Mit Yoga zu sich selbst finden – das sagen die alten Schriften
Die Techniken des Yogas sind kein Selbstzweck und wollen keine Sportart begründen. Sie wollen nicht vornehmlich unsere Gesundheit verbessern oder uns zu höheren körperlichen und geistigen Leistungen im (Arbeits-)Leben verhelfen.
Vielmehr sind die Praktiken eingebettet in eine ganzheitliche Lebensweise, die uns immer mehr zu uns selbst finden lässt. Es geht um das Verständnis unserer Selbst, unseres Geistes und der Welt. Um das Erlangen von Freiheit und Zufriedenheit. Am Ende des Yoga-Pfades sollen wir unser wahres Selbst entdecken.

1. Was meint hier „zu mir selbst finden“?
Viele von uns leben ein Leben, das in hohem Maße fremdbeeinflusst ist. Es wird sich nach aktuellen Wertmaßstäben in der Gesellschaft gekleidet, frisiert, ernährt und verhalten. In der Freizeit macht man das, was gerade angesagt ist. Man strebt nach Zielen, die gesellschaftlich anerkannt sind. Glück wird sich durch das Erreichen bestimmter Zustände (Wohlstand, gutes Aussehen, Familie ...) versprochen.
Manch einen tragen diese Wertmaßstäbe von der Wiege bis ins Grab, ohne dass große Unzufriedenheit oder Probleme aufkommen. Doch zumindest ebenso häufig scheitern wir dabei, mit dem von außen vorgegebenen Vorgehen dauerhaft zufrieden zu sein. Die Gründe hierfür sind vielfältig, von der Willkür des Erfolges bis zur Unbeständigkeit menschlicher Beziehungen.
„Zu mir selbst finden“ im Sinne des Yoga beginnt damit, dass ich die Verantwortung für meine Gefühle und Verhaltensweisen bei mir selbst sehe. Das schafft Motivation für innere Erforschung (Was will ich eigentlich? Was tut mir gut? Wann leide ich? ...) und innere Praxis. Diese Praxis ist ... Yoga.
2. Wie führt uns Yoga zu uns selbst?
Auf mehreren Wegen. Zum einen vermitteln die alten Schriften Zusammenhänge zwischen Handlungen, Gedanken, Geisteszuständen und Empfindungen. Es wird klar benannt, was unsere Zufriedenheit verhindert, wie wir uns täuschen lassen und welche Wege zur Freiheit führen. Zum anderen gibt Yoga konkrete Übungsempfehlungen, dazu unten mehr.
3. Yoga-Definitionen, die den Weg weisen
Einige Gedanken zum Thema aus alten Yoga-Schriften:
3.1. Aus der Vaisesika Sutra 4. Jhd.
Vers 5.2.15:
Freude und Leiden entstehen als ein Ergebnis des Zusammenspiels von Sinnen, dem Geist und den Objekten.
Vers 5.2.16:
Wenn dies nicht geschieht, weil der Geist im Selbst ruht, gibt es keine Freude und kein Leid für jemanden, der verkörpert ist. Das ist Yoga.
3.2. Aus der Brahma Sutra Bhyasa von Sankara 8. Jhd.
Vers 2.1.3:
In den Abhandlungen zu Yoga wird gesagt: "Yoga meint die (Hilfs-)Mittel, die Realität zu erkennen."
3.3. Malinivijayottara Tantra 6. - 10. Jhd.
12. Kapitel: Ziele und Voraussetzungen von Yoga
(12.5) Bhairava sagte: Höre, oh Göttin, ich erkläre, wie man Yoga praktiziert. Indem er stetig wird, wird der Yoga Erfolg darin erreichen.
3.4. Aus der Mrigendra Tantra (10. Jhd.)
Vers 2a:
Ein Yogi sein bedeutet, Selbst-Beherrschung erreicht zu haben.
Vers 2b:
Dies ist nur möglich für jemanden, der seine Fähigkeiten [seine Sinne, seinen Geist ...] erobert hat.
3.5. Sarada Tilaka Tantra (12. Jhd)
Vers 25-1
Nun werde ich Yoga mit seinen Hilfsmitteln lehren, was Verständnis verschafft. Die Yoga-Experten sagen, dass Yoga die Vereinigung des Vitalprinzips (jîva) und des Selbst (âtman) ist.
Vers 25-2
Andere sagen, dass Yoga das Wissen davon ist, dass Shiva und das Selbst nicht unterschiedlich sind. Jene, welche die Shivaismus-Schriften kennen, sagen, dass Yoga das Wissen der Natur von Shiva und Shakti [weibliche Urkraft des Universums] ist.
Vers 25-3
Andere Weise sagen, dass Yoga das Wissen um purusha (Bewusstsein/Seele) ist.
Hinweis: In der Vedanta-Philosophie und im Jnana Yoga geht es darum, die Identifizierung mit der individuellen Seele aufzugeben und sich als Paramatman (das höchste Selbst) zu erkennen und dies dann auch zu erleben bzw. erfahren.
3.6. Das große Yoga-Versprechen
Yoga Sutra II-25:
Wenn das Nichtwissen endet, löst sich die Verbindung mit der Welt auf – dadurch erlangt der Sehende absolute Freiheit
Mehr zu Sutra II-25
tad-abhābāt-saṁyoga-abhāvo hānaṁ taddṛśeḥ kaivalyam
तदभावात्संयोगाभावो हानं तद्दृशेः कैवल्यम्
Diese Sutra geht auf den Prozess der Erleuchtung ein. Die Kommentatoren erläutern den Zusammenhang Unwissenheit → Anhaftung in der Welt → Leid. Sie ermuntern uns, die scheinbaren Freuden dieser Welt nicht allzulange hinterherzulaufen, sondern zügig und konsequent die wahre Wirklichkeit zu erkennen.
3.7. Zwischenfazit
Die Yogalehren zeigen auf, wie unsere Welt beschaffen ist und wie unser Geist funktioniert. Die Yogalehre verspricht, dass wir ein beständiges inneres Selbst besitzen, das nicht den Launen unseres Geistes unterworfen ist.
4. Ausgangspunkt: Wir wollen (zurück) zu uns selbst finden
Eigentlich ist die äußere Welt weder gut noch schlecht. Im Yoga Sutra wird gesagt, dass die Welt nur für uns existiert.
Yoga Sutra II-18:
... Alles Wahrgenommene dient der (genussvollen) Erfahrung und der Befreiung.
Mehr zu Sutra II-18
Prakâsha-kriyâ-sthit-–shîlam bhûtendriyât-makam bhogâpavargârtham drishyam
प्रकाशक्रियास्थितिशीलं भूतेन्द्रियात्मकं भोगापवर्गार्थं दृश्यम्
Wenn der Yogi langsam aus seiner Unwissenheit erwacht, nimmt er die Welt um sich herum mit Staunen wahr. Die Wirklichkeit ist eine geheimnisvolle Beziehung zwischen „Wahrnehmenden“ und „Wahrgenommenen“. Prakriti, die Natur, tanzt einen rätselhaften Tanz, der uns seit Urzeiten staunen lässt.
In dieser und den folgenden Sutra geht es um diesen Tanz, sprich die Eigenschaften der Natur, deren Wirkungsweisen und deren Nutzung durch den Menschen. Patanjali versucht zu beschreiben, „was da draussen ist“. Was unser wahres Selbst – Purusha – sehen und erfahren darf.
Die äußere Welt ist also keine schlechte Erscheinung, auch wenn es hier pessimistischere Ansichten in den Yogaschriften gibt. Bis hin zu der Auffassung, dass da draußen gar nichts wirklich existiert, alles ist Maya, eine Illusion, die uns unser Geist vorgaukelt.
Wie kommen wir nun von der Aussenorientierung zur Selbstfindung? Manchmal ist es reine Neugier und Entdeckerfreude, die uns auf den Weg zu uns selbst führt.
„Wir verkennen oft, wie sehr dieser Normalzustand davon geprägt ist, dass unser Geist seinen Gewohnheiten und Mustern überlassen bleibt. Und diese Gewohnheiten liegen in der Regel weit unter seinen eigentlichen Möglichkeiten.“
Martin Soder in Viveka 42
Oftmals steht aber menschliches Leid hinter solch einer Neuorientierung im Leben. Yoga verspricht:
Yoga Sutra II-16:
Künftiges Leiden kann und sollte vermieden werden
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Yoga Sutra II-16: Künftiges Leiden kann und sollte vermieden werden
Heyaṁ duḥkhamanāgatam
हेयं दुःखमनागतम्
Die Lösung naht ... :-)
Patanjali verdeutlicht in dieser Sutra, dass Yoga in gewissem Sinne eine vorbeugende Heilkunst ist. Ein Weiser bemüht sich, künftiges Leiden jetzt zu vermeiden.
Die heutige Sutra könnte zudem als Lebensmotto von Buddhisten und Yogis durchgehen. Man kann es als Mantra nutzen, sich täglich erinnern: „Heyam duhkham anâgatam“ – „Künftiges Leiden kann und sollte vermieden werden“. Um diesem Motto zu folgen, brauchen wir drei Dinge.
5. Wie entsteht Täuschung und Leid?
Dazu Yoga Sutra I-4:
In den anderen geistigen Zuständen - mit Vrittis - identifiziert sich der Wahrnehmende mit den Bewegungen im Geist
Mehr zu Sutra I-4
Vṛitti sārūpyam-itaratra
वृत्तिसारूप्यमितरत्र
Also ... In allen anderen Umständen, außer dem der klaren Sicht, identifiziert sich der Mensch mit seinen Vrittis. Das gilt es zu ändern. An Vorschlägen, was man als Yogi tun kann, soll es nicht mangeln ...
Die Hirnforscherin Lisa Feldmann Barrett betont in PM 7/2019, dass unser Gehirn (im Yoga würde man „unser Geist“ sagen) mindestens die Hälfte unserer wachen Zeit die äußere Wirklichkeit nur simuliert und „von den wirklichen Sinnesdaten ja kaum noch etwas“ in unser Bewusstsein lasse. Hintergrund dieses (oft ja auch ausreichend richtige Erkenntnisse liefernden) Verhaltens dessen Energieersparnis, reale Wahrnehmung samt Auswertung verbraucht viel mehr unserer Energie als eine Simulation der äußeren Welt direkt aus dem Oberstübchen.
Leider, leider ... führt dies oft zu irrigen Ansichten, wie schon Patanjali im Yoga Sutra betonte:
Yoga Sutra II-5:
Durch Avidya – Unwissenheit oder falsches Verständnis – hält man das Vergängliche für verlässlich, das Unreine für rein, das Leidbringende für gut und Nicht-Selbst für das wahre Selbst
Mehr zu Sutra II-5
Anityâshuchi-duhkânâtmasu nitya-shuchi-sukhâtmakhyâtir avidyâ
अनित्याशुचिदुःखानात्मसु नित्यशुचिसुखात्मख्यातिरविद्या
Ohne Avidya würden wir nicht ständig nach Schokolade schielen, uns ausreichend bewegen und nicht falschen Dingen und Menschen hinterherlaufen. Doch was genau geschieht bei Avidya? Und was gehört alles dazu? Yoga und Buddhismus sind sich an dieser Stelle nicht ganz einig ...
6. Wie erkenne ich die wirkliche Wirklichkeit?
Wenn uns die Hindernisse nicht im Wege stehen, der Geist angemessen arbeitet und uns nicht die Sicht verschleiert.
Yoga Sutra II-26:
Die Entwicklung und ununterbrochene Anwendung eines reinen Unterscheidungsvermögens beendet die Unwissenheit
Mehr zu Sutra II-26
Viveka-khyâtir aviplavâ hânopâyah
विवेकख्यातिरविप्लवा हानोपायः
Mit dieser Sutra nennt Patanjali die konkrete Fähigkeit, die unsere Unwissenheit beendet und uns dadurch zur Erlösung führt. Betont wird, dass wir uns um deren ständige Anwendung bemühen. Dazu gibt es eine Reihe konkreter Tipps und Empfehlungen.
7. Welche Hindernisse stehen im Weg?
Hindernisse zur wahren Erkenntnis treten immer dann auf, wenn unser Geist „sich seine eigene Welt bastelt“. Uns täuscht. In die Irre führt.
Yoga Sutra I-30:
Diese Hindernisse lauten körperliche Einschränkung, geistige Stumpfheit, Zweifel, Gleichgültigkeit, Faulheit, Haften an Dingen, falsche Anschauung und die Nichterreichung einer geistigen Stufe
Mehr zu Sutra I-30
... bzw. die Unfähigkeit, darin beständig zu bleiben. Diese Hindernisse zerstreuen den Geist.
yâdhi–styâna–samshaya pramâdâlasyâ–virati–bhrânti–darshanâ–labdhabhûmi–katvânavasthitatvâni chitta–vikshepâs te’ntaraayaaH
व्याधिस्त्यानसंशयप्रमादालस्याविरतिभ्रान्तिदर्शनालब्धभूमिकत्वानवस्थितत्वानि चित्तविक्षेपास्तेऽन्तरायाः
Ziel des Yoga ist Erleuchtung, Erkennen des wahren Selbstes, des Purushas. Der Weg dorthin führt über die Ruhigstellung des Geistes, siehe Sutra I-2. Doch vor den Erfolg hat der liebe Gott ... Hindernisse gestellt.
In dieser Sutra I-30 nennt Patanjali nun neun solcher Hindernisse. Die Kommentatoren nehmen schon einmal die kommenden Sutras vorweg und besprechen Yoga-Wege zu deren Überwindung:
Yoga Sutra II-3:
Unwissenheit, Identifikation mit dem Ego, Begierde, Abneigung und (Todes-)Furcht sind die fünf leidbringenden Zustände (Kleshas)
Mehr zu Sutra II-3
Advidyâsmita–râga–dveshâbhiniveshah kleshah
अविद्यास्मितारागद्वेषाभिनिवेशः क्लेशाः
Kommen wir zu den leidvollen Zuständen, welche den Yogi an der Befreiung hindern. Patanjali gibt hier eine erste Definition der Hindernisse auf dem Yoga-Pfad. Interessant sind auch die Parallelen im Buddhismus.
8. Der Geist, der Geist ...
„Es geht darum, wie wir als Menschen unsere Potenziale entwickeln können. Von allen das wertvollste Potenzial ist unsere Fähigkeit, sich der Wirklichkeit der Welt zu öffnen.“
Martin Soder zu den Grundideen des Yoga Sutra in Viveka 42
Wie trainiere ich im Yoga, zu mir selbst zu finden? Hinter der Yogapraxis steht stets die folgende These: Übung macht den Meister. Üben bringt positiven Fortschritt und Erkenntnis. Die Yoga-Praxisvarianten reichen von bewegungsloser Meditation bis zum kraftvollen Power Yoga.
Philosophische Basis fast aller dieser Yoga-Spielarten sind die Lehren, wie Sie im Yoga Sutra dargelegt werden. Eine der wichtigsten Sutras lautet:
Yoga Sutra I-2:
Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Bewegungen im Geist
Mehr zu Sutra I-2
Yoga Sutra I-2: Yoga ist das Zur-Ruhe-Bringen der Bewegungen im Geist
Yogash citta–vritti–nirodhah
योगश्चित्तवृत्तिनिरोधः
Wenn ich festlegen müsste, welche Sutra die Bedeutsamste ist, dann würde ich diese wählen. Hier wird der Yogaweg in einem Satz zusammengefasst. Alle weiteren Sutras erläutern den Weg.
Auslegung und Deutung dieser Sutra erfolgt unterschiedlich. Lies hier, welche Prioritäten du gemäß der Sutras-Deuter bei deiner täglichen Praxis setzen solltest.
Wir üben im Yoga, uns dauerhaft einem Objekt zuwenden zu können. Wir trainieren die Ausdauer unserer konzentrierten Zugewandtheit. Dies geschieht bei den Körperübungen, den Atemübungen und der Meditation.
Dieses Objekt (oder das Gegenüber) kann mein Körper sein, eine Asana, eine andere Person, mein Atem, eine Frage, eine Theorie oder auch ein Aspekt von mir selbst sein.
Yoga Sutra I-12:
Die bewusste Kontrolle der Bewegungen im Geist wird durch Übung und Verhaftungslosigkeit erlangt
Mehr zu Sutra I-12
Abhyâsa–vairâgyâbhyâm tan–nirodhah
अभ्यासवैराग्याभ्यां तन्निरोधः
In den folgenden Sutras wendet sich Patanjali einem neuen Bereich zu. Es geht um zwei zentrale Konzepte (oder Prinzipien bzw. Vorgehensweisen) für die eigene spirituelle Entwicklung:
Abhyasa und Vairagya
Übung und Nichtanhaften
Somit kann auch diese Sutra als grundlegend eingeordnet werden. Sie begründet die tägliche Praxis des Yogi und fordert eine bestimmte Geisteshaltung zu "weltlichen Dingen" und emotionalen Verstrickungen.
Eine Geschichte verdeutlicht die anzustrebende Geistesverfassung ...
Diese Fähigkeit zur konzentrierten, unabgelenkten und dauerhaften Zugewandtheit können wir unseren inneren Prozessen zuwenden. So sind tiefe Selbsterkenntnisse möglich.
Wir wenden uns irgendwann nämlich nicht mehr sofort ab, wenn da etwas aufscheint, was uns nicht gefällt oder gar schmerzt. Indem wir uns stetig darin üben, alles ohne Anhaftung und Abneigung zu betrachten, werden wir tiefer und klarer blicken können.
9. Allgemeine Übungsempfehlungen
Yoga Sutra I-16:
Das Nichtbegehren nach den Elementen der Erscheinungswelt führt zur Wahrnehmung des wahren Menschen, des Purushas - die höchste Form der Verhaftungslosigkeit
Mehr zu Sutra I-16
Tatparaṁ puruṣa khyāte rguṇa vaitṛṣṇyam
तत्परं पुरुषख्यातेर्गुणवैतृष्ण्यम्
In dieser Sutra geht es um die Frucht fortgeschrittener yogischer Praxis. Patanjali formuliert, dass wir durch den irgendwann voll integrierten Verzicht in der Lage sein werden, unser wahres Selbst (Purusha) von dem zu unterscheiden, was nicht unser wahres Selbst ist. Dadurch sinkt das Begehren weiter. So kann uns die Freude des Purushas immer häufiger erreichen.
Doch wie werde ich zum unbeteiligten Betrachter meines eigenen Lebens?
Tsakpo Rinpoche sagt in Yoga Aktuell 4/2014, dass man auf dem Weg der Selbstfindung zuallererst das Unbekannte in einem entdecke. Unbekannte Qualitäten und wahre Schätze halten sich hier verborgen, so der als erleuchtet geltende Tsakpo.
Er rät: Übe Meditation, Atemübungen und Asanas, um Körper & Geist fit und bereit für die inneren Erfahrungen zu machen.
Buddha würde ergänzen: Übe auch permanente Achtsamkeit. Achte vor allem auf deine Gedanken und deine Gefühle. Möglichst jederzeit. Halte inne, um innere Regungen wahrzunehmen.
Mehr zu Achtsamkeit im Buddhismus
9.1. Was bedeutet Achtsamkeit im Buddhismus? Antworten in der Satipatthana Sutta
Achtsamkeit ist einer der Grundpfeiler der spirituellen Entwicklung, auch oder vor allem auf dem buddhistischen Pfad zur Erleuchtung. Glied 7 des achtfachen Pfades lautet daher "rechte Achtsamkeit".
Nun ist "Achtsamkeit" ein weiter Begriff und wird in vielerlei Zusammenhängen gebraucht. Da stellt sich die Frage: Was hat Buddha konkret darunter verstanden? Wie hat ein Buddhist Achtsamkeit zu praktizieren?
Die Antwort gibt Buddha am deutlichsten in der Satipatthana Sutta, der Lehrrede der Achtsamkeit. Hier findest du eine Zusammenfassung mitsamt einer Kurzfassung der Achtsamkeitsanweisungen als Download zum Ausdrucken.
Reagiere nicht sofort auf äußere Reize (Eindrücke, Gespräche ...) sondern spüre zunächst stets in dich hinein, reflektiere und reagiere erst danach.
Auch Hatha-Yoga kann so geübt werden, dass es der Selbstfindung dient. Unsere diesbezüglichen Übungsempfehlungen lauten:
9.2. Generelle Tipps zur Asana-Ausführung
Wenn du in die Stellung kommst, mache diese zunächst bewegungslos. Es ist eine gute Basis, eine Asana für zehn ruhige Atemzüge regungslos (oder zumindest sehr ruhig) zu halten. In dieser Zeit auch keine Korrekturen vorzunehmen oder tiefer zu dehnen.
- Der Atem in der Asana
Wenn du in Stellung gehst und dich dabei ausdehnst, atme beim In-Die-Stellung-Gehen ein. Umgekehrt, bei zusammenziehenden Stellungen, atme beim Reingehen aus. Beim Auflösen der Stellung entsprechend umgekehrt.
Wenn du in der Stellung bist, beruhige den Atem. Immer weiter (siehe dazu auch: Yoga - wie atmen?. Atme mit dem Bauch und verlangsame und verfeinere deine Atmung im Laufe des Haltens der Stellung. Wenn problemlos möglich baue kleine Atempausen ein. Verlangsame den Atem so weit, wie es ohne Stress möglich ist.
Wenn du einen Schritt weiter gehen willst, atme während deiner gesamten Asana Praxis in der Ujjayi-Atmung (hier erläutert). Halte dann deine Konzentration während der gesamten Übung beim Atem. - Bandhas in der Asana
In vielen Asanas ist es förderlich, Mula Bandha (ggf. leicht) zu halten. - Entspanne dich
Wenn die Asana fest und der Atem ruhig geworden ist, entspanne alle Körperbereiche, die nicht zum Halten der Asana angespannt sein müssen, so wie es Patanjali in Sutra II-47 empfiehlt. Gehe vom Kopf (Gesicht!) den ganzen Körper bis zu den Füßen durch und entspanne dabei alle Bereiche. - Die Konzentration
Konzentriere dich bei jeder Asana mit allen Sinnen und deinem ganzen Geist auf die Bereiche, die gestreckt oder gestaucht werden. Werde innerlich eins mit diesem Bereich. - Variante: Konzentriere dich auf die Unendlichkeit
In Sutra II-47 empfiehlt Patanjali zudem, sich in der Asana auf die Unendlichkeit zu konzentrieren. Mache dir z. B. bewusst, dass du in der Asana mit dem ganzen Universum verbunden bist, über das Prana mit Allem im Austausch stehst. Oder stelle dir vor, wie du in der Asana inmitten eines Sternenmeeres stehst. Finde deine eigene Verbindung zum Unendlichen. - Variante: Tipp zur Förderung von Freude und innere Stärke
Spüre die positiven Belebungs-, Dehnungs- und Stimmungswirkungen während und nach der Übung. Erfreue dich ganz bewusst daran, mache diese Freude in deinem Inneren für 5-10 Sekunden lebendig und stark.
Dies ist eine von uns empfohlene Ergänzung zu jeder Asana. Sie dient dazu, förderliche Neuronenverbindungen im Gehirn aufzubauen und sukzessive zu verstärken, siehe nähere Erläuterungen beim Beitrag "Spirituelles Tagebuch". - Spüre nach
Wenn du aus der Asana herausgekommen ist, spüre ihrer Wirkung im ganzen Körper nach.
10. Beispiele für konkrete Übungsanweisungen im Yoga Sutra
Yoga Sutra I-28 und I-29:
OM ist im Bewusstsein seines Sinnes mit Hingabe zu wiederholen. Durch diese Praxis erlangt man das wahre innere Selbst und alle Hindernisse verschwinden.
Mehr zu Sutra I-28 und I-29
tataḥ pratyak-cetana-adhigamo-py-antarāya-abhavaś-ca
ततः प्रत्यक्चेतनाधिगमोऽप्यन्तरायाभावश्च
Man kann sagen, dass Patanjali der bewussten OM-Rezitation wahre Wunderwirkungen attestiert. Hindernisse werden überwunden, Probleme gelöst. Die Kommentatoren erläutern dies ausführlicher:
Yoga Sutra I-28: OM ist im Bewusstsein seines Sinnes mit Hingabe zu wiederholen
Tajjapas tad–artha–bhâvanam
तज्जपः तदर्थभावनम्
Die Übung besteht also im Wiederholen von OM, hingebungsvoll und verbunden mit einer Vorstellung von dessen Bedeutung. Hiermit erläutert Patanjali einen weiteren Weg zur Befreiung. Begibt man sich auf diesen Pfad, sollte man wissen, wie er sich dieses Wiederholen vorstellte.
Yoga Sutra I-33:
Der Geist wird geklärt durch Kultivierung von Freundlichkeit, Empathie, Zufriedenheit sowie Gleichgültigkeit gegenüber Freude, Leid, Erfolg und Misserfolg
Mehr zu Sutra I-33

Maitrî–karunâ–muditopeksânam sukha–duhkha–punyâpunya–vishayânâm bhâvanâtash chitta prasâdanam
मैत्री करुणा मुदितोपेक्षाणांसुखदुःख पुण्यापुण्यविषयाणां भावनातः चित्तप्रसादनम्
Sutra I-33 gibt Empfehlungen zu Tugenden, die ein Yogi zur Unterstützung seines Weges entwickeln sollte. Satchidananda schreibt: "Egal ob du dich am Erreichen von Samadhi interessiert zeigst oder vorhast, den Weg des Yoga völlig zu ignorieren, würde ich dir raten, zumindest diese Sutra zu erinnern."
Die hier gegebenen Empfehlungen seien "very helpful", im täglichen Leben einen friedlichen Geist zu bewahren.
Yoga Sutra I-34:
[Der Geist wird klar] durch (kontrolliertes) Ausstoßen oder Anhalten des Atems
Hinweis: Viele interpretieren diesen Vers dahingehend, dass wir uns um eine Verlangsamung und Vertiefung des Atems bemühen sollen.
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Yoga Sutra I-34: [Der Geist wird klar] durch (kontrolliertes) Ausstoßen oder Anhalten des Atems

Pracchardana–vidharanabyam va pranasya
प्रच्छर्दनविधारणाभ्यां वा प्राणस्य
Patanjali kommt zum Pranayama. Der bewussten Beeinflussung des Atems (konkrete Hinweise kommen von den Kommentatoren) ermöglicht tiefgehende Erfahrungen. Oder ist diese Sutra ganz anders gemeint? Schauen wir uns die Übersetzungsvarianten an:
Yoga Sutra I-35:
Oder die Meditation über subtile Sinneswahrnehmung führt zur Stabilität des Geistes.
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Visayavati va pravrttir utpanna manasah sthiti-nibandhani
विषयवती वा प्रवृत्तिरुत्पन्ना मनसः स्थिति निबन्धिनी
Auch bei dieser Sutra gehen schon bei der Übersetzung die Bedeutungsinterpretationen auseinander. Vielleicht steckt in jeder der Interpretationen ja ein Quäntchen (hilfreiche) Wahrheit. Auf jeden Fall geht es Patanjali in dieser Sutra darum, wie unsere Sinneswahrnehmung uns ein Tor nach innen öffnet.
Yoga Sutra I-36:
Oder durch Konzentration auf ein inneres Licht, das frei von Leid ist
Mehr zu Sutra I-36
Yoga Sutra I-36: Oder durch Konzentration auf ein inneres Licht, das frei von Leid ist

viśokā vā jyotiṣmatī
विशोका वा ज्योतिष्मती
Inneres Licht – wo soll das denn bitte schön leuchten? Seh ich nicht ...
Gemach! Die Kommentatoren geben, anders als Patanjali, konkrete Übungsempfehlungen zur Schau des inneren Lichtes.
Yoga Sutra I-39:
Oder durch Meditation über irgendetwas, das man mag
Mehr zu Sutra I-39
Yoga Sutra I-39: Oder durch Meditation über irgendetwas, das man mag
yathā-abhimata-dhyānād-vā
यथाभिमतध्यानाद्वा
Hier scheint Patanjali jegliches Objekt zur Meditation freizugeben. Die Kommentatoren schränken das dann jedoch ein klein wenig ein:
11. Kein Automatismus
Das Praktizieren der Asanas oder das regelmäßige Meditieren führt nicht automatisch dazu, dass ich zu mir selbst finde (siehe auch diese Studie). Wir müssen uns schon unserem Inneren zuwenden, um innere Erkenntnisse zu gewinnen. Uns ständig die Achtsamkeit üben und dann auch über unsere Erfahrungen reflektieren.
12. Anzeichen für Fortschritt auf dem Weg der Selbsterkenntnis und Selbstfindung
- Sich immer öfter den eigenen inneren Erlebnissen gewahr werden.
- Neue Seiten an sich selbst kennenlernen.
- Sich selbst immer mehr schätzen und sogar lieben lernen, gut Freund mit sich zu sein.
- Weniger nach äußeren Vorbildern schauen, sondern den Blick auf innere Erkenntnisse richten.
13. Das Ziel
Yoga Sutra I-3:
Dann ruht der Wahrnehmende in seiner wahren Natur
Und das ist es, was Yoga mit „zu mir selbst finden“ meint.
Mehr zu Sutra I-3
Yoga Sutra I-3: Dann ruht der Wahrnehmende in seiner wahren Natur
Tadâ drashtuh swarûpe ‘vasthânam
तदा द्रष्टुः स्वरूपेऽवस्थानम्
Hier wird das erste große Versprechen des Yoga verkündet. Die Tragweite dieser Zusicherung wird in den Kommentaren zur Sutra erläutert:
14. Deine Erfahrungen
Hat dir Yoga geholfen, zu dir selbst zu finden?
Welche der folgenden Aussagen trifft deine Erfahrung am besten?
Hier die bisherigen Antworten anschauen ⇓
Die bisherigen Stimmen:
Durch Yoga habe ich zu mir selbst gefunden und ich lerne täglich neues über mich dazu. | 13 Stimmen |
Ich merke Fortschritte, klammere mich aber noch zu oft an äußere Dinge, vertraue noch nicht ganz auf alle Aussagen der Yogalehren. | 6 Stimmen |
Ja, ich habe meinen Körper besser kennengelernt. Aber zu mir selbst gefunden habe ich nicht. | 2 Stimmen |
Nein, ich konnte keine diesbezügliche Wirkung bei mir feststellen. | 0 Stimmen |
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