
Die Geschichte der drei Siebe
In der Bhagavad Ghita (ca. 500 – 200 v. Chr.) heißt es bei den Tapas:
Wahrhaftig reden – ohne Erregung zu erzeugen, liebevoll und wohlgesonnen – sowie das Studium der Schriften – das sind die Tapas der Sprache.
In der Zeit der Gita lebe auch Sokrates (* 469 v. Chr. in Alopeke, Athen; † 399 v. Chr. in Athen), der große Philosoph. Wie es der "Zufall" so wollte, erkannte er dieselben Bedingungen für ein rechtes Sprechen.
Folgendes soll sich zugetragen haben:
Ein Junge namens Polimus kam aufgeregt zu Sokrates gerannt. Noch im Lauf begann er: "Verehrter Sokrates, ich muss euch etwas berichten!"
Doch Sokrates unterbrach den herstürmenden Jüngling: "Stopp deine Rede!", entgegnete er, "Hast du das, was du mir erzählen willst, durch die drei Siebe des Weisen gesiebt?"
"Wie meint Ihr? Welche drei Siebe?"
Sieb 1: Wahrheit
"Das erste Sieb ist die Wahrheit, lieber Polimus. Ist das, was du mir berichten willst, auch wahr?"
"Nun ja, es wurde mir berichtet. Sicher bin ich mir nicht."
Sieb 2: Güte
"Nun denn, Polimus, dann lass uns das zweite Sieb prüfen. Es ist die Güte. Ist das, was du zu erzählen hast, von Güte?"
Der junge Mann wurde unsicher: "Nein, eher im Gegenteil ..."
Sieb 3: Erfordernis
"So, so", schmunzelte der Weise, "erfüllt deine Geschichte wenigstens die Bedingung des dritten Siebes: Ist deine Rede notwendig? Muss ich sie hören?"
Polimus verzagte. "Nein, ihr müsst es nicht wirklich wissen."
"Dann", beschied Sokrates, "wenn deine Geschichte weder wahr noch von Güte oder Notwendigkeit ist, dann schweig, lieber Polimus."
Nacherzählt von Peter Bödeker
Die drei Siebe und die Yoga-Philosophie
In der Bhagavad Gita, einem der zentralen Texte des Yoga, wird betont, wie wichtig rechtes Sprechen ist. Es geht darum, wahrhaftig zu reden, ohne Erregung zu erzeugen, und stets liebevoll und wohlgesonnen zu sein. Genau wie Sokrates legt auch die Yoga-Philosophie großen Wert darauf, dass unsere Worte durch eine Art inneren Filter gehen.
Satya: Die Wahrheit im Yoga
Das erste Sieb von Sokrates ist die Wahrheit. Im Yoga entspricht das dem Prinzip Satya, was so viel bedeutet wie Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit. Es geht nicht nur darum, keine Lügen zu erzählen, sondern auch darum, authentisch zu sein und die Wahrheit mit Bedacht zu wählen. Hast du nicht auch schon mal erlebt, wie befreiend es sein kann, ehrlich zu sein, selbst wenn es schwierig ist?
Ahimsa: Güte und Mitgefühl
Das zweite Sieb ist die Güte. In der Yoga-Philosophie spricht man von Ahimsa, dem Prinzip der Gewaltlosigkeit und des Mitgefühls. Unsere Worte können entweder verletzen oder heilen. Wenn wir sprechen, sollten wir uns fragen: Bringt das Gesagte Harmonie oder Unruhe? Vielleicht kennst du das Gefühl, wenn ein freundliches Wort deinen Tag erhellt. Genau das ist die Kraft von Ahimsa im täglichen Leben.
Brahmacharya: Die Notwendigkeit des Wortes
Das dritte Sieb, die Notwendigkeit, lässt sich mit dem Prinzip Brahmacharya verbinden, das oft als Maßhalten oder Mäßigung interpretiert wird. Es erinnert uns daran, bewusst und achtsam mit unseren Ressourcen umzugehen – dazu gehört auch unsere Sprache. Bevor wir sprechen, könnten wir uns fragen: Ist es wirklich nötig, das jetzt zu sagen? Manchmal ist Schweigen tatsächlich gold.
Universelle Weisheiten für den Alltag
Es ist faszinierend, wie zeitlos diese Prinzipien sind. Sowohl Sokrates als auch die Yoga-Philosophie laden uns ein, unsere Worte weise zu wählen. In einer Welt voller Informationen und schneller Kommunikation können wir diese alten Weisheiten nutzen, um bewusster und harmonischer zu leben. Warum nicht beim nächsten Gespräch die drei Siebe anwenden und sehen, was passiert?
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Siehe auch
Yamas und Niyamas im täglichen Leben

Keine spirituelle Richtung kommt ohne Verhaltensregeln aus. Diese legen fest, welche ethischen Handlungsweisen für einen Aspiranten (oder auch jeden Menschen) förderlich sind. Was dem Christen die zehn Gebote, das sind dem Yogi die Yamas und Niyamas. Gleichzeitig sind sie die ersten beiden Stufen im Raja Yoga, dem achtgliedrigen Yoga-Pfad (auch Ashtanga- oder Kriya-Yoga genannt). Patanjali definiert Yama und Nyama im Yogasutra.
Die alten Yogis hätten sich wohl nicht träumen lassen, dass ihre Regeln Jahrtausende später im Großraumbüro, beim Online-Shopping oder in WhatsApp-Chats auf die Probe gestellt würden. Und doch: Die Yamas und Niyamas im täglichen Leben sind verblüffend aktuell. Wer sie nicht als starre Gebote liest, sondern als praktische Orientierung, entdeckt, wie Gewaltlosigkeit beim Autofahren aussieht, warum Wahrheit auch mal Schweigen bedeutet und weshalb ein bisschen Maßhalten beim zweiten Glas Wein oft heilsamer ist als jeder Verzicht.
Dieser Artikel zeigt, wie sich alte Weisheit im modernen Alltag verankern lässt: Was sind die Yamas und Niyamas? Wie werden diese in den alten Schriften ausgelegt? Und wie wende ich die Yamas und Niyamas im Alltag an? Der Artikel gibt Antwort und hält zwei Downloads (Poster & Merkkarte) parat.
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