nicht zu überschätzen: Sie seien wie Blüten am Wegesrand – schön und bemerkenswert, aber man sollte nicht vom Weg abkommen, um nur noch Blumen zu pflücken.

Ein weiteres Missverständnis liegt darin, jede ungewöhnliche innere Wahrnehmung sofort für eine echte siddhische Fähigkeit zu halten. Insbesondere wenn Übende beginnen, sich intensiv mit Meditation zu beschäftigen, können imaginäre Bilder, Lichterscheinungen oder akustische Phänomene auftauchen. Die Yoga-Tradition fordert hier Viveka, das unterscheidende Erkenntnisvermögen: Handelt es sich wirklich um eine valide intuitive Einsicht (Pratibha) oder nur um eine Wunschprojektion des Geistes? Echte spirituelle Intuition wird traditionell durch bestimmte Qualitäten kenntlich gemacht – sie geht einher mit tiefer innerer Stille, Klarheit und Gewissheit, ohne Aufregung oder Ego-Stolz. Hingegen sind halluzinatorische Erlebnisse oder irrige „Eingebungen“ oft dramatisch, emotional aufgeladen oder selbstbezogen. Es ist ein bekanntes Risiko, dass ein Yogi, der sich zu früh auf Siddhis fokussiert, Opfer von Täuschungen werden kann. Beispielsweise könnte man glauben, die Gedanken anderer lesen zu können, während man in Wirklichkeit eigenen Fantasien nachhängt.

Schließlich gibt es das Missverständnis, Siddhis seien ein Zeichen von Erleuchtung oder spiritueller Vollendung. Historische Berichte zeigen jedoch, dass auch wenig ethische oder unreife Personen zeitweise paranormale Fähigkeiten aufweisen konnten – was nicht mit wahrer Heiligkeit gleichzusetzen ist. Im Yoga wird daher gelehrt, die Siddhis weder zu verteufeln noch zu vergötzen. Sie dürfen auftauchen, doch der richtige Umgang ist entscheidend: Ein reifer Yogi nimmt sie wahr, schenkt ihnen aber wenig Bedeutung und bleibt dem höheren Ziel, Kaivalya (der völligen Befreiung), verpflichtet. Missverständnisse klären sich letztlich durch Erfahrung und Anleitung: In der traditionellen Guru-Schüler-Beziehung wurden auftauchende Siddhi-Erlebnisse vertraulich besprochen, um sicherzustellen, dass der Schüler nicht in Fallen wie Egoismus oder Ablenkung tappt. So soll auch der moderne Übende verstehen, dass Wunder im Yoga-Kontext Prüfsteine der Haltung sind – sie verlangen nach noch mehr Demut, Vairagya und Konzentration auf den eigentlichen Weg.

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Der letzte Samen löst sich auf – Freiheit folgt

Yoga-Sutra 3.51 gehört zum Abschluss des Vibhuti-Pada (Kapitel der besonderen Kräfte). Es folgt unmittelbar auf Sutra 3.50, das dem Yogi übernatürliche Meisterschaften (Allmacht und Allwissenheit) verleiht. Patanjali mahnt hier: Selbst an diese Errungenschaften darf man sich nicht anhaften. Nur durch völlige Loslösung von allen Bindungen – also tad-vairāgyāt (wortwörtlich „durch Nichtanhaften an dies“) – fallen die letzten Samen des Leidens (Dosa-Bija) weg, und Kaivalya (Befreiung) wird realisiert. Damit betont das Sutra: Wahre Freiheit bedeutet, selbst die höchsten meditativen Erfahrungen als vergänglich zu erkennen und nicht an ihnen zu haften.

Schlüsselbegriffe

  • Vairagya (Nicht-Verhaftetsein) – Wunschlosigkeit oder Gelassenheit gegenüber allen Erfahrungen. Man identifiziert sich nicht mehr mit wechselnden Situationen oder Erkenntnissen. Vairagya bezeichnet genau diesen Geist des Loslösens: Jeder Anhaftung (an Begehren, Wissen oder Kräfte) wird abgelegt.
  • Purusha – Das reine, ewige Bewusstsein bzw. Selbst. Patanjali sieht Purusha als Satchitananda, „Sein, Wissen, Glückseligkeit“. In diesem Selbst-Erfahrungszustand liegen Allwissenheit und Allmacht naturgemäß. Das Sutra erinnert daran, auch in dieser höchsten Stufe nicht anzuhaften: „Dann erfährst du dich selbst als unendlich … als allwissend und allmächtig. Von daher löse dich aus allen Verhaftungen.“
  • Dosa (Unreinheit) – Leidenschaft, Affektion oder Fehlerhaftigkeit, die dem Ego-Bewusstsein entspringt. „Unwissenheit“ (Avidya) ist der allererste Dosa (Verblendung), aus der alle weiteren Folgen (Raga, Dvesha etc.) erwachsen.
  • Bīja (Samen) – Der „Keim“ oder Ursprung. Im Kontext von 3.51 bezieht sich doṣa-bīja vermutlich auf den letzten Keim des Leidens/Unwissens, der in Form feiner Eindrücke (Samskaras) im Geist fortbesteht. Dieser Same muss zerstört werden, damit nichts mehr bleibt.
  • Siddhis (übersinnliche Kräfte) – In diesem Kapitel bezeichnet Siddhis alle erlangbaren Yogakräfte (z. B. Gedankenlesen, Levitation). Patanjali warnt, sich nicht an solche Kräfte zu binden. Auch an die Siddhis, an die übernatürlichen Kräfte, solltest du keine Verhaftung und keine Identifikation haben. Selbst wenn du über jede Macht verfügst, darf das Selbst nicht zum Subjekt eines Aufmerksamkeits-Spiels werden.
  • Kaivalya (Befreiung) – Die höchste Freiheit und Loslösung von allem Leid und allen Identifikationen. Kaivalya wird im Yoga-Sutra als endliches Ziel beschrieben – oft gleichgesetzt mit Asamprajnata Samadhi oder Erlösung. Hier bedeutet Kaivalya, gänzlich unabhängig zu sein, frei von jeder Bindung.

Traditionelle Kommentare und Deutungen

Klassische Ausleger führen den Gedanken weiter: Die Erringung von Siddhis ist erst ein Zwischenziel. Patanjali selbst stellt klar, dass diese selbst zu Hindernissen werden können.

Wenn der Yogi auf der Zielgeraden seines Laufes zu Moksha, der absoluten Freiheit, nicht an der in Sutra III-50 besprochenen Allmacht und Allwissenheit hängen bleibt, ihr nicht mit Anhaftung begegnet, dann erlangt sie/er das Ziel.

Iyengar (S. 271):

“Wenn der Yogi den übernatürlichen Kräften entsagt, erlangt er ewige Freiheit.”

Sukadev rät ebenfalls, dass, wer Verhaftungen wie Ruhm, Erleuchtungserlebnisse oder übernatürliche Kräfte verspürt, sie wieder loslassen sollte – nur so entfaltet sich endgültiges Bewusstsein. Er ergänzt, dass mit dieser Sutra das Yogasutra eigentlich zu Ende sein könnte.

Im Yoga Sutra 1.4 wurde bereits gewarnt: „Vṛtti-sārūpyam itaratra“ – außerhalb des wahren Selbst identifiziert sich der Geist mit seinen Bewegungen:

Yoga Sutra I-4: In den anderen geistigen Zuständen - mit Vrittis - identifiziert sich der Wahrnehmende mit den Bewegungen im Geist

Zur Sutra


Meint: Haftet die Yogini oder der Yogi an eventuell sich zeigenden Siddhis an, ist sie/er ebenfalls mitten in der Identifikation mit dem Ego. Das Erreichen von Kaivalya erfordert, darüber hinauszugehen.

Anhaftung, Illusion und Befreiung

Kommentatoren mahnen oft, dass wir „im Netz der Illusionen“ gefangen bleiben, solange wir Allmacht oder Allwissenheit noch als persönliche Errungenschaft betrachten. Selbst höchste Gotteserfahrung könne eine Falle sein, wenn das Ego sich damit schmückt. Diese Sutra sagt deutlich: Erst wenn man wirklich keinerlei Anhaftung mehr kennt, ist der letzte Samen des Leidens ausgelöscht und die Sat-Chit-Ananda-Natur des Purusha voll bewusst erfahrbar.

Vairagya, Loslassen, ist dafür die wesentliche Übung des Yoga:

Yoga Sutra I-12: Die bewusste Kontrolle der Bewegungen im Geist wird durch Übung und Verhaftungslosigkeit erlangt

Zur Sutra


Yoga Sutra I-13: Übung ist die ständige Bemühung, die Beruhigung der Bewegungen im Geist fest zu begründen

Zur Sutra


Yoga Sutra I-14: Die Übung bewirkt dauerhaften Erfolg, wenn sie über lange Zeit hinweg ohne Unterbrechung und mit Hingabe durchgeführt wird

Zur Sutra


Yoga Sutra I-15: Verhaftungslosigkeit ist erreicht, wenn das Verlangen nach sichtbaren und unsichtbaren Dingen erloschen ist

Zur Sutra


Vairagya (Loslassen, Nicht-Anhaften) bewirkt die endgültige Befreiung, sobald wir die Fähigkeit in Viveka (Fähigkeit zur Unterscheidung) erlangt haben, zu erkennen, was es ist, das endgültig befreit werden muss. Selbst das Bewusstsein, etwas loszulassen, wird durch Viveka gefördert. Viveka und Vairagya werden als "synergetische Partner" gesehen. Siehe auch:

Yoga Sutra I-16: Das Nichtbegehren nach den Elementen der Erscheinungswelt führt zur Wahrnehmung des wahren Menschen, des Purushas - die höchste Form der Verhaftungslosigkeit

Zur Sutra


Yoga Sutra I-18: Ein weiterer Zustand des Samadhi - Virama Pratyaya - ist nach intensiver Übung erreicht, wenn alle geistigen Aktivitäten aufhören und nur (ein Rest) unmanifestierter Eindrücke im Geist (eine Form der Leere) verbleiben

Zur Sutra


Yoga Sutra III-47: Vollkommenheit des Körpers zeigt sich in Schönheit, Anmut, Kraft und Festigkeit wie Diamant

Zur Sutra


Yoga Sutra III-48: Samyama auf den Wahrnehmungsprozess der Sinnesorgane, ihre Eigennatur, ihre Verbindung zu unserem Ego, ihre Wechselwirkung untereinander und ihren Zweck führt zum Sieg über die Sinne

Zur Sutra


Yoga Sutra III-49: Daraus [aus der Beherrschung der Sinne] folgt die Schnelligkeit des Geistes, Wahrnehmung unabhängig von den körperlichen Sinnesorganen und Beherrschung/Meisterschaft der Urnatur

Zur Sutra


Yoga Sutra III-52: Wenn himmliche Wesen ihn einladen, soll der Yogi weder Freude noch Stolz darüber empfinden, da es dadurch erneut zu ungewollter Anhaftung kommt

Zur Sutra


Yoga Sutra III-53: Durch Samyama auf den Augenblick und die Abfolge von Augenblicken erlangt der Yogi jenes Wissen, das auf der so gewonnenen Unterscheidungskraft beruht

Zur Sutra


Yoga Sutra III-54: Diese gesteigerte Unterscheidungskraft befähigt den Yogi, Unterschiede zwischen zwei ähnlichen Dingen zu erkennen, auch wenn diese sich nicht durch Art, Merkmale oder Ort unterscheiden

Zur Sutra


Yoga Sutra III-55: Das Wissen der höchsten Unterscheidungskraft befähigt den Yogi, alle Dinge in Raum und Zeit gleichzeitig ganzheitlich in voller Transzendenz zu erfassen

Zur Sutra


Wissen transzendieren

Rainbowbody schreibt dazu: „ … dass man viveka transzendieren muss, um absolute Befreiung (kaivalyam) zu verwirklichen, indem man den reinen Einheitszustand (suddhi-samye) von sattva-purushayoh (die tiefe ungezwungene Verbindung von absolutem Sein und absolutem Bewusstsein) in Sat-Chit-Ananda verwirklicht.” 

Welche Anhaftung kennst du?

Welche Form subtiler Anhaftung kennst du von dir selbst?

 

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Ohne Anhaftung zur Befreiung – Kaivalya

Kaivalya wird von Patanjali unter anderem in II.25 definiert:

Yoga Sutra II-25: Wenn das Nichtwissen endet, löst sich die Verbindung mit der Welt auf – dadurch erlangt der Sehende absolute Freiheit

Zur Sutra


Was bedeutet Kaivalya für dich?

Wie würdest du Kaivalya für dich definieren?

 

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Moderne und alternative Auslegungen

Zeitgenössische Lehrer verstärken den Praxischarakter: Nicht die Kräfte an sich sind das Problem, sondern unsere Haltung ihnen gegenüber. Ein moderner Lotos-Kommentar drückt es so aus: Patanjali warnt vor Anhaftung an Siddhis, wertet aber deren Existenz nicht ab. „Übersinnliche Kräfte an sich sind nicht schlecht; allein unsere Einstellung und ihre falsche Verwendung können einen dunklen Schleier über sie legen“. Mit anderen Worten: Man soll nicht aus Angst vor Schuld auf spirituelle Erfahrungen verzichten, sondern lernen, ihnen mit Gelassenheit zu begegnen. Diese Gelassenheit (Vairagya) ist für spirituelles Wachstum essentiell.

Psychologisch gesehen fordert Sutra 3.51: Achte darauf, dass Tugend und Erfolg im Yoga dir nicht zum neuen Gefängnis werden. Auch wenn du dich einmal erhaben fühlst, bleib demütig und aufmerksam. In moderner Sprache geht es um das Loslassen von selbstgemachten Höhenflügen des Egos. Der folgende Schritt ist daher: Übe, das Göttliche in dir zu erkennen, ohne dich mit dessen Erfahrungen zu identifizieren.

Vielleicht meinte Patanjali mit diesem Vers aber auch, so überlegt Skuban (S. 230), dass der Yogi sein Gewahrsein des Unterschiedes zwischen Purusha und Prakriti ablegen müsse, um Citta, den Geist, von allen Samen zu reinigen. Das wäre ein etwas anderer Ansatz, aber auch hier ist die Forderung: Loslassen.

Was könnte noch gemeint sein, was der Yogi aufgeben/loslassen müsse, um zur Befreiung zu gelangen?

Hast du eine weitere Idee, was gemeint sein könnte?

 

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mann weiss fluss medi 1000

Loslassen in der Praxis: Wie genau vorgehen?

Diese Frage dürfte für die meisten von uns von theoretischer Natur sein. Schließlich will ja erst einmal Allmacht und Allwissenheit vom Yogi erreicht werden, um diesen dann leidenschaftslos begegnen zu können. 

Doch wir können dieser Leidenschaftslosigkeit schon auf viel früheren Etappen des spirituellen Weges üben. Schließlich wird von Anbeginn dem Yogi eingebläut:

Hafte an nichts und niemandem, lehne auch nichts ab.

Keine Durststrecken im Leben ablehnen, nicht an freudigen Gemütszuständen haften – immer innerlich auf das Ziel, dem Erkennen des Purushas, des Atmans, ausgerichtet bleiben. 

In dieser Welt sein und doch nicht von dieser Welt sein. Nicht an den Früchten der eigenen Taten hängen … Es gibt viele dieser Ratschläge in den Yoga-Welten.

1️⃣ Samyama über das Loslassen

Samyama bedeutet: Dharana (Konzentration) → Dhyana (Meditation) → Samadhi (Verschmelzung), auf ein Thema gerichtet. Dieser Dreiklang auf ein Meditationsobjekt ist das Mittel der Wahl für den Yogi, um die in Kapitel III des Yogasutra besprochenen Siddhis auszuüben.

Voraussetzungen und Vorbereitungen für Samyama und Siddhis

Voraussetzungen für Samyama und Siddhis

Um Samyama – die kombinierte Praxis von Konzentration, Meditation und Versenkung – erfolgreich üben zu können, müssen bestimmte psychologische und spirituelle Voraussetzungen erfüllt sein. Einig sind sich die traditionellen wie modernen Lehrer, dass der Geist des Übenden ausreichend gereinigt und gesammelt sein muss. Das bedeutet: innere Stabilität, relative Gedankenstille und Freiheit von starken emotionalen Aufwallungen als Grundlage. Es bedarf eines Maßes an Konzentrationskraft, Achtsamkeit und Gelassenheit gegenüber Sinnesreizen, damit die Aufmerksamkeit vollständig nach innen gelenkt werden kann. Besonders hervorgehoben wird die Haltung der Nicht-Verhaftung (Vairagya): Der Yogi soll nicht mehr an gewöhnlichen Sinnesfreuden oder Erfolgserlebnissen hängen, sondern eine innere Unabhängigkeit davon kultiviert haben.

Darüber hinaus betont der yogische Weg, dass die grundlegenden Stufen des Achtgliedrigen Pfades gefestigt sein sollen, bevor man sich höheren Techniken wie Samyama widmet. Konkret bedeutet dies: Yama und Niyama – die ethischen Prinzipien und Selbstdisziplinen – sollten im Leben des Übenden verankert sein, um mentale Unruhe und konflikthafte Begierden zu minimieren. Die Praxis von Asana (Körperübungen) und Pranayama (Atemlenkung) baut Spannungen und Rastlosigkeit ab und stabilisiert Körper und Nerven, was indirekt dem Geist zugutekommt. Pratyahara, das systematische Zurückziehen der Sinne, ist ebenfalls eine entscheidende Vorstufe: Erst wenn die Aufmerksamkeit nicht mehr unwillkürlich von äußeren Eindrücken gesteuert wird, kann echte Konzentration nach innen entstehen. Diese Vorarbeiten schaffen den Nährboden, auf dem Samyama gedeihen kann. Ein Yogi, der Schritt für Schritt diesen Pfad gegangen ist, entwickelt die geistige Stärke und Reinheit, die nötig sind, um tiefe Versenkung zu erreichen – und in deren Folge können Siddhis überhaupt erst auftauchen.

Die Rolle von Entsagung und Ethik (Vairagya, Yama, Niyama)

Entsagung/Nichtanhaftung im Yoga, auf Sanskrit Vairagya, und die ethischen Richtlinien Yama und Niyama gehören zu den fundamentalsten Anforderungen, insbesondere wenn es um den Umgang mit Siddhis geht. Vairagya bedeutet ein inneres Losgelöstsein: der Übende übt sich darin, Verlangen und Anhaftungen aufzugeben – seien es sinnliche Genüsse, materielle Güter oder auch das Streben nach außergewöhnlichen Fähigkeiten. So kann der Yogi in die Tiefe von Samyama gelangen.

Die Geisteshaltung von Vairagya ist auch hilfreich dabei, dass aufkommende Siddhis den Yogi nicht verführen. Nur wer in Gleichmut gegenüber allen Phänomenen bleibt, kann übernatürliche Wahrnehmungen haben, ohne vom eigentlichen Pfad abzukommen. Patanjali nennt Vairagya nicht umsonst bereits im ersten Kapitel als Schlüssel zur geistigen Stille: Das fortwährende Loslassen verhindert, dass der Geist neue Wellen von Begierde und Ego-Stolz bildet.

Ergänzend dazu bilden Yama und Niyama das moralische Fundament. Die fünf Yamas – etwa Gewaltlosigkeit (Ahimsa), Wahrhaftigkeit (Satya) oder Nicht-Gier (Aparigraha) – und die fünf Niyamas – etwa Reinheit (Shaucha) und Selbststudium (Svadhyaya) – sorgen dafür, dass der Charakter und Lebenswandel des Yogis ethisch ausgerichtet sind. Warum ist das so wichtig in Bezug auf Siddhis? Zum einen reinigt moralisches Verhalten das Herz und mindert egoistische Tendenzen, was die Wahrscheinlichkeit von Missbrauch oder falscher Identifikation mit Kräften reduziert. Zum anderen stabilisieren Yama und Niyama den Geist: Ein Gewissen, das frei von Schuld und Zwiespalt ist, kommt leichter zur Ruhe. Traditionell heißt es, dass Siddhis nur einem Yogi dauerhaft und gefahrlos zufallen, der Tugend und Selbstbeherrschung verkörpert. Andernfalls können Machtgefühle, Hochmut oder unethische Versuchungen die Folge sein. Daher lehren die Yogameister, dass jede Erweiterung der Fähigkeiten mit entsprechender Demut und Verantwortungsbewusstsein einhergehen muss – Qualitäten, die durch die Befolgung von Yama und Niyama kultiviert werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Vairagya und die ethische Praxis sind Förderer und Schutzmechanismus auf dem Weg zur höheren Erkenntnis. Sie erleichtern das Eindringen in lang anhaltende innere Stille bei voller Bewusstheit und bewahren den Übenden davor, die Richtung zu verlieren, wenn Siddhis auftauchen. Ein Yogi, der Entsagung übt und ethisch gefestigt ist, wird die verfeinerten Sinneswahrnehmungen zwar registrieren, aber weder missbrauchen noch für wichtiger halten als das letztendliche Ziel – die Erkenntnis des wahren Selbst (Purusha) und die Befreiung.

Vorbereitende Techniken für Samyama und verfeinerte Wahrnehmung

Um den Geist auf Samyama und mögliche subtile Wahrnehmungen vorzubereiten, empfehlen Yogalehrer seit jeher verschiedene unterstützende Techniken. Insbesondere folgende Ansätze haben sich als hilfreich erwiesen:

  • Yama und Niyama hatten wir schon, empfohlen wird auch eine stabile und bequeme Sitzhaltung (Asana).
  • Pratyahara (Zurückziehen der Sinne): In dieser fünften Stufe des Raja Yoga lernt der Übende, die Aufmerksamkeit von äußeren Sinnesobjekten abzuziehen. Praktisch wird Pratyahara z.B. geübt, indem man sich in Entspannung auf innere Wahrnehmungen konzentriert und äußere Reize ausblendet – etwa durch Augen schließen, in Stille sitzen oder Visualisierungen. Dadurch werden die Sinne „nach innen gezogen“. Ein trainiertes Pratyahara ist die Voraussetzung dafür, dass in Samyama die verfeinerten, inneren Sinneswahrnehmungen auftauchen können. Erst wenn die gewöhnlichen Sinnesreize an Macht verlieren, entsteht Raum für das subtile innere Hören, Sehen etc.
  • Pranayama (Atemkontrolle): Gezielte Atemübungen beruhigen das Nervensystem und sammeln den Geist. Durch Regulierung (Patanjali nennt Verlängerung und Verfeinerung) des Atems – etwa mittels tiefer Bauchatmung, Wechselatmung (Nadi Shodhana) oder einfach nur der Verlängerung der Ausatmung – wird der Geist fokussiert und der Energiefluss harmonisiert. Patanjali selbst führt Pranayama als wichtige Vorstufe zu Dharana (Konzentration) an. Ein gleichmäßiger, feiner Atem fördert eine introvertierte Aufmerksamkeit und kann latente Energien (Prana) wecken. Insbesondere fortgeschrittene Pranayamas, die mit Konzentration auf Energiezentren (Chakras) verbunden sind, schulen die Wahrnehmung des inneren Raums. Dadurch wird der Yogi empfänglicher für subtile Empfindungen – eine essenzielle Vorbereitung, um in tiefere Meditation vorzudringen, wo sich Siddhis zeigen könnten.
  • Optional: Yoga Nidra (Yogischer Tiefenentspannungszustand): Yoga Nidra ist eine geführte Meditation, die den Körper in vollständige Entspannung versetzt, während der Geist hellwach bleibt. In diesem Schwebezustand zwischen Wachen und Schlaf treten Gehirnwellen auf, die für Aufnahmefähigkeit und Intuition förderlich sind. Die Praxis von Yoga Nidra hilft, unbewusste Verspannungen und mentale Blockaden abzubauen. Sie schult außerdem die Fähigkeit, bewusst ins Unterbewusstsein hineinzulauschen, ohne einzuschlafen. Diese Fertigkeit – entspannt und zugleich aufmerksam nach innen zu schauen – ist eine direkte Vorbereitung auf Samyama. Ein Yogi, der Yoga Nidra meistert, kann seine Aufmerksamkeit lange nach innen richten, was die Kontinuität von Dharana/Dhyana fördert. Zugleich fördert Yoga Nidra einen Zeuge-Geist („Sakshi-Bhava“), der Phänomene beobachten kann, ohne sich damit zu identifizieren – hilfreich, um etwaige Siddhi-Erfahrungen nüchtern zu betrachten. Hier findest du die konkrete Übungsanleitung.
  • Optional: Japa (Mantra-Wiederholung): Die Rezitation oder mentale Wiederholung eines Mantras gilt als eine der wirkungsvollsten Konzentrationshilfen. Durch Japa wird der rastlose Geist schrittweise beruhigt und auf einen Klang oder eine heilige Silbe ausgerichtet. Das kontinuierliche Wiederholen – ob laut, leise oder innerlich – bündelt die Gedankenströme und führt zu tiefer Meditation. In vielen Yoga-Traditionen heißt es, ein Mantra reinige den Geist und öffne das Herz. Praktisch bewirkt Japa, dass störende Gedanken in den Hintergrund treten und eine spirituelle Schwingung den Vordergrund einnimmt. Dies bereitet auf Samyama vor, indem das Mantra wie ein Anker für Dharana dient und nahtlos in Dhyana übergehen kann. Zudem kann intensives Mantra-Japa dazu führen, dass der Übende das Mantra schließlich innerlich „hört“, ohne aktives Tun – eine Form von subtiler Wahrnehmung, die als Siddhi betrachtet werden könnte (z.B. Nada-Anubhava, das innere Klang-Erlebnis). Selbst wenn solche Phänomene nicht explizit gesucht werden, stärkt Japa in jedem Fall die Konzentration, Hingabe und Vairagya. Diese Qualitäten schützen und begleiten den Yogi, falls sich verfeinerte Sinneswahrnehmungen einstellen.

Zusammengefasst dienen Pratyahara, Pranayama, Yoga Nidra und Japa als (nicht unbedingt notwendige aber) hilfreiche Bausteine in der Vorbereitung auf Samyama. Sie entwickeln die nötige geistige Disziplin, Sammlung und Reinheit, um die im Yoga-Sutra beschriebenen Fähigkeiten zu ermöglichen (garantieren aber deren Auftreten nicht). Gleichzeitig fördern sie die Haltung von Losgelöstheit und innerer Ruhe, sodass der Yogi bereit ist, Siddhis weder zu erzwingen noch zu fürchten, sondern sie im richtigen Geist zu integrieren. Jede dieser Techniken ist für sich schon eine wertvolle Übung; im Zusammenspiel ebnen sie den Weg zu den tieferen Erfahrungen des Yoga – bis hin zur Pratibha, dem aufblitzenden inneren Wissen, und darüber hinaus zum endgültigen Ziel des Yoga, der Verwirklichung des Selbst.

🌀 Samyama-Reife-Check

Samyama – die Kombination aus Konzentration, Meditation und tiefer Versenkung – ist eine hochentwickelte Praxis im Yoga. Doch ist sie für jeden und zu jeder Zeit sinnvoll? Mit diesem kurzen Selbsttest kannst du einschätzen, ob dein Geist bereit ist, sich auf diese subtile Form des inneren Forschens einzulassen.

So geht's: Beantworte die Fragen ehrlich und spontan. Am Ende erhältst du eine Einschätzung und eine Empfehlung für deinen nächsten Schritt.

1. Wie leicht fällt es dir, Gedanken im Geist kommen und gehen zu lassen, ohne ihnen zu folgen?





2. Wie sieht deine Meditationspraxis aktuell aus?





3. Wie reagierst du auf innere Unruhe oder Reizüberflutung?





4. Kannst du dich länger auf ein inneres Objekt (z. B. Atem, Mantra, Lichtpunkt) konzentrieren?





5. Wie gehst du mit spirituellen Erfahrungen um?





6. Hast du das Gefühl, dass deine spirituelle Praxis dich transformiert?





7. Wie reagierst du auf Stille?





Zeitleiste: Pfad zu Samyama und den Siddhis

Diese Zeitleiste zeigt dir die Stufen des Yogawegs, die nötig sind, um in den Zustand von Samyama zu kommen – und wie daraus Siddhis (verfeinerte Sinneswahrnehmungen) spontan entstehen können.

🪷 Yama & Niyama

Ethische Grundlagen & Selbstdisziplin: z. B. Gewaltlosigkeit, Wahrhaftigkeit, Reinheit. Sie bereiten deinen Geist auf Tiefe und Klarheit vor.

🧘 Asana

Stabiler, bequemer Sitz. Der Körper wird still, der Atem ruhig – beides ist nötig für längere innere Versenkung.

🌬️ Pranayama

Atemkontrolle als Brücke zur inneren Wahrnehmung, Pantanjali empfiehlt, Ausatmung und Einatmung und Anhalten zu verlängern und zu verfeinern. Dieses Pranayama beruhigt das Nervensystem und bereitet den Geist auf Fokus vor.

👁️ Pratyahara

Zurückziehen der Sinne. Der Blick geht nach innen. Die Außenwelt verliert an Bedeutung. Jetzt beginnt echte Sammlung.

🎯 Dharana

Konzentration auf ein Objekt (z. B. Licht, Atem, Mantra). Der Geist bleibt bei einem Punkt – erste Form von Meditation.

🧘‍♀️ Dhyana

Meditation. Der Fokus wird fließend, mühelos. Es gibt keine Unterbrechungen mehr – reines Verweilen im Beobachteten.

🌌 Samadhi

Verschmelzen mit dem Objekt. Kein „Ich meditiere“ mehr – nur noch reines Sein. Dies ist der Eingang in tiefe Einsicht.

✨ Übergang zu Samyama

Wenn Dharana, Dhyana und Samadhi auf dasselbe Objekt gerichtet sind – ohne Unterbrechung –, kann daraus Samyama entstehen. Dann ist der Geist hochfokussiert, durchlässig und empfänglich für tiefe, intuitive Erkenntnis.

🌟 Was entsteht daraus?

Spontan kann es geschehen, dass sich ein Siddhi zeigt, du z. B. feiner hörst, spürst, siehst – nicht mit den Sinnen, sondern von innen heraus. Denke immer daran: Siddhis sind kein Ziel, aber ein möglicher Meilenstein auf deinem Weg.

Hier ein Vorschlag für das Üben von Loslassen mittels Samyama:

Schritt 1 – Dharana:
Setz dich hin, aufrecht, würdevoll. Richte deine Aufmerksamkeit gezielt auf den Gedanken:

„Ich löse mich von jeder Verhaftung – selbst an das Gute, an Wissen, an Macht.“

Das ist dein Objekt. Dein Fokuspunkt.
Du kannst dir vorstellen, du balancierst auf einer schmalen Mauer – einer Seite winkt Anhaftung (Begehren), auf der anderen Seite Ablehnung (Aversion). Dein Ziel ist die Mitte.

Schritt 2 – Dhyana:
Vertiefe den Gedanken. Lass ihn fließen, aber nicht zerfasern.

„Was zieht mich fest? Wo bin ich stolz auf meine Fortschritte? Wo genieße ich das Gefühl, „mächtig“ zu sein – weil ich so gelassen bin, so klug, so erleuchtet?“

Beobachte diese Bewegungen des Egos ohne Urteil. Schmunzeln darfst du ruhig. Versuche, die Konzentration darauf dauerhaft zu machen.

Schritt 3 – Samadhi:
Jetzt lass sogar den Gedanken fallen.
Sei einfach still.
Kein „ich will loslassen“ mehr. Kein „ich bin der große Loslasser“.
Nichts zu erreichen. Aber bleib fokussiert und achtsam.
Diese Stille ist dein kleiner Vorgeschmack auf Kaivalya.

Du wirst merken: Es kann eine nüchterne Klarheit aufsteigen. Oder eine bittere Einsicht. Manchmal fühlt sich das Loslassen wie ein Verlust an. Kein spiritueller Glitzer. Kein Applaus. Aber genau das will Patanjali: Du wirfst die letzten Goldketten ab.

2️⃣ Alltagstraining – Nichtverhaftetsein üben

Jetzt mal ehrlich – die Matte oder das Kissen sind das einfache Labor für das Üben des Loslassens. Draußen wird’s spannend.

Konkrete Alltagsszenarien:

  • Komplimente annehmen:
    Jemand lobt dich für deine Geduld, Weisheit, Yoga-Kompetenz.

Übe: Freu dich, ja. Aber bleib locker. Kein inneres Abhaken: „Ich bin jetzt wohl ein Weiser.“
Sag dir: „Schöne Blume am Wegesrand. Ich nehme den Duft, lasse die Blume stehen.“

  • Kritik bekommen:
    Auch das ist ein Test. Die andere Seite der Medaille.

Übe: Spür, wie dein Ego protestiert. Lass es zu. Aber steig nicht ein.
Innerer Satz: „Auch das gehört dazu. Ich halte nichts fest.“

  • Spirituelle Highlights erleben:
    Nach einem Retreat, einer starken Meditation, einem Siddhi-artigen Moment („ich wusste plötzlich, was der andere dachte!“):

Feier es nicht zu sehr. Schau es dir an wie ein schönes Feuerwerk.
Sag dir: „Auch das darf gehen.“

  • Wissen teilen:
    Als Lehrer oder Praktizierender gibst du weiter, was du gelernt hast.

Achte darauf, nicht der allwissende Guru zu werden.
Frag dich: „Tue ich das, um wirklich zu dienen – oder für mein Ego?“

Kleiner Tipp:
Mach es nicht zu verbissen. Nichtverhaftetsein heißt nicht, dass du zum gefühllosen Stein wirst. Genieß dein Leben, deine Praxis – nur: klammere nicht.

Wie fühlt sich das an?

Vermutlich so: Es ist unbequem. Dein Ego wird meckern. Du wirst dir manchmal albern vorkommen.
Aber irgendwann merkst du:

  • Mehr Luft.
  • Weniger Drama.
  • Eine ruhige Würde.
  • Und ein ironisches Lächeln: „Ach, das wollte ich also festhalten.“ 

Meine Erkenntnisse/Erfahrungen bei/mit dieser Übung

... oder kannst du eine andere Übung zum besseren Verständnis bzw. zum Erfahren dieser Sutra ergänzen?

 

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Kommentar von Vyasa zu Sutra 3.51 über das endgültige Loslassen

Erläuterungen zu Vyasa

Vyasa war ein indischer Philosoph des 5. bzw. 6. Jahrhunderts nach Christi, der den ältesten überlieferten Kommentar zum Yogasutra des Patanjali schrieb. Der Text wird Yogabhashya (wörtlich "Kommentar (Bhashya) zur Yogaphilosophie") genannt und um 600 nach Christi datiert. Vyasas Kommentare zu den Sutras sind oftmals recht kurz.

Ohne Vyasas Kommentar wären viele Sutras heute fast unverständlich. Manche Gelehrte sagen, der Text ist erst durch den Kommentar wirklich „lesbar“.

Vyāsa war vielleicht/wahrscheinlich kein einzelner Autor, sondern ein Titel, der mehrere Kommentatoren der indischen Tradition umfasst. Die Stimme, die wir im Yogasutra-Kommentar hören, ist also vielleicht ein Chor.

Vyasas Yogabhashya wurde im 8./9. Jh. von Shankara (788–820 n. Chr, indischer Gelehrter, Vedanta-Philosoph, Begründer der Advaitavedānta-Tradition) kommentiert. Sein Kommentar nennt sich Yogabhashyavivarana, Vivarana ist ein Unterkommentar.

Auch Vachaspati Mishra hat einen frühen, berühmten Kommentar zum Yogasutra geschrieben. (Meine Quellen für diese Kommentare waren unterschiedliche Bücher und Webseiten, zum Beispiel Legget (siehe Literatur) und wisdomlib.org/hinduism/book/yoga-sutras-with-commentaries/). Ich gebe hier diese Kommentare in für mich relevanten Auszügen in Worten wieder, die für mich den Sinn in heutigen Worten am besten wiedergeben. Dies ist explizit kein Bemühen, die Originalkommentare wortgetreu wiederzugeben. Fehlinterpretationen sind natürlich in meiner Verantwortung.

Du siehst etwas anders, hast einen Fehler gefunden oder möchtest etwas ergänzen? Bitte schreibe dies unten bei "Ergänzungen von dir".

Die Kommentare von Vyasa, Mishra und Shankara sind oft wörtlich übersetzt worden, zum Beispiel bei den oben angegebenen Quellen.

Der folgende Abschnitt ist eine eigenständige, verständlichere Nacherzählung und Erläuterung des klassischen Kommentars von Vyasa zu Patanjalis Yogasutra. Ich verzichte hier bewusst auf die schwerfällige, wörtliche Übersetzung und versuche, die Gedanken klarer und greifbarer rüberzubringen – so wie ich es verstehe.

🌿 Grundgedanke

Vyasa beschreibt hier den entscheidenden Moment im Yogaweg, in dem der Übende wirklich erkennt, wie tief und subtil die Natur des Geistes funktioniert – und wie er sich davon lösen kann.

Er sagt sinngemäß:

Solange wir Unterschiede wahrnehmen – schön/hässlich, gut/böse, spirituell/unspirituell –, ist das letztlich eine Eigenschaft von sattva (Reinheit, Klarheit). Auch diese Reinheit ist nur eine Eigenschaft der Prakriti (der Natur, die aus den drei Gunas besteht).

Selbst die Klarheit des Geistes, die so erstrebenswert wirkt, ist letztlich noch ein Spiel der Natur.

✨ Das Verstehen dieses Mechanismus

Wenn du das einmal wirklich durchschaust, sagt Vyasa, passiert etwas Entscheidendes:

  • Du beginnst, dein Verlangen danach zu verlieren – auch nach dem Guten, dem Klaren, dem Reinen.
  • Du siehst: Auch das ist vergänglich. Auch das bindet mich.

Das ist keine nihilistische Resignation, sondern eine kluge Loslösung. Wie ein Gärtner, der weiß: „Ich pflege die Pflanze – aber ich besitze sie nicht.“

🔥 Bildhafte Metapher

Vyasa benutzt ein starkes Bild:

Die Samen des Leidens werden wie verbrannte Reiskörner.

Wenn du Reis anbrennst, kannst du ihn nicht mehr keimen lassen. Genauso verlieren die Ursachen für zukünftiges Leid ihre Kraft.

Der Geist trägt diese „Samen“ der alten Muster zwar noch latent in sich, aber sie sind funktionslos geworden. Sie können nicht mehr sprießen.

📜 Was passiert dann?

  • Es entsteht ein Zustand, in dem keine neuen Handlungen mehr aus Begehren entstehen.
  • Die alten Muster, die sonst Leid erzeugen, sind „abgegolten“ – sie haben ihren Zweck erfüllt.
  • Es gibt keine Rückkopplungsschleifen mehr von „Tat – Folge – neues Begehren“.

Die Folge:

Der Purusha – das reine Bewusstsein – bleibt unberührt, allein in seiner eigenen Natur.

Vyasa nennt das „die endgültige Trennung“ zwischen Bewusstsein (Purusha) und Qualitäten/Natur (Prakriti).

🎯 Fazit

Vyasa führt hier nicht in eine Welt, in der man „nichts mehr fühlt“ oder in kalter Gleichgültigkeit lebt. Sondern in eine Erfahrung, die sagt:

✅ Erkenne auch das subtile Anhaften an Reinheit und Tugend.
✅ Durchschaue es so klar, dass es sich erschöpft.
✅ Lass die Samen des Leidens ausbrennen.
✅ Und finde das, was bleibt: das reine, ungebundene Bewusstsein.

 


Siehe auch folgende Sutras

Oben findest du schon zugehörige Sutras. Zu nennen wären noch:

Yoga Sutra I-3: Dann ruht der Wahrnehmende in seiner wahren Natur

Hier weiterlesen


Yoga Sutra II-25: Wenn das Nichtwissen endet, löst sich die Verbindung mit der Welt auf – dadurch erlangt der Sehende absolute Freiheit

Hier weiterlesen


Yoga Sutra IV-27: Jedoch kommt es aufgrund noch vorhandener Prägungen (Samskaras) immer wieder zu andersartigen Vorstellungen und damit zu Unterbrechungen (Brüchen – chidreṣu) dieser Unterscheidungskraft

Hier weiterlesen


Yoga Sutra IV-31: Mit den Ende aller Verschleierungen und Unreinheiten erlangt der Yogi unendliche Erkenntnis und alles bisher – als normaler Mensch – Gewusste wird als winzig und unbedeutend erkannt

Hier weiterlesen


Ergänzungen und Fragen von dir zur Sutra

Ist etwas unklar geblieben? Kannst du etwas ergänzen oder korrigieren?

Der Stoff der Sutras ist für uns heutige Menschen nicht leicht zu verstehen. Ist im obigen Text irgendetwas nicht ganz klar geworden? Oder kannst du etwas verdeutlichen oder berichtigen? Eine eigene Erfahrung schildern ... Vielen Dank vorab für jeden entsprechenden Hinweis oder eine Anregung:

 

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Abschließend: seltene oder überraschende Fakten zum Thema

  1. 🪶 Selbst Sattva, das Guna der Klarheit, wird im Yoga als „Kette aus Gold“ beschrieben. Erst wenn auch diese Kette gesprengt wird, ist der Geist wirklich frei.
  2. 🧠 Laut vieler Kommentatoren ist Siddhi kein Zeichen für Reife, sondern eine Prüfung. Viele klassische Texte warnen: Wer übernatürliche Fähigkeiten erlangt, gerät oft tiefer in Ego-Verstrickung.
  3. 📜 Das Wort "Kaivalya" stammt vom Sanskrit-Wurzelstamm "kevala", was „allein“ bedeutet. Der befreite Purusha ist also allein, aber nicht einsam – sondern ganz bei sich.
  4. 🧘 Desikachar nannte Vairagya „die Kunst, nichts festhalten zu müssen – auch nicht das Festhalten selbst“. Ein schöner Hinweis auf die Gefahr des „spirituellen Ehrgeizes“.
  5. 💡 Iyengar betonte, dass der Verzicht auf Siddhis oft schwerer fällt als der Verzicht auf materielle Güter. Denn spiritueller Stolz sei „raffiniert wie ein Dieb im Licht“.
  6. 🧭 In buddhistischer Terminologie wäre Kaivalya vergleichbar mit „Nirvāṇa“, doch im Yoga bleibt der Purusha als individuelles Bewusstsein bestehen. Keine Auflösung – sondern Unberührtheit.

Videos zu Sutra III-51

Allwissenheit und Allmacht – Kommentar von Sukadev zu Yoga Sutra – Kap. 3, Vers 51

Länge: 2 Minuten

Youtube-Video

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Kaivalya erscheint – Kommentar von Anvita Dixit zu Yogasutra 3.51 (bei ihr Sutra 3.50)

Länge: 10 Minuten

Youtube-Video

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Video von Ahnand Krishna zur Sutra

Kräfte von Samyama, Class 61: Asha Nayaswami zu Sutra 3:47-3.52

Derzeit offline - wird wieder eingebunden.

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Geschrieben von

Peter Bödeker
Peter Bödeker

Peter hat Volkswirtschaftslehre studiert und arbeitet seit seinem Berufseinstieg im Bereich Internet und Publizistik. Nach seiner Tätigkeit im Agenturbereich und im Finanzsektor ist er seit 2002 selbständig als Autor und Betreiber von Internetseiten. Als Vater von drei Kindern treibt er in seiner Freizeit gerne Sport, meditiert und geht seiner Leidenschaft für spannende Bücher und ebensolche Filme nach. Zum Yoga hat in seiner Studienzeit in Hamburg gefunden, seine ersten Lehrer waren Hubi und Clive Sheridan.

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